Editorial

Die Ente zum Pfingstfest

Ogottogott, Craig Venter hat künstliches Leben geschaffen!! Schon schlimm, oder? Der böse Bube hat drüben in Kalifornien mal schnell ins Reagenzglas gehaucht und mit teuflischem Grinsen das selbst fabriziert, wozu die Evolution 3,8 Milliarden Jahre gebraucht hat. Oder?

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Quak-Quak!!

(25. Mai 2010)  Man glaubt es kaum: Eine Science-Veröffentlichung eines prominenten  US-Forschers reicht, um Deutschlands Wissenschaftsjournalisten in hysterische Hühner zu verwandeln. „Die Menschheit kann Leben schaffen". „Craig Venter spielt Gott". – Jaja, ist schon recht. Seien wenigstens Sie, liebe Laborjournal-Leser, besonnener und glauben Sie bitte nicht all den Blödsinn, den Deutschlands hysterische Wissenschaftsjournalisten mal wieder voneinander abschreiben.

Lesen Sie lieber die Originalpublikation

Lesen Sie lieber das Originalpaper der Herren Venter, Smith, Gibson und Co. Die Überschrift allein reicht eigentlich schon: „Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome" (Science DOI: 10.1126/science.1190719). Äh, wie war das? Leben schaffen? Davon steht da doch gar nichts?! Genauso ist es!


Naja, aber vielleicht steht ja was im Abstract? Na gut, schauen wir mal:

"We report the design, synthesis, and assembly of the 1.08-Mbp Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 genome starting from digitized genome sequence information and its transplantation into a Mycoplasma capricolum recipient cell to create new Mycoplasma mycoides cells that are controlled only by the synthetic chromosome. The only DNA in the cells is the designed synthetic DNA sequence, including "watermark" sequences and other designed gene deletions and polymorphisms, and mutations acquired during the building process. The new cells have expected phenotypic properties and are capable of continuous self-replication."


Hm. Im Abstract steht offensichtlich nichts davon, dass Craig Venter „Leben geschaffen" habe. Die werten US-Kollegen aus San Diego, Kalifornien und Rockville, Maryland, haben lediglich aus zumeist natürlichen Sequenzmotiven plus einiger selbst ersonnener „Wasserzeichen"-Sequenzen ein künstliches Bakterienchromosom zusammengebastelt (beziehungsweise die Vorläufer-Stücke von einer Gensynthesefirma zusammenbasteln lassen), das Chromosom in eine lebende(!) Zelle gebracht und die damit entstandene, teil(!)synthetische Zelle zur Vermehrung gebracht – zwar eine wissenschaftliche und vor allem bioingenieurtechnische Meisterleistung, keine Frage, die jedoch von „Leben schaffen" ungefähr soweit entfernt ist wie das erfolgreiche Öffnen einer Haustüre vom Bau des gesamten Hauses.

 

Immerhin besteht selbst so'n oller Prokaryont aus etwas mehr als einem bloßen Stückchen DNA. Beispielsweise einer Membran, Ribosomen, Thylakoiden, Cytoplasma, ...

 

Nennen wir die Angelegenheit also vielleicht besser Genom-Austausch-Projekt („GAP"). Einverstanden? Die US-Forscher tun's doch auch: "...the design, synthesis, and assembly of the [...] genome [...] and its transplantation into a [...] recipient cell ..."
 
Venter war's! Ganz allein!!
 
Mal ganz abgesehen davon, dass Venter den Genomtausch in den erwähnten Mycoplasma-Zellen nicht allein vollbracht hat, sondern sein vieldutzendköpfiges Team – allein das Paper hat 24 Autoren (unter anderem Nobelpreisträger Hamilton Smith), und all die zusätzlich beteiligten TAs, Roboter und Mitarbeiter der Gensynthesefirmen sind noch nicht mal aufgeführt. Aber (laut Presse): Venter war's! Na gut.
 
Und auch mal abgesehen davon, dass all das nicht „jetzt" geschehen ist, wie z.B. eine Spiegel-Autorin (die zu allem Überfluss auch noch „promovierte Biochemikerin" ist) hingerissen schreibt, sondern im Verlauf jahrelanger, empirisch vorangetriebener und vielmals gescheiterter Versuche. Das muß man erst mal kapieren: „Jetzt" beim Spiegel = im Laufe mehrere Jahre.  
 
Naja, Boulevardjournalismus halt. Der weite Rest der deutschen Presse folgt dem Leitmedium aus Hamburg und faselt Ähnliches. Besonders intelligent gibt sich der langjährige Kommentarchef der Welt am Sonntag im Schwesterblatt Die Welt. Voilá: „Forscher Craig Venter erschafft künstliches Leben. WIR SIND GOTT! Es ist eine Jahrtausendsensation. Was bisher
Gott oder den Göttern vorbehalten war, das machen nun Menschen
." (und genauso dämlich geht's dann noch viele lange Absätze weiter).

Auch bei der Financial Times Deutschland hat „Genpionier Craig Venter erstmals künstliches Leben geschaffen", bei der Süddeutschen heißt es grottenfalsch und sensationshungrig (über einem ansonsten lesenswertem Artikel) „Künstliches Leben: Premiere Craig Venter spielt Gott" – und der erwähnte Spiegel kriegt sich gar nicht mehr ein: Erster künstlicher Organismus. Die Menschheit kann jetzt Leben schaffen. Und am achten Tag erschuf Craig Venter künstliches Leben."

Anderwo brachte man gleich noch mehr durcheinander. Sky News etwa behauptet, dass Venters Team einen Eukaryonten(!) tranformiert habe („...was then inserted into the yeast cell, replacing its native DNA").  Der Organismus der Wahl war aber eine Mycoplasma-Zelle (ein Bakterium) – genauer: zwei verschiedene Mycoplasma-Arten (dazu später mehr).
Ok, zwar kommen im Originalpaper Hefen vor; S. cerevisiae-Zellen dienten in den vorbereitenden Genomsynthese-Schritten quasi als „Zwischenwirt" für die größeren Fragmente des herzustellenden synthetischen Genoms. Doch Sky News spricht nicht von Zwischenschritten, sondern vom Ergebnis. Dabei können die doch englisch, sollte man meinen.
 
FAZ rettet den deutschen Journalismus
 
Einzig die Frankfurter Allgemeine Zeitung bleibt besonnen: „Craig Venter hat ein synthetisches Chromosom hergestellt und in einer Zelle gestartet."  
 
Bingo, genauso ist es. Gratulation nach Frankfurt, die dortigen Wissenschaftsredakteure und den besonnenen Chef vom Dienst, der über ein sachliches Kurzinterview mit Craig Venter keine reisserische Titelzeile setzte.

 

Die Zeit zog am Mittwoch nach und brachte eine ebenfalls sachliche Titelgeschichte, deren Quintessenz in einem Zitat von Nobelpreisträger David Baltimore gipfelt, das leider so nicht richtig ist: Venter habe kein neues Leben erfunden, habe Baltimore laut Zeit gesagt, "er hat es nachgemacht". Falsch, Herr Baltimore. Venter & Co. haben kein Leben nachgemacht, sie haben lediglich DNA nachgemacht. 

 

Garniert ist der Zeit-Artikel mit einem kreuzlangweiligen und zudem naiven Kurzbeitrag von Arthur L. Caplan (laut Zeit "einer der profiliertesten Bioethiker der USA"). Sollte Amerika wirklich nicht mehr zu bieten haben als derlei konturloses Geschwätz? Kann ich nicht glauben. Jeder mittelmäßige deutsche Blogger hat weit mehr zu sagen.

 

Also nochmal, was haben Gibson et al. gemacht? Eben das hier:
 
1. VORHER: Lebende Bakterie A mit Genom „Evo" (Typ Evolution).
2. Genom „Devo" (synthetisch aus Fertigbausteinen, die man der Evolution abgekupfert hat, zusammengebastelt).
3. Dieses schrittweise in Hefezellen und letztlich in genomfreie Bakterienzelle B (andere Spezies!) gebracht.
4. NACHHER: Lebende Bakterienhülle B mit Genom „Devo" (Typ Evolution, leicht variiert). Verhält sich wie Bakterie A.

Allerhand interessante Details  
 
Schade, dass sich die deutsche Presse mit Ausnahme der FAZ derart in Sensationsgier verzettelt – und die vielen im zwölfseitigen Gibson et al.-Paper enthaltenen, interessanten Details weitgehend ignoriert hat. Beispielsweise, dass ...

... die ursprüngliche Idee für das oben geschilderte und 2010 vollendete Genom-Austausch-Projekt („GAP") bereits um 1995 entstanden war, nachdem Venters Team das Genom von Mycoplasma genitalium sequenziert und publiziert hatte (Science 1995; 270(5235):397-403; M. genitalium gehört übrigens, neben Nanoarchaeum, zu den Organismen mit den kleinsten bekannten Genomen und erschien den Forschern daher besonders geeignet für ihr Erstlingswerk).

... die künstlich zusammengebastelte, 1,08-Mbp kleine Bakterien-DNA eine modifizierte Version des Genoms von M. mycoides darstellt, die Empfängerzelle hingegen von einer ganz anderen Art ist (nämlich ein Vertreter von M. capricolum, einem Erreger, der bei Ziegen schwere Arthritis und Lähmungen verursacht);

... die Wissenschaftler ausgeklügelte Methoden nutzten, mit denen sie ihr allmählich „wachsendes" Bakteriengenom vorübergehend als Plasmid (YCP) in Hefezellen klonierten und anschließend dort wieder herausholten;

... der bakterieneigene DNA-Methylierungsprozess den US-Forschern anfangs erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Holt man nämlich das in Hefezellen zwischengelagerte Bakteriengenom wieder aus diesen heraus und transplantiert es in die Empfängerzelle (M. capricolum), so wird es dort von Restriktionsenzymen abgebaut, da es nicht methyliert (= vor Abbau geschützt) ist. Was tun? Der Trick bestand darin, entweder die DNA vor der Transplantation mittels „purified methylases" oder bakteriellen Rohextrakten zu methylieren, oder alternativ das Restriktionssystem der Empfängerzelle zu zerstören („by simply disrupting it");

(ob das wirklich so einfach geht, können Sie gerne mal im heimischen Labor nachzukochen versuchen – beschrieben wird's jedenfalls hier: C. Lartigue et al., Science 2009; 325, 1693);

... das resultierende Gesamt-Genom aus anfänglich 1078 DNA-Stückchen zusammengestückelt wurde, ein jedes 1080 bp lang, hergestellt von der US-Gensynthese-Firma Blue Heron (Bothell, USA);

... eine schnöde, einzelne Basenpaar-Deletion beinahe das gesamte Unternehmen zu Fall gebracht hätte. Die resultierende Leseraster-Verschiebung im dnaA-Gen (essentiell für die Replikation der Bakterien-DNA) blieb lange unbemerkt und verzögerte den Fortgang der Experimente „for many weeks".

... dass die letztlich geglückte „Transplantation" der bakteriellen DNA, verbunden mit zahlreichen Replikations-und damit Teilungszyklen, beweist, dass wirklich die DNA (und nicht etwa im Zellplasma verbliebene Proteine) für die Eigenschaften eines Organismus verantwortlich sind: Die resultierende Zelle habe sich gemäß ihrem frisch implantierten Genom wie eine M. mycoides-Zelle verhalten – und nicht etwa wie eine M. capricolum-Zelle, die sie ja ursprünglich einmal gewesen war.

... sowie jede Menge weiterer spannender Details, die Sie am besten selber in der Science-Originalpublikation nachlesen.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.03.2013