Editorial

Wenn ein Profikicker einem Wunderheiler vertraut...

... geht's oftmals schief. Ein aktuelles Lehrstück, warum sich alternative Therapien nicht auszahlen.

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Einem Wunderheiler auf den Leim gegangen: Profikicker Arjen Robben

(03. August 2010)  Ein selbsternannter „Wunderheiler" soll den niederländischen Fußballprofi und Vizeweltmeister Arjen Robben behandelt – und ihm indirekt einen vermeidbaren Muskelfaserriss beschert haben. Ob's stimmt, lässt sich schwer nachprüfen – allerdings lassen die Umstände dieser Affäre rund um unseriöse Therapien tief in die medizinischen Abgründe des Profisports blicken. Die Fakten:

Im Vorfeld der Fußball-WM in Südafrika hatte sich Profikicker Robben in einem Testspiel Anfang Juni am Oberschenkel verletzt. Diagnose: Faserriss. Robben ließ seine Verletzung in Eigenregie von einem gewissen Dick van Toorn behandeln. Van Toorn wird in den Medien als „Wunderheiler" und „Physiotherapeut aus Rotterdam" beschrieben, der sich „nicht ausschliesslich auf die verletzten Stellen orientiert, sondern den Körper als eine Einheit betrachtet" und „bei seinen Behandlungen eine Kombination von manueller Therapie, Akupunktur und Elektrotherapie" einsetze. Die BZ beschrieb den niederländischen Wunderheiler so: „Van Toorn gilt bei unseren Nachbarn als moderner Schamane, ein erfindungsreicher Geist, der nicht stur der klassischen Schulmedizin vertraut."

Mythos „ganzheitlich"

Au weia. Als ob jeder beliebige „normale" Arzt seinen Patienten, ganz ohne Hokuspokus, nicht genauso „als eine Einheit" betrachten würde. Leider ist „ganzheitlich" zu einem esoterischen Modewort verkommen, das anscheinend ausschließlich parawissenschaftliche Wunderheiler in Anspruch nehmen dürfen. Und egal wohin hochbezahlte Profisportler auch rennen - jeder Hobbysportler, der sich's leisten kann, rennt hinterher und schwärmt von den Wunderdoktoren und ihren ach so unkonventionellen Methoden.

 

Naja, selber schuld. Ein positiver Nebeneffekt von derlei Lemmingsverhalten ist jedenfalls, dass sich dadurch die Wartezeiten bei vernünftigen Ärzten verkürzen.


Die Van Toorn'sche Methode scheint übrigens – sofern man der Boulevard-lastigen Berichterstattung trauen darf – wesentliche Placebo-Inhalte aufzuweisen. Die Abendzeitung etwa informierte am 7. Juni 2010: „Die Behandlung, der sich Robben nun zwölf Stunden am Tag unterzieht, ist eine Kombination aus speziellen Massagetechniken, Akupunktur und Triggerpunkt-Druck-Massagen." Und weiter: „Die Triggerpunkt-Massage hat einen ähnlichen Effekt wie die Akupunktur. Durch Reizung der Meridiane wird eine Schmerzdesensibilisierung erreicht."

Mythos „Triggerpunktmassage" und „Akupunktur"

Oje, die Triggerpunktmassage. Unter den grenzwissenschaftlichen Verfechtern dieser Modetherapie gibt's doch nicht mal einen Konsens darüber, wo genau diese „myofaszialen Triggerpunkte" denn nun liegen sollen – die Literatur hierzu widerspricht sich teilweise. Und ein sicherer Wirksamkeitsnachweis des „Triggerns" lässt auch auf sich warten.

Zum leidigen Modethema „Akupunktur" will ich mich gar nicht mehr äußern. Wen's interessiert, der möge bitte zum Beispiel hier oder hier nachlesen, dass Akupunktur nach allem, was man bisher weiß, eine klassische Plazebotherapie darstellt: Sie wirkt nur, wenn Patient und Heiler auch fest daran glauben. Eins jedenfalls ist geklärt: Meridiane gibt es nicht, höchstens als Hirngespinst von Akupunkteuren. Eine Scheinakupunktur, bei der irgendwohin gestochen wird, ist genauso wirksam wie eine traditionell durchgeführte. All das weiß man seit Jahren. Nur in der Eso-Szene ist's noch nicht angekommen.

Doch zurück zum holländischen Wunderheiler. Der gab dem Fachblatt BZ zum Protokoll: „Als wir nach einer Woche mit der Behandlung fertig waren, war er zu 100 Prozent regeneriert. Das war wie Magie! Arjen ist gesund." In der Folge pausierte der „gesundete" Robben im WM-Turnier in der Vorrunde weitgehend, bestritt dann aber alle restlichen Partien der Oranjes und wurde sogar Vizeweltmeister.

Naja, fast gesund...

Nun ja, was immer Wundertherapeut Van Toorn für „gesund" halten mag – jedenfalls hatte Robben am 3. August ein höchst unerfreuliches Erlebnis, das ihn hoffentlich von künftigen Besuchen in Rotterdam (und hoffentlich auch von Akupunktur, Triggertherapie und ähnlichem Unsinn) abhalten möge. Eine Routineuntersuchung im Bayern-Quartier ergab:

„Nach Angaben des FC Bayern war [bei einer Kernspintomografie] ein fünf Zentimeter großes Loch im Muskel festgestellt worden. [Robben] fällt wegen eines Muskelrisses im linken Oberschenkel für zwei Monate aus." (Quelle: dpa)

 

Wohlgemerkt: Zwischenzeitlich war ein ausgewachsener Muskel(!)riss in Robbens linkem Oberschenkel entstanden. Anfang Juni war's noch ein wesentlich leichter zu kurierender Faserriss gewesen.

 

Soviel fürs erste zu den „ganzheitlichen" Therapien dieser Tage. Man könnte das Ganze mit Fug und Recht „grobe Fahrlässigkeit" oder „ärztliches Versagen" nennen (letzteres nur, falls dieser holländische "Magier" überhaupt Arzt ist). Der Autor dieser Zeilen (übrigens aus dem gleichen Bundesland wie Robbens Fußballclub stammend) wünscht Herrn Robben baldige Genesung und bessere Ärzte.

Winfried Köppelle

P.S.: Dass man beim FC Bayern und anderswo auch nicht immer nur auf seriöse, anerkannte Therapien baut, sondern – man glaubt es nicht! – auch zum Beispiel auf homöopathische „Medikamente", ist dem Autor bekannt, jedoch nicht Gegenstand dieses Artikels. Immerhin haben die Münchener Ärzte Robbens Verletzung mittels Kernspintomografie – und nicht etwa durch Zuckerkügelchen oder Pulsmessen – diagnostiziert. Das ist ja schon mal was.



Letzte Änderungen: 04.03.2013