Editorial

Noch mehr Anästhesie-Studien manipuliert

Die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz (LÄK) hat viel zu tun mit dem „Fall Joachim Boldt“. Für 90 von 100 überprüften Veröffentlichungen des ehemaligen Direktors der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum Ludwigshafen, liegen keine Einverständniserklärungen der Ethik-Kommission vor.

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(8. Februar 2011) Unter den 100 überprüften Veröffentlichungen war auch der im Oktober 2010 von Anaesthesia & Analgesia (A&A) zurückgezogene Artikel, der den ganzen Staub überhaupt erst aufgewirbelt hatte: Boldt und Co. verglichen in dem Paper Hydroxyethylstärke und Albumin als Priming-Lösungen für die Herz-Lungen-Maschine. A&A zog das Paper zurück, weil unter anderem kein Einverständnis der zuständigen Ethik-Kommission vorlag (LJ online berichtete). Daraufhin feuerte die Klinik Boldt und setzte eine Untersuchungskommission ein.

Die LÄK derweil prüfte bei weiteren Publikationen Boldts die Formalitäten. 74 der überprüften Artikel beschreiben klinische Studien, die unter das Arzneimittelgesetz fallen und deshalb eine Zustimmung der Ethik-Kommission benötigt hätten. In der Berufsordnung für Ärzte steht im Paragraphen 15, dass Mediziner vor Beginn ihrer Forschungsvorhaben am Menschen sich „durch eine bei der Ärztekammer oder bei einer Medizinischen Fakultät gebildeten Ethik-Kommission über die mit ihrem Vorhaben verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen beraten lassen“ müssen, was praktisch einer schriftlichen Erlaubnis gleichkommt. Diese Erlaubnis gab es nur für sechs der 74 Artikel, für die restlichen 68 fehlte sie. Für weitere 28 Studien aus der klinischen Forschung wäre aufgrund der ärztlichen Berufsordnung ebenfalls eine Erlaubnis der Ethik-Kommission nötig gewesen, die aber in 22 Fällen nicht vorlag. 

Die LÄK gab jetzt den Erst- beziehungsweise korrespondierenden Autoren der angefochtenen Artikel Gelegenheit die Zustimmung der Ethik-Kommission nachzuweisen. Kurios ist dabei, dass die zuständige Ethik-Kommission für das Ludwigshafener Klinikum bei der LÄK selbst sitzt, denn als Akademisches Lehrkrankenhaus der Uni Mainz hat die Klinik keine hauseigene Ethik-Kommission. Können die Autoren die Zustimmungen nicht nachliefern, will die LÄK die betroffenen Zeitschriften benachrichtigen. Die Chefredakteure von elf Anaesthäsie- und Intensivmedizin-Journals versicherten vorab in einem Online-Editorial, dass alle Artikel ohne Zustimmung einer Ethik-Kommission aus ihren Journals zurückgezogen würden.

Steven Shafer, der A&A-Chefredakteur, ist jedenfalls davon überzeugt, dass zumindest die kürzlich von A&A zurückgenommene Studie klar erfunden sei. In einem aktuellen Editorial nennt er die Ergebnisse der klinikeigenen Untersuchungskommission als Indizien: Es gebe unter anderem keine Patientendaten, die Klinikapotheke habe seit vielen Jahren keine Albumin-Lösungen mehr an Boldts Station geliefert und die in der Studie angegebenen Messungen (IL-6, IL-10 und andere) hätte das Kliniklabor nur an Patienten durchgeführt, die HES erhalten hätten und nicht an solchen, die Albumin erhalten hätten.

Da zu widersprechen fällt schwer.

 

 

Valérie Labonté
Bildnachweis: benicce / photocase.com



Letzte Änderungen: 04.03.2013