Editorial

Das Meeting von Morgen

Die Veranstalter von wissenschaftlichen Konferenzen stecken in einer Zwickmühle. Sollen sie Vorträge und die Diskussionen dazu auf ihrer Website zugänglich machen? Sollen sie Konferenzteilnehmern die Benutzung sozialer Medien wie Blogs, Twitter und FriendFeed erlauben oder nicht?

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(4. August 2009) Bei der International Conference Intelligent Systems for Molecular Biology 2008 in Toronto entstand aus dem Online-Austausch während des Meetings ein Konferenzbericht (PMID: 19180175). Im Rahmen des "Polymath1-Projekts" lösten Mathematiker im Blog des Cambridge-Wissenschaftlers Tim Gowers gemeinsam mathematische Fragestellungen. Dies zeigt: Soziale Medien machen den Austausch von wissenschaftlichen Daten schneller und effizienter. Dadurch heizen sie die wissenschaftliche Diskussion auf einer breiten Basis an. Sie fördern die Modell- und Hypothesenbildung und die wissenschaftliche Zusammenarbeit.

Über Blogs, Twitter & Co. können neue Forschungsergebnisse aber auch unmittelbar global verbreitet werden - die Empfänger bleiben im Dunkeln. Es braucht daher klare Regeln für die Benutzung sozialer Medien auf Wissenschaftskonferenzen. Sonst lohnt es sich bald nicht mehr, die teilweise beträchtlichen Kongressgebühren und Reisekosten aufzubringen, da jeder aus Angst vor Konkurrenten oder zum Schutz möglicherweise patentierbarer Arbeiten nur noch Altbekanntes und längst Veröffentlichtes vorstellt.

Soziale Medien keine neuartige Bedrohung...

Die Bloggergemeinschaft zeigt zum Teil Verständnis für die Ängste der Wissenschaftler vor dem Überholtwerden. Die Konkurrenz säße bei Meetings aber ohnehin schon im Publikum. Die Gefahren des Live-Bloggens bei Meetings seien daher überzeichnet, kommentiert Daniel MacArthur auf scienceblogs. Wissenschaftler könnten im Gegenteil von der Online-Diskussion über ihre Arbeit profitieren. Blogger Nils Reinton hält Einschränkungen des freien Informationsaustauschs bei Konferenzen nahezu für Zensur und Meetings unter Ausschluss der Öffentlichkeit für geheimbündlerische Veranstaltungen.

Auch Konferenzveranstalter sind geteilter Meinung über den Einsatz sozialer Medien. Der Geschäftsführer der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie e.V. (GBM), Manfred Braun, sagte gegenüber Laborjournal, die GBM beabsichtige derzeit nicht, soziale Netzwerke wie Twitter in naher Zukunft selbst einzusetzen oder ihren Gebrauch durch Meetingbesucher einzuschränken. Das Wesentliche an Meetings sei das persönliche Zusammentreffen und Kennenlernen. "Das ist durch Online-Medien nicht zu ersetzen", so Braun. Prinzipiell sei der elektronische Informationsaustausch schon jetzt möglich, zum Beispiel über E-Mail. Die sozialen Netzwerke böten seiner Einschätzung nach keine prinzipiell neue Möglichkeit der Verbreitung von wissenschaftlichen Daten und seien deshalb keine neuartige Bedrohung. "Eine Präsentation auf einem wissenschaftlichen Kongress stellt eine Veröffentlichung der Daten dar. Dessen sollten sich die Vortragenden immer bewusst sein", so Braun. Bei der Vorstellung patentfähiger Daten sei deshalb ohnehin Vorsicht geboten.

... oder Präsentation neuer Daten nur unter besonderem Schutz?

Die Gesellschaft für Genetik (GfG) will auf ihrer diesjährigen Konferenz erstmals einen Meeting-Blog einrichten - mit Spielregeln. "Wir werden zu Beginn der Konferenz darauf hinweisen, dass die Weitergabe von Informationen in öffentlichen Medien nur mit Genehmigung der Sprecher erfolgen darf", sagte Wolfgang Nellen, Vizepräsident der GfG. Das Besondere der Konferenz sei, dass auch unpublizierte, neue Daten präsentiert und diskutiert werden könnten. Das dürfe nicht verloren gehen.

Die GfG wird bei den Konferenzteilnehmern nachfragen, ob sie bei zukünftigen Konferenzen weitere Medien wünschen. Chatplattformen könnten im nächsten Jahr kommen. "Wie diese Plattformen dann zugänglich gemacht werden, bedarf sorgfältiger Überlegungen", so Nellen. Bereits beim Internationalen Genetik-Kongress 2008 in Berlin sind einige Präsentationen aus der Lehre kostenfrei online gestellt worden. Es habe eine beachtliche Zahl von Downloads und Zugriffen gegeben. Kostenfreie Downloads zu generellen Themen kann sich die GfG auch in Zukunft vorstellen. Kostenpflichtige Angebote zu speziellen, aktuellen Forschungsarbeiten seien zu aufwändig und zu problematisch, so Nellen gegenüber Laborjournal.

Das "Shake Hands" bleibt wichtig

Die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. bietet seit 2008 Vorträge und Poster des Deutschen Krebskongresses gegen Bezahlung online auf ihrer Website an. BioConference Live geht noch einen Schritt weiter und veranstaltet im November diesen Jahres eine kostenlose virtuelle Konferenz mit dem Schwerpunkt Lebenswissenschaften und Biotechnologie. Auf dem Programm stehen Videovorträge und virtuelle Posterpräsentationen mit der Möglichkeit zur Live-Diskussion online.

Zugegeben, die virtuelle Konferenz ist umweltfreundlich und bei knappen Mitteln attraktiv. Die Sprecher erreichen ein großes Publikum. Aber können Online-Konferenzen traditionelle Meetings ersetzen? Nein, meint Daniel Martins-de-Souza, Postdoc am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und einer der Vortragenden bei der Internetkonferenz. Um jemandem Vertrauen zu schenken, müsse man ihn persönlich treffen. Seiner Ansicht nach kommen auf Meetings erfolgreiche Kollaborationen vor allem dadurch zustande, dass die Beteiligten die Gelegenheit haben, sich persönlich kennen zu lernen. Nichts könne das "Shake Hands" ersetzen.

Klare Regeln nötig

Jedoch geht es auf großen Meetings hektisch zu, interessante Sessions überschneiden sich zeitlich und gerade bekannte Wissenschaftler sind oft nur kurze Zeit anwesend. Nicht immer kann man den gewünschten Gesprächspartner persönlich erreichen oder eine Frage anbringen. Als Ergänzung zu traditionellen Wissenschaftskonferenzen erscheint der Einsatz von sozialen Medien und die Online-Präsentation von Vorträgen und Postern bis hin zur Internetkonferenz sinnvoll. Man erhält zusätzliche Möglichkeiten, neue Fakten zu erfahren, sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen.

Spielregeln müssen aufzeigen, welches Ausmaß an Öffentlichkeit erlaubt ist. Sonst wird der Wettbewerb in der Forschung ruinös.



Bettina Dupont

Bild: Fotolia/caraman


Letzte Änderungen: 04.03.2013