Editorial

Der Wasserfloh: klein, aber oho!

Nun hat auch der „Wasserfloh“ Daphnia pulex sein innerstes Geheimnis preisgegeben: Sein Genom ist sequenziert – und damit auch das erste Genom eines Crustaceen. Zudem wurde der kleine Krebs jetzt offiziell als dreizehnter Modellorganismus für die biomedizinische Forschung von den National Institutes of Health (NIH) in die Riege von Ratte, Maus und Hefe aufgenommen.

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(16. Februar 2011) Dabei ist Daphnia gar einer der ältesten Modellorganismen in der Biologie. Schon vor über hundert Jahren fingen Forscher damit an die Ökologie der kleinen Krebse zu untersuchen, weshalb sie zu den bestuntersuchten Arten überhaupt gehören. Die ein bis fünf Millimeter großen Daphnien haben einen transparenten Körper, durch den der mit symbiontischen Algen gefüllte Darm grün hindurch scheint. Sie leben in kleinen bis mittelgroßen stehenden Süßgewässern und ernähren sich überwiegend von Plankton. An Veränderungen in ihrem Lebensraum können sie sich flexibel anpassen: wechselnde pH-Werte und Sauerstoffkonzentrationen, Toxine im Wasser oder unterschiedliches Nahrungsangebot tolerieren sie großzügig.

Was Daphnien so anpassungsfähig macht, wollen jetzt auch Genetiker herausfinden. Untersuchungsmaterial gibt es genug: über 30.000 Gene hat Daphnia pulex in seinem 200 Megabasen großen Genom untergebracht, wie John Colbourne von der Indiana University, USA, und seine Kollegen, darunter auch einige Münchener und Heidelberger, unlängst veröffentlichten (Science 331:555-61). Das sind grob 7.000 Gene mehr, als der Mensch hat. Über ein Drittel der Daphnia-Gene (36 %) sind völlig unbekannt, sie haben keine bekannten homologen Gene in anderen Arten – allerdings wurde bisher auch noch kein anderes Crustaceen-Genom sequenziert. Knapp die Hälfte der Daphnia-Gene liegen als Paraloge vor, die aus Genverdopplungen innerhalb des Genoms hervorgegangen sind. Dabei wurde aber nicht das gesamte Genom verdoppelt, vielmehr hat Daphnia in seiner Entwicklung stetig mehr Gene gewonnen als verloren. Die Duplikationsrate ist damit um ein Drittel höher als bei der Fliege oder bei Nematoden.

Diese Genduplikationen könnten die Anpassungsfähigkeit der Daphnien erklären. Colbourne et al. zeigen in ihrer Studie, dass einerseits die duplizierten Gene, aber auch solche, die in einzelner Kopie vorliegen und spezifisch für Daphnia sind, unter ökologischen Stress-Situationen hoch reguliert werden. Dass Daphnien ihren Phänotyp an die Umwelt anpassen können, beobachtete indes der Leipziger Zoologe Richard Woltereck bereits 1909, er nannte das Phänotypische Plastizität (Verh. Dtsch. Zool. Ges. 19, 110).

Einige Beispiele: Daphnien vermehren sich unter guten Bedingungen ungeschlechtlich über unbefruchtete Sommer- oder Jungferneier; fehlt dagegen Nahrung, trocknet der Lebensraum aus oder steigt die Schadstoffkonzentration im Wasser, legen sie dotterreiche befruchtete Winter- oder Dauereier, die Jahrzehnte im Sediment überdauern können. Geht der Sauerstoff zur Neige, erhöhen viele Daphnien-Arten die Hämoglobinkonzentration im Blut, das Innere der Tiere färbt sich von grün zu rot. Sind Jäger unterwegs, die Substanzen ins Wasser abgeben, die die Daphnien alarmieren (Kairomone), bilden einige Arten „Helme“ oder Dornen an verschiedenen Körperstellen aus, um sich vor Fraß zu schützen.

Daphnia hat demnach eine ganze Reihe von Genen mit „umweltspezifischer“ Funktion, anhand derer sich Interaktionen zwischen Umwelt und Genom untersuchen lassen. Zum Vergleich gibt es unzählige Populationen von Daphnien-Dauerstadien, die in Seesedimenten gelagert sind und sich reaktiveren lassen und teilweise noch mit Daphnia co-evolvierte Symbionten enthalten. Künftige Fragen für Umweltgenetiker sind daher beispielsweise wie sich Daphnien auf Genomebene an Schwermetalle, steigende Temperaturen oder aufkommende Krankheiten anpassen.

Um ihre Projekte zu koordinieren und miteinander zu diskutieren haben sich über 400 Wissenschaftler im Daphnia Genomics Consortium (DGC) zusammen geschlossen. Auf seiner Website listet das Konsortium Fachartikel zu dem „neuen alten“ Modellorganismus auf, verlinkt zu Fotos und Videos mit Daphnien und weist auf die Daphnia-Themensammlung von BioMedCentral mit frei zugänglichen Artikeln hin.


Nicht zuletzt deshalb wagen wir folgende Prognose: In Zukunft werden sich eher mehr, als weniger Forscher mit dem „alten“ Wasserfloh beschäftigen.


Valérie Labonté
Bildnachweis: Christian Laforsch, LMU München



Letzte Änderungen: 04.03.2013