Editorial

Interview mit Alexander Lerchl

1. Herr Lerchl, mir wurde anonym das Manuskript "Comments on "Radiofrequency electromagnetic fields (UMTS, 1,950 MHz) induce genotoxic effects in vitro in human fibroblasts but not in lymphocytes” by Schwarz et al." zugeschickt. Ich habe Ihnen eine Kopie gefaxt. Haben Sie das Manuskript geschrieben?

Antwort: Ja, ich habe es geschrieben und bei der Zeitschrift eingereicht und auch an die Autoren der Studie geschickt, nachdem es von zwei Gutachtern positiv bewertet und angenommen wurde. Ich wollte sicher sein, dass alle sechs Autoren über mein akzeptiertes Manuskript informiert sind.

2. Im Abstract kommen Sie zu dem Schluss: "The critical analysis of the data given in the figures and the tables furthermore reveal peculiar miscalculations and statistical oddities which give rise to concern about the origin of the reported data." Auf Deutsch gesagt, was halten Sie von den Daten von Schwarz et al.?

Antwort: Die Daten sind, wie ein Gutachter meines Manuskriptes meinte, "too good to be true", da nach seiner Erfahrung mit comet-Assays die Standardabweichungen viel zu niedrig seien. Es ist in der Tat sehr seltsam, wenn bei vielen unabhängig durchgeführten Experimen-ten mit all den biologischen Variablen und bei mikroskopischer Auswertung mit manueller Klassifikation der comets derart niedrige Standardabweichungen (und nicht Standardfehler!) von unter 5% des Mittelwertes zustande kommen. Teilweise liegen sie sogar unter 3%, und zwar ausgerechnet bei Zellen, die exponiert wurden (elektromagnetische Felder bzw. UV), wobei hier die Variationen der Expositionsparameter bereits um das bis zu zehnfache höher sind. Da habe ich Probleme, wie das zu erklären ist. Auch die von den Autoren beschriebenen Inter-Assay-Variationen sind mit 1 - 2% niedriger als die Intra-Assay-Variationen, was ein-fach nicht sein kann. Die Statistik schließlich ist ebenfalls sehr seltsam, da nicht-paramet-rische und damit sehr unempfindliche Tests durchgeführt worden sind, die bei n=3 bzw. n=6 pro Gruppe allenfalls Signifikanzwerte von 0,0238 liefern konnten. Um überhaupt einen derartigen Weg zu gehen, mussten Daten von nicht-exponierten Zellen und Inkubatorkon-trollen gepoolt werden, die tatsächlich erstaunlicherweise fast identische Werte aufwiesen. Es hätten aber auch, da die Grundlagen gegeben waren (Gleichheit der Varianzen), parametrische und daher viel empfindlichere Tests durchgeführt werden können, was die Arbeitsgruppe in einer früheren, sehr ähnlichen Publikation auch getan hat, um den eigentlich interessanten Unterschied zwischen nicht-exponierten und exponierten Zellen zu untersuchen. Nur wären dann die Unterschiede so hochsignifikant gewesen (jeweils p < 0.001), dass von unmittel-baren und schwer wiegenden gefahren für die gesundheit jedes menschen auszugehen wäre, der jemals mit dem handy telefoniert.

3. Werden Sie von der Mobilfunkindustrie bezahlt?

Antwort: Nein, das Argument kenne ich aber zur Genüge, da Wissenschaftler, die eine andere Meinung haben als die Mobilfunkkritiker, ständig verdächtigt werden, von der Mobilfunkindustrie bezahlt zu werden. Aus diesem Grunde vermied und vermeide ich direkte For-schungsaufträge von dieser Seite. Meine Forschungen werden von dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS, Salzgitter) im Rahmen des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms und von der Forschungsgemeinschaft Funk e.V. (FGF, Bonn) finanziert. Daneben halte ich Vorträge auf Fachveranstaltungen, für die ich übliche Aufwandsentschädigungen erhalte. Übrigens: wenn Sie meine Veröffentlichungen zum Thema lesen, werden Sie feststellen, dass ich durchaus Effekte durch Mobilfunkfelder finde und veröffentliche, z.B. Gewichtszu-nahmen bei exponierten Hamstern. Dieser Effekt hat auch zu einem weiteren Forschungs-auftrag durch das BfS geführt, das möglichen metabolischen Effekten durch Mobilfunkfelder auf den Grund gehen soll.

4. Sie haben das Manuskript bei der Zeitschrift Int Arch Occup Environ Health eingereicht. Wie erging es Ihnen damit?

Antwort: Es war eine Zangengeburt. Nachdem ich am 22.2. den Springer-Verlag über meine Analyse informiert und gefragt hatte, wie weiter vorgegangen werden kann, informierte der Verlag das Journal am gleichen Tag. Ebenfalls am gleichen Tag rief mich der Herausgeber an. Er regte an, dass ich eine "Short Communication" verfassen soll, um die er sich selbst kümmern wollte. Er sagte eine schnelle Bearbeitung zu und fragte sogar beim Verlag an, ob es möglich sei, meine Veröffentlichung in derselben Print-Ausgabe zu drucken, in der auch die fragliche Studie veröffentlicht werden wird. Am 26.2. habe ich das Manuskript eingereicht. Einen Tag später fragte mich der Herausgeber nach einem Gutachter für den comet assay, er selbst habe jemanden an der Hand für die statistische Seite. Am 7.3. erhielt ich vorab das erste Gutachten (comet-Experte) und zeitgleich die Information, dass auch der 2. Gutachter die Annahme empfehlen würde. Am 13.3. erhielt ich die offizielle Mitteilung des Journals, dass das Manuskript veröffentlicht werden könne, wenn die Kommentare der Gutachter eingearbeitet würden. Beide Gutachter empfahlen die Annahme und verlangten nur "minor revisions". Am nächsten Tag (14.3., Freitag) habe ich das leicht veränderte Manuskript mit meinen Antworten auf die Kommentare der Gutachter erneut eingereicht.
Am 17. März erwartete ich an sich die Nachricht, dass mein Paper angenommen worden sei, es kam jedoch anders. Der Herausgeber hatte in der Woche zuvor Herrn Rüdiger auf einer Arbeitsmediziner-Tagung in Hamburg (12.-15.3.) getroffen. Die Herausgeber der Zeitschrift hielten dort einen Vortrag zum Hauptthema "Ethik in der Arbeitsmedizin" mit dem Titel "Wissenschaftliche Objektivität und ethische Grundsätze bei der Herausgabe von Publikationen". So ganz scheinen sich die beiden aber über die ethischen Grundsätze beim Publizieren nicht im Klaren zu sein, denn: Herr Rüdiger hatte inzwischen (wahrscheinlich auf der Tagung) mein Manuskript mit Nennung meines Namens bekommen, ohne dass mein Manuskript endgültig akzeptiert war. Offensichtlich hat sich dann etwas ereignet, was die Einschätzung des Falles durch den Herausgeber grundlegend verändert hat. Er teilte mir am 17. mündlich und später auch schriftlich mit, dass noch ein Gutachten abgewartet werden solle, von dem vorher keine Rede war. Später wurde sogar von mehreren weiteren Gutachtern gesprochen. Es macht natürlich keinen Sinn, eine Veröffentlichung grundsätzlich anzunehmen, wenn noch weitere Gutachten ausstehen. Die zuvor stets bekundete Notwendigkeit, den Fall schnell zu bearbeiten, schien nicht mehr zu existieren. Einige Herrschaften schienen kalte Füße bekommen zu haben.
Ich habe den Herausgeber und den Direktor der biomedizinischen Journals des Springer-Verlages über die offensichtlichen Widersprüche und meine Besorgnis über die Behandlung des Falls hingewiesen. Er teilte mir mit, dass die Herausgeber bzw. das Journal in einer äußerst heiklen Situation seien, und er äußerte Verständnis für meine Bedenken. Am 19.3. änderte sich der Status des Manuskriptes: reviewers assigned. Daraufhin habe ich einen regen Austausch mit der Zeitschrift und dem Verlag gehabt, u.a ist der Leiter der Abteilung Rechte und Lizenzen des Springer-Verlags über die Angelegenheit informiert worden. Schließlich habe ich eine Frist bis Freitag, 28.3. gesetzt und angekündigt, danach die Öffentlichkeit zu informieren. Am 26.3. habe ich allen Beteiligten vorgeschlagen, mein Manuskript als Letter to the Editor zu akzeptieren (diese Kategorie gibt es in dem Journal eigentlich nicht) und den Autoren die Möglichkeit zu geben, innerhalb eines Monats Stellung zu nehmen. Der Direktor des biomedizinischen Journals erklärte, dies sei Sache des Herausgebers. Die Herausgeber haben mir am 28.3. mitgeteilt, dass am Montag (31.3.) eine Reaktion des Journals erfolgen werde ("promise" ...), was aber nicht geschah. Am 1.4. wurde ich dann davon informiert, dass mein Manuskript als Letter to the Editor angenommen worden sei, ohne weitere Gutachten, wenn noch einige kleine Formulierungen geändert würden.




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Letzte Änderungen: 04.08.2008