Editorial

Artbestimmung 2.0: Interview mit dem Zoologen Wolfgang Wägele

Jede Art soll ihren DNA-Barcode bekommen – damit sich Tiere und Pflanzen in Zukunft schnell und zuverlässig per DNA-Test bestimmen lassen.

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(14. April 2011) Im international Barcode of Life-Projekt (iBOL) ermitteln Forscher weltweit Erkennungssequenzen für alle bekannten Arten und stellen sie anschließend in der frei zugänglichen Datenbank BOLD zur Verfügung. Über 13.000 solcher Barcodes von mehr als 5.000 bayerischen Arten hat etwa das Landesprojekt Barcoding Fauna Bavarica bereits auf diese Weise katalogisiert. Nun will das German Consortium for the Barcode of Life (G-Bol) mit Barcodes aus ganz Deutschland nachziehen. Laborjournal sprach mit Wolfgang Wägele, Direktor am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK) in Bonn und deutscher Vertreter von iBOL.

Laborjournal: Herr Wägele, wie funktioniert das mit den DNA-Barcodes?


Wolfgang Wägele: Das Ziel ist es, mit Hilfe von standardisierten Gensequenzen die Arten zu erkennen und somit eine ganze Biodiversität lokal zu erfassen – möglichst automatisiert und preiswert. Bewährt hat sich bei Insekten das CO1-Gen (Cytochrom c-Oxidase-Untereinheit 1). Das funktioniert aber nicht bei allen Taxa. Für Pflanzen braucht man andere Sequenzen, und bei Pilzen nimmt man ITS-Sequenzen (internal transcribed spacer region). Man muss von Fall zu Fall herausfinden, welches die genetischen Charakteristika für eine bestimmte Art sind. Das erfordert viel Grundlagenforschung und insbesondere die Zusammenarbeit mit Taxonomen, die Erfahrung haben, was in ihrer Gruppe eine Art ist und was nicht. Nicht immer kann man das automatisch an den Sequenzen ablesen.

Könnten Sequenzvariationen in Zukunft ein Kriterium für eine Art sein?


Wolfgang Wägele: Nein, die Sequenzen haben mit dem Artbegriff nichts zu tun, das sind nur Erkennungshilfen. Der Artbegriff selbst ist eine philosophische Geschichte: Was will ich als Art anerkennen? Will ich die Paarungsfähigkeit für den Artbegriff benutzen oder ökologische Unterschiede, ökologische Nischen? Es gibt bestimmt zwanzig, dreißig verschiedene Artbegriffe, und es macht gar keinen Sinn darüber zu diskutieren, welches der richtige ist.

Mit wie vielen Spezies rechnen Sie, die in Deutschland und weltweit zu katalogisieren sind?


Wolfgang Wägele: In Deutschland weiß niemand genau, wie viele Arten existieren. Die Tierwelt Deutschlands ist noch gar nicht vollständig erfasst. Die Zahl wird wohl zwischen 60.000 und 80.000 Arten liegen, wobei viele Arten sehr selten sind. Bei manchen muss man zehn Jahre warten, bis man einmal ein Exemplar sieht. Bei den höheren Pflanzen sind es wahrscheinlich etwas über 5.000 Arten. Über die Pilze kann man gar nichts sagen, weil viele noch gar nicht entdeckt sind. Weltweit bekannt sind 1,8 Millionen Arten, das ist aber nur ein Bruchteil dessen, was tatsächlich da ist. Wir rechnen mit 30 Millionen.

Wie läuft das Projekt in den Regionen, in denen es wenige Forscher gibt?


Wolfgang Wägele: Man versucht das weltweit zu organisieren. Wir sehen gerade, dass in den Entwicklungsländern unter den Biologen viele neue Taxonomen heranwachsen. Das liegt daran, dass die Taxonomie ohne großen Laboraufwand machbar ist – und dass Länder wie Vietnam, Thailand oder Peru einen großen Bedarf haben, ihre eigene Fauna und Flora kennen zu lernen. Da wachsen neue Spezialisten heran, die eingebunden werden und Material beschaffen. Es gibt natürlich auch Regionen wie den Zentralamazonas oder die Bergwälder in den Anden, die kaum zugänglich sind. Da sind natürlich auch die Arten kaum beschrieben.

Die Sequenzierungen werden sicherlich einige Jahre in Anspruch nehmen?


Wolfgang Wägele: Ich schätze in fünf Jahren hat man einen Großteil der bekannten Arten tatsächlich in den Datenbanken, mit Ausnahmen von schwer zugänglichem Material wie Tiefseetieren. Aber von den populären Dingen – Säugetiere, Vögel, Amphibien, Schmetterlinge, Käfer – werden wir das meiste haben.

Wie viele Sequenzen sollten pro Art in der BOLD-Datenbank hinterlegt sein?


Wolfgang Wägele: Als Standard wäre schön, wenn man pro Art zehn Populationen aus verschiedenen Regionen hätte. Und zu jeder Population im Idealfall mehrere Sequenzen, um sicher zu sein, dass man die Population wirklich charakterisiert hat. Das ist natürlich sehr aufwändig. In den meisten Fällen werden pro Art überhaupt nur fünf bis zehn Sequenzen gefunden, weil es schwierig ist das Material zu bekommen. Sie müssen die Tiere ja sammeln, die Pflanzen oder Bodenwürmer isolieren. Das kostet natürlich Geld, daher sind wir im Moment noch etwas eingeschränkt.

Wie teuer ist die Markerbestimmung für eine Probe?


Wolfgang Wägele: Es kommt darauf an, was man alles mit einrechnet. Wir arbeiten meistens mit fest angestelltem Personal, so dass diese Kosten nicht zu Buche schlagen. Wenn man das ganze Verbrauchsmaterial im Labor berechnet – zwischen zwölf und fünfzehn Euro, wenn alles gut geht. Das Ziel ist, im Pfennigbereich zu Sequenzieren. Davon sind wir aber weit entfernt. Die Vorbereitung, die DNA-Isolation und die PCR sind noch zu teuer.

Was könnte man mit den Barcodes noch anfangen?


Wolfgang Wägele: Im Grunde genommen wird man sie künftig überall dort nutzen, wo mit biologischem Material gearbeitet wird. Etwa wenn die Pharmaindustrie bestimmte Pilze oder Pflanzen sucht oder aus marinen Organismen Wirkstoffe extrahieren will. Oder Zollämter beispielsweise: Wenn Pflanzen importiert werden, will man wissen, ob in der Erde schädliche Nematoden enthalten sind. Das ist im Moment sehr aufwändig und wird künftig automatisiert.

Ein deutsches iBOL-Projekt – Barcoding Fauna Bavarica – gibt es ja bereits?


Wolfgang Wägele: Ja, das ist quasi ein Vorläufer, der sich auf Bayern beschränkt und der auch anders funktioniert. Die Bayern schicken im wesentlichen Material nach Guelph in Kanada. Aber die kanadische Initiative ist nicht auf Dauer finanziert. Deshalb denken wir, dass wir eigene Ressourcen brauchen. Die ganze Barcoding-Fabrik gibt es in Deutschland noch nicht, die soll mit einem BMBF-Projekt aufgebaut werden. Aber das ist schwierig. Es ist keine hypothesenbasierte Grundlagenforschung, wie sie die DFG fördern will, und es ist nicht sofort für die Industrie anwendbar, wie das Bundesforschungsministerium es haben will. Vielmehr ist es erst einmal eine Datengrundlage für künftige Anwendungen. In den USA werden solche Projekte von der National Science Foundation oder den Gesundheitsbehörden mitfinanziert. Hier in Deutschland hat man damit Schwierigkeiten. Dennoch versuchen wir jetzt das BMBF von dem Projekt zu überzeugen.


Interview: Valérie Labonté
Bildnachweis (2): iStock/CrackerClips
                          Zoologisches Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig (ZFMK)



Letzte Änderungen: 04.03.2013