Editorial

Keine Liebe zwischen Bauern und Jägern im Luangwa-Tal

Eine der ungeklärten Fragen der Besiedlungsgeschichte Europas ist, welchen genetischen Beitrag die alt- bzw. mittelsteinzeitlichen Jäger-Sammler zur heutigen Bevölkerung leisteten. Wurden die Jäger-Sammler von aus dem Nahen Osten einwandernden jungsteinzeitlichen Bauern verdrängt? Oder haben sich die Bauern mit den Eingeborenen vermischt? Oder übernahmen die alteuropäischen Jäger-Sammler lediglich die Ackerbau-Techniken und Haustiere aus dem Orient und dessen genetischer Einfluss blieb minimal?

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Jäger-Sammler, oder Bauer?

(16. Juni 2010) Es gab etliche Ansätze zur Beantwortung dieser Fragen. Cavalli-Sforza et al. stellten in einer Hauptkomponentenanalyse fest, dass die erste Hauptkomponente der genetischen Variation in Europa auf einer Südost-Nordwest Achse liege. Diese decke sich etwa mit dem zeitlichen Erscheinen der Landwirtschaft: zuerst im Südosten, zuletzt im Nordwesten. Das sprach für ein genetisches Diffusionsmodell: Die einwandernden Bauern vermischten sich mit den Jäger-Sammlern und dies umso mehr, je weiter die Bauern nach Nordwesten vordrangen (die vollständige Verdrängung der Jäger-Sammler ohne Mischung würde nicht zu Gradienten von Genfrequenzen führen). Gradienten von Genfrequenzen können jedoch nicht nur durch Wanderungen zustande kommen (siehe Reich et al. in Nature Genetics (2008) vol. 40, 491-92). Auch passt das Diffusionsmodell schlecht zu archäologischen Ergebnissen, wonach die Besiedlung Europas durch Bauern blitzartig vor sich ging und die Jäger-Sammler die Siedlungsgebiete der Bauern mieden.

 

Martin Richards kam jedoch anhand der Untersuchung von mitochondrialer DNA (mtDNA) zu dem Schluss, dass der Anteil in der Jungsteinzeit eingewanderten Bauern am heutigen europäischen mtDNA Pool nur etwa 10-20% betrage (Annual Review of Anthropology (2003) vol. 32: 135-162). Das spräche für ein Diffusionsmodell in dem die Jäger-Sammler dominierten und steht im Gegensatz zu Cavalli-Sforzas Modell, das postulierte, die jungsteinzeitlichen Bauern hätten zum heutigen europäischen Genpool 80-90% beigetragen.

 

Die Ergebnisse von Wolfgang Haak et al. stützten die von Richards. Haak et al. stellten 2005 in Skeletten von Linearbandkeramikern einen hohen Anteil der mitochondrialen Haplogruppe N1a fest (in 6 von 24 Skeletten) (Science, vol. 310, 1016-18). Die Linearbandkeramik wird assoziiert mit der ersten europäischen Bauernkultur. Bei modernen Europäern ist N1a jedoch selten. Das sprach dafür, dass die Linearbandkeramiker nur wenig zum heutigen Genpool beitrugen.

 

2009 schlug das Pendel wieder um. Nach Untersuchungen von Ron Pinhasi und Noreen von Cramon-Taubadel glichen die Schädel von zentraleuropäischen Linearbandkeramikern mehr jungsteinzeitlichen Schädeln aus dem Nahen Osten als jenen von mittelsteinzeitlichen europäischen Jäger-Sammlern.

 

Bramanti et al. (Science vol. 326, 137-40) gingen 2009 das Problem direkt an. Sie sequenzierten mtDNA von 22 europäischen Jägern und Sammlern und gleichzeitig lebenden Linearbandkeramikern und verglichen die Ergebnisse mit modernen Europäern. Es stellte sich heraus: die alteuropäischen Jäger-Sammler trugen bevorzugt die mitochondrialen Haplogruppen U4 und U5, die aber bei Linearbandkeramikern nicht auftauchten. Umgekehrt tauchten bauerntypische Haplogruppen nicht bei Jäger-Sammlern auf. Demnach hielt sich die beiden Gruppen voneinander getrennt. Das Seltsame: Weder der Genpool der Jäger und Sammler noch jener der Linearbandkeramiker zeigten Ähnlichkeit mit dem heutiger Europäer. Hat es nach der Besiedelung Europas durch die ersten Ackerbauern einen weiteren Bevölkerungsaustausch gegeben? Europa scheint der Kontinent der Aussterbenden zu sein, Erst die Neanderthaler, dann die Homo sapiens Jäger-Sammler, dann die Linearbandkeramiker, heute wir...

 

Eine weitere Facette dieses verwirrenden Bildes lieferte Patricia Balaresque et al. im Januar 2010 in PLoS Biology (vol. 8(1): e1000285). Nach ihren Ergebnissen kam die in Europa am weitesten verbreitete Y-chromosomale Haplogruppe R1b1b2 aus dem jungsteinzeitlichen Anatolien. Grundlage dieser Aussage ist die heutige geographische Verteilung der Microsatelliten Diversität der Haplogruppe R1b1b2. Die mtDNA der heutigen Europäer jedoch stamme, so Balaresque gegenüber dem Guardian, hauptsächlich von eingeborenen Jäger-Sammler Frauen. Danach ging es bei der Eroberung von Europa ähnlich zu wie in der Neuzeit bei der Eroberung von Mexiko durch die Spanier. Balaresques mtDNA Ergebnisse passen zu den Ergebnissen von Richards. Aber wie sind sie mit den Ergebnissen von Bramanti et al. zu vereinbaren? Zudem wird das Balaresque Paper in Dienekes Anthropology-Blog unsanft auseinander genommen: Die Autoren benützten nicht die „evolutionäre Mutationsrate“ was in falsche Zeiten ergebe, heißt es da. Zudem sei die Mikrosatelliten Varianz der Haplogruppe R1b1b2 in Wirklichkeit in der Türkei nicht signifikant höher als in Europa.

 

Es ist wie immer in der Biologie: Komplizierter als man denkt und möglicherweise ganz anders. Vielleicht hilft es, wenn man anderswohin schaut. Das haben Cesare de Filippo et al. vom MPI für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig getan (American Journal of Physical Anthropology (2010) vol. 141, 382–94). Sie schauten nach Afrika. Dort begann der Ackerbau vor 4000 Jahren und wird mit der Expansion der Bantu-Sprachen in Verbindung gebracht. Die ackerbautreibenden Bantusprecher hätten die Jäger-Sammler (Vorfahren der Pygmäen, Buschmänner etc) verdrängt. Haben sie sie vollständig verdrängt oder gab es eine Mischung?

 

Filippo et al. haben sich angeschaut, wie Jäger-Sammler und Ackerbauern im zentralafrikanischen Luangwa Tal miteinander zurechtkamen. Archäologische Befunde zeigten, das dort Jäger-Sammler und Ackerbauern etwa 1700 Jahre - von 100 n. Chr. bis Mitte des 19. Jhdts. - nebeneinander lebten (auch in Europa lebten die Ackerbauern geraume Zeit mit den alteuropäischen Jäger-Sammlern in etwa dem gleichen Raum). Haben sich Jäger-Sammler und Ackerbauern im Luangwa Tal in dieser Zeit genetisch vermischt? Filippo et al. analysierten dazu die Kontrollregion der mtDNA und Teile des Y-Chromosoms der heute im Luangwa Tal lebenden Bantustämme der Bisa und Kunda. Die Daten verglichen sie mit bereits publizierten Daten für afrikanische Jäger-Sammler. Ihr Ergebnis: Die lange Koexistenz der Bantu mit Jäger-Sammlern scheint keine Spuren im Bantu Genpool hinterlassen zu haben. Es war auch keine Vorliebe von Jäger-Sammler Frauen für ackerbautreibende Männer festzustellen. Die beiden Populationen scheinen fein säuberlich für sich geblieben zu sein bis schließlich die Jäger-Sammler aus dem Luangwa Tal verschwanden.

 

Hubert Rehm

 



Letzte Änderungen: 04.03.2013