Editorial

Brauchen wir wirklich einen Mann?

Spontane Jungfernzeugung beim Menschen? Gibt es das, außerhalb der Köpfe katholischer Fundamentalisten oder denen von Eso-Spinnern? Die ungeschlechtliche Fortpflanzung ist beim Menschen wissenschaftlich nicht belegt. Evolutionsbiologisch betrachtet wäre das aber eine effiziente Art, Nachkommen zu generieren. Kein Stress mit der „Beschaffung“ eines Fortpflanzungspartners - man denke nur an all die sinnfreien und in der Retrospektive peinlichen Anbahnungsgespräche - keine energieraubenden sexuellen Praktiken...

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Junfernzeugung? Es bleiben Zweifel!

(21. Oktober 2009) Neulich an der Repro-Bench: Biologin Y bereitet die Eizellen von Patientin R für die ICSI  (Intracytoplasmatische Spermieninjektion) vor. Dazu wird der COC (cumulus oocyte complex) zerlegt in Cumuluszellen und die eigentliche Eizelle. Denudieren nennt man das. Cumuluszellen dienen im Follikel des Eierstockes gewissermaßen als Feeder-Zellen für die Eizelle. Für die Injektion des Spermiums müssen die Eizellen jedoch „nackich“ gemacht werden (denudieren, nude = nackt). Dies geschieht, indem der COC in eine Hyaluronidase-Lösung gebracht und mittels einer Kapillare, deren Innendurchmesser nur wenig größer ist als der Durchmesser einer Eizelle, mehrfach auf- und abpipettiert wird. Durch dieses Triturieren wird die Hyaluronan-Bindung zwischen Cumulus- und Eizellen biochemisch gespalten und mechanisch getrennt. Übrig bleibt die einsame injizierfähige Eizelle, die idealerweise die erste Reifeteilung absolviert hat (erster Polköper vorhanden) und sich in der Meiose II befindet.

 

Frau Y nimmt sich die Eizellen der Patientin R vor. „Was ist denn das!?“, stutzt Frau Y. Nicht eine Eizelle präsentiert sich ihr, sondern ein bereits geteilter vierzelliger Embryo..... Erschrocken stellt die Biologin das Kulturschälchen in den Brutschrank zurück und atmet tief durch. Zu kritischer Selbstreflektion von frühsten Biologenbeinen an erzogen, lässt Frau Y panisch alle Vorgänge der letzten Stunden im In Vitro Fertilisations (IVF)-Labor in Gedanken Revue passieren. Gab es eine Verwechslung mit dem Embryo einer anderen Patientin? Wurde in geistiger Umnachtung bereits eine Befruchtung durchgeführt? Nein, Frau Y ist sich absolut sicher: Dieser Embryo hat noch kein Spermium „gesehen“. Eine spontane parthenogenetische Befruchtung in vitro....! Das muss eine Hirngespinst sein. Doch am nächsten Tag stellt Frau Y bei der mikroskopischen Kontrolle der Embryonen von Frau R. fest, dass es sich weder um ein Hirngespinst noch um ein Artefakt handelt: der Embryo hat sich normgerecht weiterentwickelt zu einem Bilderbuch Achtzeller!

 

Alle im IVF-Zentrum verfügbaren Fachleute werden konsultiert. Die Bemerkungen reichen von „Ja,ja , haha! Das haben wir das letzte mal vor 2009 Jahren erlebt.... ! „ bis hin zu „Mensch, ich hab da neulich mal ein Buch gelesen, da wurde ein Fall von tatsächlich stattgefundener unbefleckter Empfängnis beschrieben.“ Alles sehr aufregend.

 

Während Frau Y noch recherchiert, ob es inzwischen möglicherweise neue Erkenntnisse gibt über eine asexuelle Fortpflanzung bei Säugern (schließlich liegt ihr Studium jetzt doch schon einige Jahre zurück), erscheint Frau R zu einer erneuten Behandlung. Sie war nicht schwanger geworden. Zum großen Erstaunen aller wiederholt sich das Phänomen in exakt derselben Weise auch bei dieser ICSI. Der Embryo teilt sich bis ins Achtzell-Stadium, arretiert dann und entwickelt sich nicht weiter bis zur Blastozyste. Es handelt sich offenbar um eine patientinnenspezifische, äußerst seltene Erscheinung.

 

Spontane Jungfernzeugung beim Menschen ist ein Thema, das Wissenschaftler immer wieder beschäftigt hat, letztlich aber (sieht man von einigen nicht ernst zu nehmenden parawissenschaftlichen Berichten ab) nie schlüssig belegt wurde. Dabei ist die ungeschlechtliche Fortpflanzung, evolutionsbiologisch betrachtet eine effiziente Art, Nachkommen zu generieren. Sie ist deshalb bei Pflanzen und niederen Tieren weit verbreitet. Kein Stress mit der „Beschaffung“ eines Fortpflanzungspartners, keine energieraubenden sexuellen Praktiken. Vor allem Populationen, die unter dem Druck stehen, für Ihre Arterhaltung schnell eine große Anzahl von Nachkommen zu bekommen, frönen der Jungfernzeugung. Der Nachteil der asexuellen Reproduktion: Da es sich quasi um biologische Klone der Mütter handelt, bleibt der Genpool konstant. Es gibt keine Rekombination, es entsteht eine genetisch degenerierte, instabile Population. Der Qualitätsmanager schreit auf: schnelle, hohe Output-Raten, aber keine Nachhaltigkeit, keine Qualität! Nun scheint dieses Prinzip hervorragend zu den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen zu passen. Und auch auf die im LJ online-Artikel „Moderne Liebe“ vom 15.10.2009 aufgeworfenen Fragen wäre es die optimale Antwort. Ich gebe zu, es klingt verführerisch – nur, Mädels, ist das wirklich, was wir wollen – langfristig die menschliche Population „versauen“?   

 

Im Tierreich war Parthenogenese lange nur bei Insekten bekannt, neueren Berichten zufolge sind aber auch Reptilien und Knorpelfische dazu in der Lage. So wurde im Zoo von Omaha, Nebraska, ein Hammerhai geboren, dessen Mutter nachweislich mehr als drei Jahre „abstinent“ gelebt hatte1. Zwar ist dieses Tier fähig, Spermien über lange Zeiträume im Körper zu speichern, doch wie um alles in der Welt sollen Spermien über Jahre hinweg motil und befruchtungsfähig bleiben? Der genetische Test bestätigte dann auch, dass es sich um einen Klon der Mutter handelte. Männliche DNA war nicht nachweisbar.

 

Sogar bei Säugern funktioniert es: Tomohiro Kono und Mitarbeiter publizierten schon 2004 in Nature die Vorstellung, dass paternales genomisches imprintig bei Säugern normalerweise eine Parthenogenese verhindert. Sie deletierten in Mäusen die dafür verantwortlichen Gene H19 und IgF2 und konnten mit der so entstandenen Mutante lebensfähige adulte Nachkommen erzeugen, die selbst auch fertil waren.2

 

Über die Erzeugung humaner Embryonen ohne Beteiligung von Spermien oder einem männlichen Genom könnte man das ethische Dilemma umgehen und menschliche Embryonen für Forschungszwecke generieren. Unbefruchtete Eizellen, die durch Spenderinnen zur Verfügung gestellt wurden (natüüürlich nicht in Deutschland!), werden mit Hilfe eines Kalziumionophors (z.B. Ionomycin) parthenogenetisch zur Teilung aktiviert. Diese Methoden funktionieren bei einer Vielzahl von Säugern.

 

Jedoch handelt es sich hier um experimentell induzierte Parthenogenese. Was aber geschah bei Patientin R?  Biologin Y kann nur spekulieren. Oder den zweifelhaften Kopfgeburten der Künstlerin Marianne Wex folgen: DNA Lichtschwingungen (sog. messbare Biophotonen, Laserstrahlen vergleichbar) könnten beim Menschen zu einer spontanen embryonalen Entwicklung führen. Beschwingte Befruchtung durch Licht? Esoterischer Rhabarber! Möglicherweise führte eine untypische Konstellation im Kalziumhaushalt der Patientin zu einer kalziumionophorähnlichen Wirkung und pharmakologischen parthenogenetischen Aktivierung. Denkbar wäre auch eine Instabilität des Oolemmas und der Zona pellucida, die dazu führt, dass der zunächst extrudierte Polkörper sich später mit der Eizelle wiedervereint. So wäre der diploide Zustand als Basis für eine artifizielle Teilung wieder hergestellt. Spekulationen - aber wenigstens möglich.

 

Auch die deutsche Rechtssprechung hält vieles für möglich: Im Jahr 2000 etablierte ein hessischer Richter die Jungfernzeugung als juristische Möglichkeit. Er sprach im Rahmen einer Scheidungsverhandlung dem Ehemann, der per DNA fingerprint eindeutig als Vater des 13-jährigen Sohnes ausgeschlossen worden war, die Vaterschaftspflichten inklusive Unterhaltsnachzahlungen in Höhe von 60.000 Mark zu. In der Urteilsbegründung hieß es: „Im Regelfall entsteht eine Schwangerschaft durch den Vollzug des Geschlechtsverkehrs. Ausnahmen sind wissenschaftlich ebensowenig auszuschließen, wie der sehr seltene Fall der Parthenogenese (unbefleckte Empfängnis)“. Damit sei nicht zweifelsfrei zu beweisen, dass die Frau die Geschichte der „unbemerkten Spermaübertragung“ erfunden habe.

 

Ist also ein männlicher Fortpflanzungspartner wirklich notwendig? Theologisch und juristisch vielleicht nicht, aber im wirklichen Leben eben doch: ob Sie das nun freut oder nicht.

 

Lina Scott

 

1 Einzmann, S.: Eine unerwartete Bescherung.

 

2 Kono, T. et al. „Birth of parthenogenetic mice that can develop to adulthood”, Nature, 22: 860-864, 2004

 



Letzte Änderungen: 04.03.2013