Editorial

Haie kriegen Krebs!

Knorpel blockiert die Neubildung von Blutgefäßen. Daher kann Knorpel auch die Tumorbildung hemmen. Haie wiederum haben viel Knorpel und bekommen offenbar keine Tumoren. Ergo: Wenn ich zerriebenen Haiknorpel schlucke, schütze ich mich gegen Krebs. Humbug! Vor allem, weil Haie sehr wohl Krebs kriegen.

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(9. September 2010) Bayer 04 Leverkusen gehört nicht zu den allerbeliebtesten Clubs unter den deutschen Fußball-Fans. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Was allerdings wohl kaum dazu zählt: Vor etwa drei Jahren machte der Werksclub des Pharma (!)-Giganten Bayer auf seiner Homepage Werbung für Haiknorpel-Präparate als Anti-Krebsmittel.


Auf solchen Blödsinn sollte eigentlich Zwangsabstieg in die Verbandsliga stehen. Denn nicht zuletzt wegen solcher Aktionen glauben immer noch ziemlich viele Leute die Mär von den Haien, die keinen Krebs bekommen. Ein Irrglaube, der unter anderem dazu geführt hat, dass die Hai-Bestände in nordamerikanischen Gewässern in den letzten Jahren um etwa 80% abgenommen haben. Kein Wunder, wenn dort gewisse Firmen bis zu 200 000 Haie pro Monat erlegen um zweifelhafte Haiknorpel-Produkte mit Namen wie 'Country Life', 'Now' oder 'Puritan's Pride' herzustellen.


Um es sofort und unmissverständlich klar zu stellen: Haie kriegen Krebs! Bereits 2004 durchkämmten beispielsweise Forscher der Universität Hawaii das mittlerweile eingestellte 'Smithsonian Registry for Tumors in Lower Animals' – und fanden 42 gelistete Knorpelfisch-Tumoren. Zwölf davon waren bösartige Tumoren, die in den ganzen Körper gestreut hatten; zwei Haie hatten multiple Geschwüre, und sogar Tumoren in Hai-Knorpel waren mehrfach beschrieben.


Wie kam es also zu der Mär, dass Haie keinen Krebs bekommen – inklusive dem noch viel größeren Irrglauben, dass Haiknorpel auch Menschen vor Tumoren schützen könne? Es began mit keinem Geringeren als dem “Pabst der Angiogenese”, dem 2008 verstobenen Judah Folkman. Dieser machte in den 1970ern mit seinem Mitarbeiter Henry Brem die an sich simple Beobachtung, dass Knorpel die Neubildung von Blutgefäßen, eben die Angiogenese, hemmt. Und da eine funktionierende Angiogenese bekanntlich eine der absoluten Schlüssel-Voraussetzungen für die Bildung bösartiger Tumoren ist, suchten Brem und Folkman nachfolgend nach Gefäßbildungs-hemmenden Substanzen in Knorpel. Denn, so die allgemeine Logik, wer die Neubildung von kapillaren Blutgefäßen hemmt, der hemmt womöglich auch die Tumorbildung.


Und tatsächlich: Als Brem und Folkman Stücke von Kaninchenknorpel direkt neben Tumoren pflanzten, hemmten diese die Kapillarbildung – worauf die Tumoren wegen fehlender Vaskularisierung zu wachsen aufhörten (J Exp Med (141), 427-439). Etwa zur gleichen Zeit fand ein Team aus Florida, dass das Karzinogen Aflatoxin B1 in Haien keine Tumoren auslöst. Woraufhin sofort einige Schlauköpfe folgerten, dass dies an dem vielen Knorpel im Hai liegen müsse.

 

Einer von ihnen war der promovierte Ernährungswissenschaftler und Biochemiker William Lane, der umgehend der Idee verfiel, dass man sich durch simples Schlucken von Haiknorpelpulver vor Krebs schützen könne. Zwei Bücher schrieb er zu dem Thema: Sharks Don't Get Cancer: How Shark Cartilage Could Save Your Life (1992) und Sharks Still Don't Get Cancer (1996). Und natürlich gründete er auch eine Firma namens LaneLabs, die bis heute Haiknorpelpillen herstellt und verkauft.


Doch er war nicht der einzige. Dutzende von Firmen stiegen mit ins Boot – und jagten Haie. Mit den oben erwähnten Resultaten. Allein im Jahr 1995 überschritt der weltweite Umsatz mit Haiknorpel-Produkten 23 Mio. Euro


Hierzulande gehört die Starnberger Firma Medisana Medizinische Vertriebsgesellschaft zur Besatzung. Seit Mitte der 1990er produziert und verkauft diese das Haiknorpel-Präparat 'Haifit'. 1996 stellte der streitbare Marburger Apotheker Gregor Huesman Haifit als 'Scheiß des Monats' in sein Schaufenster. Es folgten einige Prozesse. Nach kurzzeitigem Verbot ist Haifit jedoch seit 1997 wieder als Nahrungsergänzungsmittel im Verkehr. Bis heute. Ein Urteil, zu dem das Skeptiker-Portal Esowatch schreibt: „Damit ist ein unwirksames Wundermittel wieder legal im Verkehr. Solange der Anbieter nur unter der Hand Werbung für sein Wundermittel betreibt, kann er dies ohne Ärger mit der deutschen Justiz tun. Ein typisches Beispiel für den tatsächlichen Wert des Rechtssystems und ein Maß für das geringe Verbraucherschutzniveau in der BRD.“


Unwirksam vor allem deshalb, da das Knorpelpräparat im Magen komplett verdaut wird – und somit keine Wirkstoffe, wenn überhaupt welche vorhanden sind, über den Blutkreislauf zu den Tumoren gelangen können.


Bayer 04 Leverkusen hat seine Werbung für Haiknorpel-Präparate damals sehr schnell wieder von seiner Homepage genommen. Offenbar hat ein kompetenter Mitarbeiter der Pharmafirma den Kollegen vom Sport sogleich gesteckt, was eigentlich jeder begreifen sollte: Haie kriegen sehr wohl Krebs, und Haiknorpel gegen Krebs schlucken ist Humbug.


Bleibt das Phänomen, dass Haiknorpel-Extrakte unter bestimmten Umständen offenbar tatsächlich die Angiogenese hemmen können. Einen echten Inhibitor konnte man in dreißig Jahren Forschung bisher jedoch nicht identifizieren.

 

Ralf Neumann

 

Weitere Quellen:

 

- Haiknorpel gegen Krebs (http://www.sharkinfo.ch/SI1_96d/knorpel.html)
- Erich Eder (2002) Sind Haie gegen Krebs immun? Alternativmedizin versus Artenschutz (http://www.gwup.org/zeitschrift/skeptiker-archiv/741-sind-haie-gegen-krebs-immun-)
- Ocean of Pseudoscience: Sharks DO get cancer! (http://scienceblogs.com/observations/2010/09/ocean_of_pseudoscience_sharks.php)
- Do Sharks Hold Secret to Human Cancer Fight? (http://news.nationalgeographic.com/news/2003/08/0820_030820_sharkcancer_2.html) 



Letzte Änderungen: 04.03.2013