Editorial

Öffentlicher Pranger: Presse und Politiker hetzen gegen Naturwissenschaftler

Der leibhaftige Teufel sitzt an der Universität Regensburg – zumindest wenn man dem glaubt, was seit Tagen in lokalen Medien und Pressemitteilungen gegeifert wird.

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Realität 2010: Naturwissenschaftler am Pranger

(18. November 2010)  Am Universitäts-Standort Regensburg ist die Hölle los – und zwar im Wortsinne, zumindest nach Meinung einiger christlicher Fundamentalisten. Auslöser ist der Wunsch eines Regensburger Physikers (in der Tagespresse grob verfälschend als „aus dem englischsprachigen Ausland eingereist" dargestellt), man möge im Klassenzimmer seines Sohnes an einem örtlichen Gymnasium das Kreuz an der Wand abhängen.

Dieses Ansinnen ist gedeckt durch eine bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung aus dem Jahr 1995, laut der die bayerische Praxis, Kreuze in Schulen aufzuhängen, grundgesetzwidrig ist: durch das sogenannte "Kruzifix"-Urteil".

 

Kaum jemand interessiert's - zunächst ...

 

Laut Schulverwaltung wurde dem Ansinnen sofort entsprochen: Das Kreuz wurde abgehängt, protestiert habe kaum jemand. Keine Affäre also. Wie Regensburg-Digital.de berichtet, herrsche im Lehrerkollegium „recht wenig Aufregung über den Fall an sich. Es sei eher der Medienrummel, der für Unruhe sorge, und der sei erst Wochen später, nach einem Elternabend, losgetreten worden: „Sechs von 32 Elternpaaren der betroffenen Schulklasse haben sich über das abgehängte Kruzifix beklagt, vier von ihnen haben schließlich einen Brief geschrieben. Diese Eltern werden nun von der Mittelbayerischen Zeitung zur vermeintlichen Mehrheit erhoben."

Für christliche Fundamentalisten jedoch ist das – wie erwähnt voll berechtigte – Ansinnen des Vaters und vor allem das darauf folgende Entfernen des religiösen Symbols hingegen  Grund, seit Tagen lauthals in der örtlichen Presse Alarm zu schlagen. Der Regensburger 2. Bürgermeister Gerhard Weber etwa philosophierte in einer Presseerklärung darüber, ob hier nicht Ausländer das „Gastrecht überstrapazieren" würden.

Und Bürgermeister Weber fordert doch glatt in dieser Presseerklärung den Vater auf, „sich in der Öffentlichkeit zu seinem Vorstoß zu bekennen". Zu einem „Vorstoß", wohlgemerkt, der das verfassungsgedeckte Recht von diesem Vater und Bundesbürger sowie das verfassungsgedeckte Recht von allen anderen 80 Millionen Bundesbürgern ist.

Früher nannte man so etwas „öffentlich an den Pranger stellen".

Der Vater ist übrigens (nachdem ihn die örtliche Lokalzeitung MZ seit Tagen durch Nachbarn und Arbeitskollegen gut identifizierbar macht, kann man's ja sagen) ein deutscher Physiker, der lediglich zeitlich befristet zu Forschungszwecken im Ausland geweilt haben soll. Soviel zu des empörten Bürgermeisters Auswurf „Ausländer" – auch wenn die Staatsangehörigkeit in diesem Fall ohnehin komplett irrelevant ist. Grundrechte gelten auch für hier lebende Ausländer.

Interessant ist in jedem Fall, wie die hiesige Presse (lokaler Platzhirsch ist die Mittelbayerische Zeitung) mit der Affäre umgeht. Oder besser: Wie sie eine Marginalie, die niemand aufgeregt hat, plötzlich zu einem Angriff aufs christliche Abendland umdeutet und hochstilisiert - in mittlerweile einem halbdutzend Artikeln, in denen es von Fehlern, Halbwahrheiten und religiösen Aufgeregtheiten wimmelt. Lesen wir zunächst, was der Pressesprecher der Universität Regensburg, Alexander Schlaak, gegenüber Regensburg-Digital zur Sache zu sagen hatte:

„Mehrere Mitarbeiter am Physik-Institut haben diskriminierende und beleidigende E-Mails und Anrufe erhalten."

Schlaak glaubt, dass die Berichterstattung der Mittelbayerischen Zeitung daran nicht unbeteiligt sei:

„Es war völlig unnötig, Herkunft und Beruf des Mannes offen zu legen", kritisiert Schlaak den MZ-Bericht. „Da wurden gewisse Personengruppen geradezu darauf hingestupst, wo sie anrufen können." Durch die Anrufe und E-Mails sei nicht nur der Betrieb an der Universität gestört und völlig unbeteiligte Personen zum Teil erheblich belästigt worden. „Wir bemühen uns seit Jahren, die besten Köpfe aus aller Herren Länder zu bekommen." Für den Ruf der Universität sei all das, was jetzt schon passiert sei, „nicht gerade förderlich".

Übrigens: Mit dem empörten CSU-Mann und Kreuzesverteidiger Gerhard Weber hat sich auch die wichtigste SPD-Dame in Regensburg, die stellvertretende Stadtrats-Fraktionsführerin und Landtagsabgeordnete Margit Wild, solidarisiert. Auch sie ist der Meinung: Einfach seine Grundrechte wahrnehmen und ein Kreuz abhängen lassen - so geht's ja nicht!

 

Voll dabei: der ehemalige Wissenschaftsminister

 

Und auch der Sprecher des „Gesprächskreises ChristSozialer Katholiken (CSK)" hat gestern versucht, mit einer Pressemitteilung, in der der „Egoismus" des Vaters verdammt wird und mehrfach Beruf und Arbeitgeber des betroffenen Vaters genannt werden, die Öffentlichkeit aufzuwiegeln.

Dieser CSK-Sprecher heißt Thomas Goppel. Goppel ist der Sohn des früheren bayerischen Ministerpräsidenten und war von 2003 bis 2008 Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Sozusagen der oberste Vorgesetzte des Mannes, auf den in Regensburg gerade ein Kesseltreiben veranstaltet wird.

Winfried Köppelle

(der Autor dankt dem freien Presseportal www.regensburg-digital.de für viele der im Artikel enthaltenen Informationen)



Letzte Änderungen: 04.03.2013