Editorial

Tanz der Doktoren

Da sag noch einer, Wissenschaftler hätten keinen Sinn für das Schöne. Diejenigen, die kürzlich den Inhalt ihrer jeweiligen Doktorarbeit als Tanz aufführten, gaben sich zumindest viel Mühe. Und manche waren sogar richtig gut.

(12.12.2008) Lassen sich die Interaktionen in einem Hämoglobin-Molküls tanzen? Kann man die Rolle von Vitamin D für die Funktion der β-Zellen des Pankreas in einem Ballett darstellen? Oder sich wie eine DNA bewegen, die von einem Protein in eine Haarnadel-Schleife gebogen wird? Diejenigen Wissenschaftler, die sich kürzlich am Wettbewerb "Dance your Ph.D." -- zu deutsch: "Tanz deine Doktorarbeit" -- beteiligten, bekamen das jedenfalls spielend hin!

Zum zweiten Mal in diesem Jahr durften tanzfreudige Doktoren oder Anwärter auf diesen Titel im Dienst der Wissenschaft ihre Tanzbeine schwingen. Initiator des wissenschaftlichen Tanz-Spektakels ist John Bohannon, der für Science in seiner Kolumne "The Gonzo Scientist" regelmäßig über gelungene Überschneidungen von Wissenschaft mit Kunst und Kultur berichtet.

Zum ersten Mal bat Bohannon im Januar am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien zum Tanz. Zu den Höhepunkten des bunten Abends gehörten unter anderem der fulminante Ententanz Josef Penningers, dem wissenschaftlichen Direktors des Partner-Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA), der so seine Doktorarbeit über die Entwicklung von Thymuszellen in Hühnern in Szene setzte. Sein Kollege Gulio Superti-Furga, Leiter des Wiener Zentrums für Molekulare Medizin (CeMM), räumte mit einer mitreißenden Dance-a-trois-Version seiner Promotion gar einen der ausgeschriebenen Preise ab.

Anfang Oktober forderte Bohannon in Science gestandene Doktoren und solche, die es werden wollen, zu einem weiteren Tänzchen auf. Diesmal richtete Bohannon sich an Wissenschaftler in aller Welt: Die getanzten Doktorarbeiten sollten als Video auf der Internetseite YouTube Seite platziert werden. 36 Wissenschaftler folgten Bohannons Aufruf und tanzen und groovten, was das Zeug hielt. Gibt man "Dance your PhD" in das YouTube Suchfenster ein, kann man sie dabei betrachten.

Die mehrminütigen Tanz-Clips sind überwiegend von grauenvoller Qualität und zeigen meist wenig liebevoll inszenierte Hintergründe, wie schmucklose Tanzsäle, verlassene Laborräume oder karge Wohnzimmer. Die dargebotenen Tanzvorstellungen sind dagegen zum Teil ganz erstaunlich. Alleine die Vielfalt der Darstellungsformen beeindruckt: Ensembletänze, die in Größe und Aufwand dem russischen Staatsballet kaum nachstehen, finden sich neben Solo-Darbietungen und leichtfüßig wirkenden Tanzpaaren. Auch die Themen-Bandbreite ist weit gefächert und reicht von der "Entstehung von Zwerg-Galaxien" bis zur "Ökologischen Kontrolle von Phytopankton".

Ganz nach Gusto kann man also einen dieser Filme wählen und dann etwa Jennifer Shieh bei ihrem einsamen "Tanz eines wandernden Neurons" zwischen Sterilarbeitsbank, Kühlschrank und Arbeitsplatz zugucken. Freunde opulenterer Darbietungen kommen eher bei Lara Parks Tanz-Theater über die Regulierung von Darmkrebs auf ihre Kosten. Schön anzusehen ist auch der Ringelreihen von Kyle Gustavson über Turbulenzen, die magnetisch induzierte Fusionen bewirken. Ebenfalls einen Klick wert ist der fetzige "Microtus-Shuffle" von Danielle Lee, in dem sie durch ein Labyrinth von Buchsbaum-Hecken rockt.

So unterschiedlich der Inhalt der verschiedenen Videos, so variabel ist auch das tänzerische Niveau der Laien-Tänzer, von denen einige ganz offensichtlich mehr ihrer kostbaren Freizeit außerhalb des Labors in Tanzsälen oder auf Dance-Floors verbringen als andere. Mit Freude bei der Sache sind die forschen Tänzer jedoch alle. Wie oft bekommt man schon die Gelegenheit, seine Vorliebe für klassisches Ballet, Jazz-Tanz oder nächtelanges Abtanzen mit seinem geliebten Forschungsthema zu verbinden - abgesehen vielleicht von der Party, die sich in der Regel an die Verteidigung der Dissertation anschließt?

Die Tänze, bei denen die Verbindung von Wissenschaft und Kunst am besten gelang, wurden von einer neunköpfigen Jury prämiert, die sich aus Gewinnern des ersten "Dance your Ph.D."-Wettbewerbs, drei Harvard-Wissenschaftlern sowie drei Mitgliedern der Tanz-Gruppe Pilobus zusammensetzte. Preise wurden vergeben für den jeweils besten Doktoranden, Postdoc und Professor sowie für die meisten Video-Klicks, quasi der Publikumsliebling.

Die Kategorie Doktorand gewann Sue Lynn Lau vom Garvan Institute of Medical Research in Sydney, mit einem reizenden Medley aus klassischem Ballet und Party-Tanz über den Einfluss von Vitamin D auf die Funktion der β-Zellen. Die Neurowissenschaftlerin Miriam Sach von der University of California in San Diego gewann als bester Postdoc mit ihrem modernen Tanzsolo über die Verarbeitung von regelmäßigen und unregelmäßigen Verben im Gehirn. Unter den tanzenden Wissenschaftlern gehörten diese beiden Preisträgerinnen ganz klar zu den fortgeschritteneren Tänzern.

Weniger für den ausgefeilten Tanz-Stil, als für die gelungene Inszenierung gewann Vince LiCata, Biochemiker an der Louisiana State University in Baton Rouge, den Professoren-Preis. LiCata schickte ein rot gekleidetes Studenten-Quartet auf die Bühne, das nach Aerobic-Manier Kugeln austauschen musste, um ein Hämoglobin-Molekül bei der Arbeit darzustellen. Mit ihrer eleganten Tango-Version über das Protein TelK, welches die DNA in Haarnadelschleifen biegt, heimste schließlich die attraktive Halb-Bolivianerin, Halb-Francokanadierin Markita Landry, die an der University of Illinois Physik studiert, den Publikumspreis ein.

Alle Gewinner werden für ihre körperlichen Mühen mit einem weiteren Tanz entlohnt. Dieser wird von professionellen Choreographen erarbeitet, denen die Wissenschaftler per Email und Telefon einen ihrer wissenschaftlichen Artikel erklären müssen. Diese Publikationen werden dann in eine vierteilige Tanz-Aufführung umgesetzt, die "THIS IS SCIENCE" heißt und im Februar 2009 beim Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS), einer der Co-Organisatoren des Tanz-Wettbewerbs, uraufgeführt wird. Die Top-Tänzer werden die Aufführung ihrer Arbeit dort als Ehrengäste aus der ersten Reihe verfolgen.

Auch wenn diese neue Art der Wissenschafts-Vermittlung außerhalb der Scientific Community womöglich wenig Anklang findet, ist sie mit Sicherheit eine echte Bereicherung für bunte Institutsabende oder auch Weihnachtsfeiern im Kreis der Labor-Kollegen. Eine Sache stellt der Tanz der Doktoren jedenfalls einmal klar: Wissenschaft ist keineswegs nur weltabgewandte Erbsenzählerei, wie Nicht-Wissenschaftler häufig vermuten, sondern ebenso ein steter Quell von Fröhlichkeit!

Melanie Estrella



Letzte Änderungen: 12.12.2008