Editorial

Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak

Nicht wirklich überraschend kam die Nachricht aus Stockholm: Blackburn, Greider und Szostak erhalten den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für ihre Arbeit über Telomere und Telomerase.

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(5. Oktober 2009) Wieder einmal haben es die Juroren des Lasker-Preises vorgemacht: 2006 hatten Blackburn, Greider und Szostak den Lasker-Preis erhalten für die Lösung der Frage, wie lineare Chromosomen vervielfältigt werden können, ohne bei der Replikation der DNA die Enden zu verlieren.

Schon in den 30er Jahren hatten Wissenschaftler wie Barbara McClintock (auch Lasker- und Nobelpreisträgerin) und der Genetiker Hermann Muller (Nobelpreisträger, den die Laskerstiftung 'verpasste') beobachtet, dass die Enden von Chromosomen sich sehr speziell verhalten. Muller beobachtete, dass diese Enden nicht miteinander fusionieren, wie es andere, künstlich erzeugte DNA-Bruchstücke tun. Er nannte diese Enden Telomere nach den griechischen Worten 'telos' (Ende) und 'meros' (Teil). McClintock beschrieb 1941, dass künstlich zerstörte Chromosomen in Maiszellen erhalten und repliziert werden können, wenn sie mit Telomeren fusionieren.

1972 dann meinte James Watson (Lasker- und Nobelpreis), dass Organismen mit linearen Chromosomen eine Strategie entwickelt haben müssten, um die Enden der Chromosomen zu erhalten, weil die DNA-Polymerase das 3'-Ende linearer DNA-Moleküle nicht vollständig replizieren kann. Es musste also einen unbekannten Mechanismus geben, der diese Enden erhält.

Der bis dahin unbekannte russische Wissenschaftler Alexey Olovnikov verknüpfte Watsons Replikationsproblem und die 1961 von Leonard Hayflick beschriebene Theorie der Alterung zu einer neuen Theorie. Olovnikov postulierte, dass die mit dem Alter beobachtete Verkürzung der Telomere auf ein Problem mit der Replikation der Chromosomenenden zurückzuführen sei – somit die Telomere eine Art innere Uhr für das Alter der Zelle darstellen. Olovnikov meinte, der Verlust der Telomere lasse die Zellen altern und schließlich, wenn die Chromosomenenden endgültig verloren seine, zu deren Tod. Nachprüfen ließ sich diese Idee aber damals nicht.

 

Ende der 80er Jahre kamen nun die jetzt frisch gebackenen Nobelpreisträger ins Spiel. Die in Australien geborene Elizabeth Blackburn entdeckte im Labor von Joseph Gall, dass die Enden der Minichromosomen von Tetrahymena thermophila mit Wiederholungen der Sequenz CCCCAA enden.

Gemeinsam mit dem Hefegenetiker Jack Szostak fusionierte Blackburn diese Sequenzen an ein künstliches Hefechromosom – und siehe da, dieses replizierte wie natürliche Chromosomen. Dann fanden die Forscher Wiederholungen von DNA-Sequenzen auch an den Enden der Hefechromosomen. Diese Hefe-spezifischen Enden hatten die Hefezellen an die Hefe-Tetrahymena-Konstrukte angefügt. Diese Experimente brachten die ersten künstlichen Hefechromosomen hervor.

Blackburn und Szostak vermuteten, dass ein spezielles Enzym sowohl die Hefesequenzen an die Tetrahymena-Enden addiert als auch bei natürlichen Chromosomen die Enden auffüllt.

Diese Theorie war ganz neu und widersprach den damaligen Vorstellungen. In einem Interview, das Laborjournal mit Elizabeth Blackburn letztes Jahr auf dem Genetikkongress in Berlin führte, sagte die Forscherin dazu: "Ich war noch sehr jung, weiblich – damals gab es nicht viele Frauen in der Wissenschaft – und ich war ziemlich unsicher. Zurückblickend muss ich sagen, dass ich mich damals sehr zurückhaltend verhalten habe."

Mit ihrer Studentin Carol Greider machte sich Blackburn auf die Suche nach dem Enzym. Weihnachten 1984 fanden sie die Telomerase, wie sie das Molekül nannten.

 

Inzwischen ist die Telomer/ase-Forschung aus der Biologie nicht mehr wegzudenken. Tatsächlich zeigte sich, dass

  • langlebige Frösche und Vögel besonders aktive Telomerase und lange Telomere haben;
  • gesunder Lebensstil die Aktivität von Telomerase unterstützt;
  • bis zu 80 Prozent aller Krebsarten sehr hohe Telomerase-Aktivität haben;
  • Melanomzellen ihr malignes Wachstum einstellen, wenn man sie die Telomerase inhibiert;
  • gesundes Altern mit Telomerase-Aktivität korreliert;
  • die Telomerlänge bei Menschen mit dem selbst empfundenen Stress im Leben korreliert;
  • die Telomerlänge und die Aktivität von Telomerase in Hefe durch mindestens 150 Gene gesteuert wird.

Blackburn sagte in Berlin: "Die Telomerase-Aktivität ist sehr komplex gesteuert, etwa vergleichbar mit dem Cholesterinspiegel. Aber ich bin sicher, dass man diese, wenn auch komplizierte, Steuerung ausnutzen kann, um Krankheiten wie Krebs zu behandeln und vielleicht auch, um ein gesundes Altern zu ermöglichen."

Von Stockholm wurden nun erstmals wieder Frauen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet – zwei Frauen, die sich seit langem auch für die Verbesserung der Situation von Wissenschaftlerinnen einsetzen.

 

Karin Hollricher


Foto Elisabeth Blackburn von Karin Hollricher

Foto Jack Szostack von KNAW Amsterdam

Foto Carol Greider von Gerbil



Letzte Änderungen: 04.03.2013