Editorial

Wann sind Drittmittel illegal?

Grauzone Industrieförderung und Korruptionsverdacht

Mitte der Neunziger deckte die Staatsanwaltschaft Wuppertal ein Korruptionsnetzwerk zwischen Klinikärzten im ganzen Bun-desgebiet und den US-Medizintechnikfirmen Medtronic, Sorin Biomedica und St. Jude auf. Bei rund 1800 Ärzten fanden die Staatsanwälte genug Belege für eine Anklage wegen Vorteilsnahme, Bestechlichkeit, Untreue oder Betruges. Grund: Sie hatten Provisionszahlungen der Unternehmen angenommen, die sie für den Kauf überteuerter Herzklappen belohnten.

Gesetzlich ungeklärte Grenze

Ein Teil der unerlaubten Zuwendungen floss zwar in die Forschung der Ärzte. Die Grenzen zum Privatem wurden aber regelmäßig überschritten - ob mit Reisen oder mit einem Buffet von Feinkost Käfer zur Antrittsvorlesung. Allerdings kam es in nur 21 Prozessen zur Verurteilung. So wurde etwa der deutsche Verkaufsleiter von Medtronic 1998 wegen Bestechung in 13 Fällen zu einer Haftstrafe von einem Jahr zur Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt. Die meisten Anklagen versandeten jedoch schon bald nach der Übergabe an die zuständige Staatsanwaltschaft - entweder, weil sie gar nicht erst aufgenommen wurden oder weil sie wegen zu geringer Schuld eingestellt wurden. Wer denkt, die Mediziner seien dabei gut weggekommen, hat nicht gesehen, welche Unsicherheit sich durch die Prozessflut in die bisher so selbstverständlichen Kooperationen zwischen Industrie und Klinik geschlichen hat. Denn die Grenze zwischen erwünschter Drittmitteleinwerbung und korruptionsverdächtigen Zuwendungen ist gesetzlich völlig ungeklärt. Um so dankbarer ist die Zunft nun dem Herzchirurgen Siegfried Hagl, den das Landgericht Heidelberg im Gefolge des Herklappenskandals wegen Vorteilsnahme und Untreue anklagte.

Anders als die meisten lehnte Hagl nämlich die vom Gericht angebotene Einstellung des Prozesses gegen Zahlung eines Bußgeldes ab. Als das Landgericht ihn daraufhin zu einer Geldstrafe verurteilte, ging er in Revision. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erstritt er eine fast vollständige Rehabilitation, die ganz nebenher als ein Musterurteil für die zukünftige Rechtssprechung in diesem Bereich gilt. Dass der Klinikchef ins Visier der Staatsanwaltschaft geriet, ist trotzdem nicht erstaunlich. Denn sein Sponsor hieß Med-tronic, und auch er erhielt Provisionen für den Kauf von Herz-klappen. Zudem hatte er ein eigenes Konto für die Verwaltung der Gelder eröffnet, das dem "Verein zur Förderung der Herz-chirurgie" gehörte - laut Hagl aufgrund der Trägheit der Klinik-verwaltung bei der Führung des offiziellen Drittmittelkontos.

Steigerung des Ansehens gilt als Vorteilsnahme

Da half es aus Sicht des Heidelberger Landgerichts auch nichts, dass dem Herzchirurgen keine persönliche Bereicherung vorgeworfen werden konnte. Denn nicht nur war das gesamte Medtronic-Geld in die Forschung seiner Abteilung geflossen, etwa in Geräte und die Einführung einer neuen Operationstechnik - er hatte sogar Privatvermögen investiert. Vorteilsnahme läge trotzdem vor, urteilte das Gericht: Denn erstens seien die Gelder auch für Diensthandlungen, nämlich die Mitwirkung bei der Auswahl der zu beziehenden medizintechnischen Produkte geflossen. Zweitens dienten die Gelder der Befriedigung des Forscher-Ehrgeizes und der Steigerung seines Ansehens - was als Vorteil gewertet werden könne. Den Vorwurf der Untreue sah das Gericht in der umsatzabhängigen Zuwendung der Gelder bestätigt. Ein Rabatt, also eine teilweise Rückvergütung des Kaufpreises, hätte nämlich der Universitätsverwaltung zugestanden. Ein heimliches Umleiten der Gelder sei somit eine Veruntreuung. Beide Begründungen lehnte der BGH ab. Anders als die Angeklagten im Herzklappenskandal hatte Hagl die Medizintechnik nämlich nicht zu überteuerten Preisen gekauft. Eher lag der Einkaufspreis unterhalb der üblichen Listenpreise. Daher könne von einer Schädigung der Klinik auch nicht die Rede sein. Ergebnis: keine Untreue. Auch bei der Vorteilsannahme war der BGH skeptisch. So dürfe als Vorteil nur eine tatsächliche Besserstellung gelten, nicht eine mögliche Erhöhung der Reputation. Denn das hieße ja, dem Arzt gute Pflichterfüllung anzulasten, so der Richter.

Dennoch ließen auch sie die Vorteilsannahme gerade noch gelten. Die spektakulär neue Interpretation des BGH ist aber, dass die Annahme von Geld alleine - auch in Zusammenhang mit Diensthandlungen - Hochschulangestellten nicht vorgeworfen werden kann, da die Einwerbung von Drittmitteln nach Hochschulrecht nicht nur erlaubt, sondern als Dienstpflicht sogar vorgeschrieben ist. Schuld trifft den Mediziner laut BGH-Urteil daher nur deshalb, weil er die Geldbewegungen auf dem Konto des Fördervereins vor seinem Dienstherrn verheimlicht hat.

Ein hartnäckiger Chirurg

Das oberste Gericht sah die Tat in diesem Fall dennoch an "der unteren Grenze des überhaupt Strafwürdigen" und empfahl bei der Zurückverweisung an das Landgericht Heidelberg die Einstellung des Verfahrens. Das scheiterte jedoch an der Staatsanwaltschaft. So erteilte das Gericht Hagl schließlich eine "Verwarnung mit Vorbehalt" mit einer Geldbuße von 15.000 Euro wegen Vorteilsannahme in fünf Fällen. Das heißt: Der Herzchirurg gilt weiterhin als nicht vorbestraft, und von den ursprünglichen Vorwürfen der Untreue und Vorteilsannahme ist nur ein kleiner Rest übrig geblieben. Für Hagl hat sich das Durchfechten des Prozesses durch die Instanzen objektiv kaum gelohnt, hatte doch das Landgericht schon ganz am Anfang die Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld angeboten. Auch in diesem Fall wäre er nicht verurteilt gewesen und mit einer Geldbuße davongekommen. Welch Glück für den Rest der Forscher, dass er diese Art Schuldeingeständnis abgelehnt und dafür sechs Jahre Prozessmarathon auf sich genommen hatte. Das höchstrichterliche Urteil definiert nämlich erstmals klare Verhaltensregeln. Hält man sich an diese, kann schon der Verdacht der Korruption gar nicht mehr aufkommen.

Wissenschaftler dürfen demnach Industriegelder für ihre Forschung annehmen, wenn sie sich streng an das Hochschulrecht und die Drittmittelrichtlinien ihrer Uni halten. Einziger Wermutstropfen ist bislang, dass die Regelungen bundesweit so uneinheitlich sind. Je nach Bundesland sind die Vorgaben im Hochschulrecht unterschiedlich. Noch haben auch nicht alle Länder spezielle Regeln für das Drittmittelmanagement aufgenommen.

Langsam entstehen feste Regelungen

Um auf diesen Missstand hinzuweisen trafen sich im November Juristen und Mediziner zu einem Symposium. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Forderung nach einer bundeseinheitlichen Regelung im Hochschulrahmengesetz, sowie als Zusatz im Antikorruptionsgesetz. Die Chancen für eine Umsetzung stehen allerdings schlecht. Das Antikorruptionsgesetz ist erst 1997 nach den Erfahrungen mit dem Herzklappenskandal verschärft worden (der Hagl-Fall fiel aber noch unter die alte Version). Ein erneutes Ausbessern so kurz danach stößt auf wenig Gegenliebe der Politiker. Zudem liegt die Zuständigkeit für die Hochschulangestellten bei den Ländern, die nur wenig dafür übrig haben, wenn ihre Kompetenzen ins Hochschulrahmengesetz verschoben werden. Jeder Forscher, der Drittmittel aus der Wirtschaft einwirbt, sollte daher die jeweiligen Regeln seines Bundeslandes kennen. Auch wenn so manchem Wissenschaftler die Verwaltung schon als sein "natürlicher Feind" erschien - nur mit ihrer Hilfe ist man auf der sicheren Seite. Denn grundsätzlich gilt:

Alle Gelder müssen in den offiziellen Konten der Verwaltung geführt werden.

Informieren Sie ihre Verwaltung noch vor dem Start des Drittmittelprojekts. Sie sollte prüfen, ob die Annahme der Gelder in Kollision mit dem Gesetz gerät.

Unterzeichnen Sie niemals Verträge ohne einen Juristen aus der Hochschulverwaltung.

Ob bestimmte Zuwendungen privater oder dienstlicher Natur sind - etwa bei Kongressreisen, Bewirtungen und Übernachtungen - muss die Verwaltung entscheiden. Wer das Trennungsprinzip beachtet, hat strafrechtlich übrigens überhaupt nichts zu befürchten. Es besagt, dass Hochschullehrer, die Drittmittel von einer Firma bekommen, nicht gleichzeitig Umsatzgeschäfte mit diesem Unternehmen haben dürfen. Idealerweise sollte die Entscheidung über den Kauf von Produkten also jemand treffen, der kein Geld von den Herstellerfirmen bekommt.

In vielen Fällen dürfte dieser einfach klingende Grundsatz jedoch utopisch sein. Macht es doch erstens keinen Sinn, gerade denjenigen, der etwa an der Weiterentwicklung von Operationstechniken für die Herzklappen arbeitet, nicht an der Entscheidung zu beteiligen, welche Klappen angeschafft werden. Zweitens zeigt sich immer wieder, dass industrielle Drittmittelgeber schlichtweg nur denjenigen Wissenschaftlern Forschungsgelder zur Verfügung stellen, die auch die Produktentscheidung treffen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt... (von Brynja Adam- Radmanic)



Kommentar zum Thema

"There's nothing like a free lunch"

Warum Industriesponsoring in der medizinischen Forschung dem Staat keinen Pfennig spart.

Aus einer politischen Perspektive darf einem aufgrund der Eigeninteressen der Industrie bei der Drittmittelvergabe schon ein wenig mulmig werden. Denn auch wenn sich die Ziele der Kliniker und ihrer Sponsoren im Einzelfall einträchtig zu ergänzen scheinen, in den Gesetzmäßigkeiten kaufmännischen Denkens ist so etwas wie eine "Spende" nicht vorgesehen. Anders ausgedrückt: "There's nothing like a free lunch!"

Der Ursprung des Spruches liegt in einer Marketingaktion, die sich Wirte Ende des 19. Jahrhunderts ausdachten um Gäste anzulocken. Wirklich kostenlos war das Essen natürlich nicht, denn deren Unkos-ten mussten durch den Verkauf zusätzlicher Getränke wieder reinkom-men. Zur Not auch durch kräftiges Salzen der "kostenlosen" Mahlzeit. "There's nothing like a free lunch" entwickelte sich im Englischen seither zu einer augenzwinkernden und stets aktuellen Warnung an Kunden, dass sie auch die nettesten Werbegeschenke letztlich selbst bezahlen.

Politisch ist diese Perspektive deshalb, weil der Kunde, dem im Fall der industriellen Drittmittel etwas geschenkt wird, nicht etwa der Arzt ist, sondern die Gesellschaft. Wo immer möglich, zieht sich der Staat aus der Finanzierung von Forschung zurück und verpflichtet die Wissenschaft zur Einwerbung von Drittmitteln. Gerade in der medizini-schen Forschung klappt das sehr gut, denn wie man sieht, gibt es ge-nügend private Interessenten - Pharmafirmen und Unternehmen der Medizintechnik, die bereit sind, Ärzte zu umsorgen und zu finanzieren. Schauen wir uns aber doch mal an, wer diese vielen "free lunches" letzlich bezahlt. Es gibt nur einen Ort, wo diese Kosten wieder auftauchen können: in den Preisen der Produkte. Wo denn sonst? Und wer bezahlt Medikamente und Medizintechnik? Die Krankenkassen! Der Staat gibt die Forschungsfinanzierung also an die Wirtschaft ab, die sich das Geld einfach aus der anderen Tasche wieder rauszieht. Eigentlich schlau. Denn es ist ja vollkommen egal, ob die Auslagen über das Essen reinkommen oder über die Getränke. Hauptsache, es stimmt, was hinten rauskommt.

Nun mag der eine oder andere sagen: Recht so, dann fließt wenigstens so der Forschung noch ein wenig Geld zu. Angesichts der Kurzsichtigkeit der Politik vielleicht eine pragmatische Sicht. Der Preis, den Wissenschaft und Gesundheitswesen dafür zahlen, ist aber trotzdem zu hoch. Denn mit der "Lunch"-Rechnung im Hinterkopf ist der Verlust der Unabhängigkeit in der medizinischen Forschung noch viel schwerer zu ertragen.

Der Staat gibt Firmen Geld um Forscher für Marktgängigkeit zu belohnen. Er gibt ihnen Geld, damit nur die Forschung mit Produkten üppig finanziert wird, die die höchsten Gewinnspannen versprechen. Er gibt ihnen Geld, das letztlich dafür sorgt, dass die Preise im Gesundheitswesen sich immer weiter in die Höhe schrauben. Da kann man nur sagen: Gratulation! So macht Privatisierung Sinn. (von Brynja Adam-Radmanic)



Letzte Änderungen: 06.05.2004