Editorial

Fördert Östrogen das Dominanzverhalten machthungriger Frauen?

Hormongesteuertes Streben nach Dominanz und Macht? Da denkt frau doch gleich an Testosteron-bedingten Intelligenzverschleiß bei bestimmten Vertretern des anderen Geschlechts. Ein deutsch-englische Studie versucht den Nachweis, dass auch bei Frauen der Machthunger hormongesteuert ist.

(14.05.2008 und 16.05.2008) Jetzt ist es raus: Frauen mit Machtinstinkt haben nicht zuviel Testosteron, sondern mehr Östrogen! Dies wollen Steven Stanton und Oliver Schultheiss von den Universitäten Michigan und Erlangen in einer Studie in Hormones and Behaviour (2007, 52:571-80) gezeigt haben (Artikel siehe hier). Selbst der Daily Telegraph griff die Studie auf und schrieb: "Oestrogen is the 'fuel of power'".

Stanton und Schultheiss bestimmten die Östrogen- und Testosteronspiegel im Speichel von Kandidatinnen zu verschiedenen Zeitpunkten vor und nach einem konkurrenzbetonten Reaktionsspiel am Computer. Alle Kandidatinnen waren Studentinnen und etwa 20 Jahre alt. Ein Teil der Kandidatinnen wurde zu Gewinnern erklärt, der andere Teil zu Verlierern. Die Gegnerinnen konnten einander bei der Verkündung der Ergebnisse beobachten.

Um die unbewusste Machtmotivation der Teilnehmerinnen zu bestimmen, mussten sich diese anhand von fünf Fotografien Geschichten ausdenken. Je aktiver und einflussreicher die Rolle der Erzählerin in diesen Geschichten, desto höher sei das unbewusste Bedürfnis, eine dominante Rolle einzunehmen, so Stanton und Schultheiss.

Die Studie behauptet: Unbewusst nach Macht strebende Teilnehmerinnen hatten bereits vor Beginn des Wettbewerbs einen höheren Östrogenspiegel als nicht machtmotivierte Teilnehmerinnen. Dies sei besonders deutlich bei alleinstehenden Frauen und bei Frauen, die nicht die Pille nahmen. Frauen mit Partner, die dazu noch die Pille nehmen, streben also weniger nach Dominanz?

Es geht weiter: Das unbewusste Bedürfnis nach Dominanz bestimme auch die kurzfristige hormonelle Reaktion auf Sieg oder Niederlage. Nach einem Sieg stieg bei machthungrigen Frauen der Östrogenspiegel an, nach einer Niederlage sank er. Stanton und Schultheiss vermuten einen Verstärkungsmechanismus: ein steigender Östrogenspiegel treibt die nach Dominanz strebende Gewinnerin an, ihren Machtanspruch weiterhin durchzusetzen. Ein sinkender Östrogenspiegel mindert nach einer Niederlage vorübergehend das Dominanzstreben und damit das Risiko weiterer Fehlschläge. Frauen mit geringem unbewussten Bedürfnis nach Macht reagierten anders. Nach einem Sieg sank ihr Östrogenspiegel, nach einer Niederlage stieg er leicht an.

Was wird hier verstärkt? Etwa eine Sucht nach Niederlagen? Wie fühlt man sich bei geringfügigen Veränderungen des Östrogenspiegels? Die Autoren hätten die Kandidatinnen danach fragen können. Was ist von solchen psycho-physiologischen Studien zu halten?

Die Studie tut sich methodisch schwer. So steht die Selbsteinschätzung des Dominanzstrebens (per Fragebogen), also der bewusste Machthunger, in keinem Zusammenhang mit dem Östrogenspiegel der Kandidatinnen. Warum ist das weniger wert als der "unbewusste" Machthunger? Erfordert Dominanzstreben nicht die überaus bewussten Eigenschaften Strategie und Kalkül und sollte daher in der Selbsteinschätzung klar zu Tage treten? Was sind die Messmethoden für "bewusste" und "unbewusste" Dominanz überhaupt wert?

Vielleicht lügen die Kandidatinnen alle bei ihrer Selbsteinschätzung – bewusst oder unbewusst? Wie kann die Bestimmung der unbewussten Machtmotivation anhand von erfundenen Geschichten kindliche Träumerinnen mit Größenphantasien und Kandidatinnen mit echtem Drang nach Macht unterscheiden?

Außerdem beziehen sich Stanton und Schultheiss bei der Darstellung ihrer Methode zur Bestimmung des unbewussten Dominanzstrebens auf ein unveröffentlichtes Manuskript. Die Validität dieser Methode lässt sich daher nicht nachprüfen. Die andere, die naturwissenschaftliche Seite der Studie ist ebenfalls wenig wert. Die Autoren bemühen sich zwar, die Messung von Östrogen im Speichel zu standardisieren. Die Messfehler sind aber bei der Hälfte der Proben groß. Dies könnte daran liegen, dass man Spucke selbst mit technischen Tricks schlecht pipettieren kann. Die gemessenen Östrogenkonzentrationen liegen aber auch an der unteren Bestimmungsgrenze und die Streuung der Messwerte ist daher enorm. Ich könnte anhand solcher Werte keine Aussage treffen – auch nicht nach Erstellen von Regressionsgeraden.

Mein Schluss: Die Kombination von Psychoschwurbel mit schlechten Analysemethoden macht den Schwurbel nicht aussagekräftiger – ganz im Gegenteil. Und ob Östrogen die Triebkraft machtgieriger Frauen ist, wie der Daily Telegraph vermutet, muss erst noch gezeigt werden.



Bettina Dupont



Letzte Änderungen: 04.08.2008