Editorial

Der Fehlerbalken im Auge des Forschers

"Der Charité-Skandal" -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.

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Da biegt sich der (Fehler-)Balken

Folge 1: Die Kontrahenten


Was ist dran an der Sache?

 

Die Sachlage ist kompliziert. Sie ist so kompliziert, dass sie sich nicht mehr im Rahmen eines Artikels beschreiben lässt. Wir servieren Ihnen den Fall deswegen scheibchenweise online in täglichen Fortsetzungen.

 

Auslöser der Affäre war eine Auseinandersetzung zwischen zwei Nachwuchsforschern.


Markus Kühbacher, Jahrgang 1967, schlug bei der Bundeswehr die Offizierslaufbahn ein und schied als Hauptmann aus. In dieser beruflichen Funktion gehörte „die Ermittlungstätigkeit in dienst- und strafrechtlich relevanten Angelegenheiten zum Tagesgeschäft“. Anschließend ließ sich Kühbacher zum Umweltingenieur ausbilden. 2004 promovierte er auf einer Hausstelle (100% BAT IIa) über „Untersuchungen zur Identifizierung und Lokalisierung von metall- und metalloidhaltigen Proteinen im zentralen Nervensystem und männlichen Reproduktionssystem“ am Helmholtz-Institut, Berlin, früher Hahn-Meitner-Institut (HMI). Kühbachers Doktorvater war Dietrich Behne. Nach der Pensionierung Behnes übernahm Antonios Kyriakopolous Behnes Gruppe und Kühbacher arbeitete unter Kyriakopoulos als Postdoc weiter. Kühbachers Stelle ist auf Ende 2010 befristet.

 

Nicolai Savaskan, hatte 2002 an der HU Berlin bei Robert Nitsch über „Der Einfluss von membranassoziierten Faktoren bei der Entwicklung des Hippocampus“ promoviert. In der Gruppe Nitsch, am Zentrum für Anatomie, arbeitete Savaskan bis Ende 2003. Dann ging er als Postdoc nach Amsterdam ans Nederlands Kanker Instituut. Bis Mitte 2007 forschte Savaskan mit verschiedenen Stipendien (intramurales Habilstipendium, DFG-Forschungstipendium, Human Frontier Science) über das Neuritenwachstum induzierende Membranprotein PRG3. Mitte 2007 zog er nach Zürich, um in der Gruppe von Martin Schwab seine transgene Maus (sie überexprimiert PRG3) auf verstärktes regeneratives Wachstum im Rückenmark zu prüfen. Im Mai 2008 bewarb sich Savaskan um eine Stelle als W2-Professor am Berliner Institut für Zell- und Neurobiologie (dem Institut seines Doktorvaters Nitsch). Leiter der Berufungskommission war Rüdiger Veh. Im November 2008, das Human Frontier Science Stipendium war gerade abgelaufen, erhielt Savaskan den Ruf.

 

Es fing harmlos an.


Die Zusammenarbeit zwischen dem Doktoranden Kühbacher und Savaskan hatte 2001 begonnen. Savaskan wollte die Auswirkungen von Selenmangel auf das Nervensystem studieren und bat das HMI um Selenmangel-Ratten (Se- Ratten). Diese wurden Savaskan zur Verfügung gestellt. 2003 kam es zu einer gemeinsamen Publikation von Savaskan und Kühbacher im Faseb J. 17, 112-114. Nach Savaskan habe sich Kühbacher bei dieser Publikation Verdienste erworben, indem er dafür gesorgt habe, dass die Se- Ratten schnell verfügbar waren.

 

Auf Initiative von Kühbacher sei 2002 ein weiteres Projekt angefangen worden, sagt Savaskan. Darin sollten die Proteomdifferenzen zwischen normal ernährten (Se+) und Selenmangel (Se-)-Ratten untersucht werden. Kühbacher habe dazu 2D-Gele gefahren und Gewebeschnitte untersucht, die er, Savaskan, geliefert habe. Die Arbeit habe sich bis Ende 2007 hingezogen. Es sei deswegen zu Verstimmungen gekommen. Savaskan: „Der Kühbacher kam nicht aus den Puschen.“

 

Kühbacher dagegen sagt, er habe Dezember 2001 bis Januar 2002 Pilotexperimente mit den Schnitten von Hirnen und Hoden 75Se markierter Se- und selenadäquat ernährter (Se+) Ratten gemacht. Diese Schnitte habe er selbst hergestellt, Savaskan habe die Filme der Autoradiogramme geliefert. Die Ergebnisse seien scheinbar nicht sexy gewesen und daher liegen geblieben. Mit den Proteom Experimenten - mit 75Se markierten Organen - habe er erst 2006-2007 begonnen. Savaskan habe damit nichts zu tun gehabt. Er, Kübacher, habe schließlich ein Manuskript über seine Proteom-Experimente geschrieben und die Experimente von 2001/2 mit aufgenommen. Da an diesen Savaskan beteiligt gewesen sei, sei er mit dem Manuskript zu Savaskan gegangen und habe ihn gefragt, ob er einverstanden sei. Savaskan habe unter der Voraussetzung zugestimmt, dass er Seniorautor werde.

 

Obiges Manuskript mit dem Titel „Priorities in the hierarchy of selenium homeostasis: brain region-specific uptake of selenium-75 and expression of selenoproteins in selenium deficient rats“ (Ms1) wurde fünfmal umgeschrieben. Es existieren also fünf sukzessive Versionen. Von den ersten vier Versionen behauptet Kühbacher, er hätte sie allein erstellt. Die 5. und letzte Version sei vom 18.1. bis zum 21.1.2008 von Savaskan bearbeitet worden.

Nocheinmal: Kühbacher behauptet, Ms1 stamme im wesentlichen von ihm. Savaskan behauptet, er habe Ms1 geschrieben, Kühbacher habe den Text nur korrigiert und mitgeschrieben. Strittig ist auch, wer die Schnitte gemacht hat.

 

 

von Hubert Rehm

 

Als PDFs zum Download:

 

MS1 v4

MS1 v5

Ms2

Dalla Pu


Was bisher geschah:

Folge 1: Die Kontrahenten

 

Folge 2: Der Krach

 

Folge 3: Die Affäre eskaliert

 

Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück

 

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters

 

Folge 6: Vermittlungsversuche

 

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen

 

Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an

 

Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab

 

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme

 

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Folge 13: Juristische Nullnummer

 

Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein

 

Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Folge 16: Seltsame Endziffern

 

Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar

 

Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen

 



Letzte Änderungen: 09.08.2010