Editorial

Inkontinenz am Inn: Von Blinden, Standhaften und Süppchenkochern (4)

Was bisher geschah: Die Innsbrucker EK entdeckt eine ihr nicht zur Stellungnahme vorgelegte Phase III Studie. Die Ausreden der Autoren werden nicht akzeptiert. Lancet und Hrabcik vom Bundesministerium werden informiert. Hrabciks Brief, soll die Autoren der Studie entlasten, ist aber juristisch unhaltbar.

(18.12.2008) Folge 4 - (Oktober 2007):

Überraschende Wendungen.

Ende Oktober 2007 hatten also Beamte des Gesundheitsministeriums Strasser und Czernich klargemacht, dass die EK hätte befasst werden müssen. Doch zuvor, Anfang Oktober, war es zu einem Treffen von Rektor Sorg mit Bartsch, Strasser, Marksteiner, Czernich und Scheil, Lukas, und Jennewein von der EK gekommen. Auf diesem Treffen, Anfang Oktober, hatte Czernich den Rechtsausführungen Scheils noch widersprochen. Er habe "europarechtliche Argumente", die gegen die Pflicht zur Befassung der EK sprächen. Welche Argumente das sind, verriet Czernich nicht. Auch später schwieg er sich darüber aus, obwohl ihn Scheil in den nächsten Wochen mehrfach aufforderte, die Argumente vorzulegen. Stattdessen verblüffte Czernich Mitte Oktober 2007 die EK mit der Mitteilung, die Diskussion um die EK-Vorlagepflicht sei müßig, weil die Lancet-Studie der EK ohnedies vorgestellt worden sei. Sie trage den Eingangsstempel der EK mit dem Datum 14.2.2001 und die Antragsnummer AN 1353. Die EK hätte jedoch die Behandlung wegen Unzuständigkeit abgelehnt, versicherte Czernich noch. Er ließ mehrmals durchblicken bzw. schrieb später ausdrücklich, daß sein Mandant Bartsch den Phase III Antrag (mit-)eingereicht und die Studie (mit-) durchgeführt habe.

In der Tat existiert im Bundesministerium für Gesundheit eine Kopie der ersten Seite dieses Antrags und sie trägt die Nummer AN 1353. Diese Nummer hatte die EK für die am 14.2.2001 beantragte aber stornierte Studie einer neuen medizinischen Methode (siehe Folge 1) vergeben. Als Prüfer der angeblichen Phase III Studie AN 1353 ist auf der Kopie Georg Bartsch eingetragen - allerdings ohne Unterschrift. Diese Kopie der ersten Seite (des mehrseitigen Antragsformulars) ist alles, was von dem Antrag vorhanden ist. Die EK, die den Antrag nie gesehen hat, kann ihn sich nicht erklären. Seltsam ist, dass ein erfahrener Forscher wie Bartsch, der die Unabdingbarkeit der Einhaltung der Phasenfolge bei Arzneimittelstudien kennen müsste, am gleichen Tag eine Phase I und eine Phase III Studie zum selben Projekt beantragt haben soll.

Des weiteren erfährt die EK, dass Strasser, obwohl die EK nur zu zwei Studien mit höchsten 25 und tatsächlich 21 Patienten positive Voten abgegeben hatte, von Oktober 2003 bis Juli 2007 353 Patienten mit seiner Methode behandelte. Patienten außerhalb von klinischen Studien mit einer experimentellen Therapie zu behandeln, ist in Österreich nur unter bestimmten Bedingungen rechtlich zulässig ("compassionate use") (siehe Folge 5). Diese Bedingungen trafen hier nicht zu. Die TILAK hatte für 200 dieser, weil noch nicht auf dem Stand der medizinischen Wissenschaft, illegal durchgeführten Behandlungen die Kosten für die Stammzellen übernommen und dafür 1,3 Millionen ¥ an deren Produzenten Innovacell gezahlt. 2006 waren diese Zahlungen eingestellt worden: Die TILAK wollte nur noch zahlen, wenn eine ordnungsgemäße Studie vorliege, was wiederum, wie schon erwähnt, Anlaß für Pinggeras Antrag auf eine Phase II Studie war.

Immer neue Unstimmigkeiten tauchten auf. Zwei Monate nach Erscheinungstermin der Phase III Studie bat der Chefredakteur von Lancet den Autor Strasser grundlegende Widersprüche zur Randomisierung in verschiedenen Manuskriptversionen aufzuklären. Offensichtlich hatten die Lancet Gutachter die Manuskripte schlampig gelesen.

Auch die Ergebnisse selber scheinen zweifelhaft: Als EK-Subkommissionsvorsitzender Glossmann andere Kliniken bat, ihre Erfahrungen mit Urocell mitzuteilen, stellte sich heraus, dass die Ergebnisse dieser Kliniken trotz gleicher Patientenauswahl und identischer Anwendung (manchmal sogar von Strasser selbst) weniger gut waren (außerhalb Innsbruck im Placeboprozentsatz, in Innsbruck 60-90% geheilt). Zudem traten Nebenwirkungen (Restharnbildung, Dranginkontinenz, bei Männern komplette Verschlüsse) auf, von denen Strasser nichts berichtet hatte.

Um zu einem Urteil über die eingereichte Pinggera Studie zu kommen, forderte Glossmann Rainer Marksteiner, damals Geschäftsführer von Innovacell und Coautor der Lancet Studie, am 26. Juni und am 4. Juli 2007 auf, eine anonymisierte Liste aller Patienten, die Muskelpräparate erhielten, einzureichen bzw. die Kulturbedingungen der Zellen näher zu spezifizieren (FCS/autologes Serum, Antibiotika). Glossmann wollte diese Information in der Patientenaufklärung der anstehenden Pinggera-Studie anführen. Im Oktober 2007 erbat Glossmann weitere Daten bei Zorica Petrovic (Wilhelminenspital Wien) über die Stammzellentherapie der Inkontinenz. Marksteiner weigerte sich, Daten zu übermitteln, Frau Petrovic lieferte Daten erst nach Drängen. Die Datenlage blieb also unklar und widersprüchlich. Daher verschob die EK ihre Entscheidung über die Pinggera Studie. Czernich, Bartsch und Strasser legten ihr das als Verschleppung aus.



Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 19.12.2008