Editorial

Alzheimer-Impfung in greifbarer Nähe

... mit dieser fetten Überschrift krähte Mitte April ein populär-"wissenschaftlicher" Artikel um Aufmerksamkeit. Die Fakten, die dahinter stehen, sind dünn wie Pauspapier.

(14.04.2008) Was passiert, wenn Sensationsjournalisten auf gewiefte Öffentlichkeitsarbeiter einer Biotechfirma stoßen? Die übliche Melange aus halbgaren Studienergebnissen und Übertreibungen, angerührt mit fahrlässigen Faktenverfälschungen und barem Unsinn. Jüngstes Beispiel für diese ganz spezielle journalistische Stilform ist ein Stück über ein scheinbar marktreifes Alzheimer-Vakzin aus österreichischen Landen, über das der verblüffte Laborjournal-Reporter Mitte April stolperte.

„Alzheimer-Impfung in greifbarer Nähe“ steht über dem 561 Wörter langen Artikel der in Wien beheimateten „Pressetext Nachrichtenagentur“ (Werbeslogan: „Besser informiert“). Der naturwissenschaftlich vorgebildete Leser mag sich ein Ausrufezeichen dahinter denken - schließlich ist die neurodegenerative Schreckensnachricht namens Morbus Alzheimer bisher ursächlich nicht behandelbar, wirksame Medikamente sind auf absehbare Zeit weltweit nicht zu erwarten, und eine Impfung jedwelcher Art ist noch ferne Zukunftsmusik.

Können die weltweit etwa 24 Millionen Menschen, die von der Alzheimerschen Krankheit betroffen sind, können deren Angehörige endlich aufatmen? Findet der grauslige, psychologisch höchst belastende Gedächtnisverfall dieser Menschen demnächst ein Happyend? „Das Wiener Biotech-Unternehmen setzt auf Marktreife in wenigen Jahren“ verspricht der Untertitel des Textes zwar holprig, doch zuversichtlich. Gleich darunter ein Foto, das, wie einfallsreich, zwei gekreuzte Injektionsspritzen zeigt. Der Bildtext dazu: „Biotech-Unternehmen Affiris entwickelt Impfstoff gegen Alzheimer.“

Wiener Wundermittel? In greifbarer Nähe?

Nun denn - es gibt (fast) nichts, was es nicht gibt, auch wenn den LJ-Reporter doch etwas verwunderte, dass eine derartig epochale Medikamententwicklung unbemerkt von ihm geschehen konnte. Dass Affiris (wie manch andere Biotechfirma auch) an einem experimentellen Impfstoff gegen die Demenzerkrankung werkelt, stand schon vor Monaten in Laborjournal - doch haben die Wiener in den letzten Tagen womöglich eine sensationelle, alles bisherige in den Schatten stellende Entdeckung gemacht? Man möchte es annehmen, doch lesen wir weiter:

„Das Wiener Biotech-Unternehmen Affiris will binnen der nächsten fünf bis sechs Jahre eine wirksame und verträgliche Immunisierungsmethode gegen Alzheimer zur Marktreife bringen. Dies teilte das Unternehmen heute, Donnerstag, mit. Derzeit werden zwei Studien mit Impfstoffen zum Faktor Sicherheit und Verträglichkeit an Patienten mit leichter und mittelschwerer Alzheimer-Erkrankung am Wiener Allgemeinen Krankenhaus und dem Institut für Psychosomatik durchgeführt. "Alle Patienten, die bisher geimpft wurden, haben den Wirkstoff gut vertragen", fasst Universitätsprofessor Achim Schneeberger, Leiter der Klinischen Forschung und Entwicklung bei Affiris, gegenüber pressetext zusammen.“

„In greifbarer Nähe“ scheint dem Autor dieses Artikels also gleichbedeutend mit „in fünf bis sechs Jahren“ zu sein. Nun gut, seit Einstein wissen wir dass die Zeit in der Tat dehnbar ist. Immerhin verkündet der auf der Affiris-Gehaltsliste stehende Professor freudig, sein Impfstoff werde „gut vertragen“. Mal ehrlich: Kann man mehr verlangen?

Das Wörtchen „bald“ ist halt relativ

Danach listet der Artikel die zu erwartenden Patientenzahlen auf („...Zahl der an Demenz Erkrankten in Österreich wird bis 2050 von derzeit 100.000 Betroffenen auf gut 250.000 Fälle steigen“), um die unerhörte Wichtigkeit des Wiener Wundermittels herauszustellen, und streut immer wieder werbewirksam den Namen der impfstoffentwickelnden Biotechfirma ein.

Nach Seitenhieben auf die allem Anschein nach unfähige Konkurrenz („...bereits vor einigen Jahren scheiterte das amerikanisch-irische Pharma-Unternehmen Elan/Wyeth bei einem Impfstoff-Test an den Nebenwirkungen. Aufgrund von Gehirnentzündungen hatte die Untersuchung abgebrochen werden müssen.“) und tröstlichen Worten für das Affiris-Mittel („Bei den Impfstoffen von Affiris [sind] bisher [...] keine derartigen Nebenwirkungen aufgetreten.“) schwitzen Firmenfunktionäre salbungsvolle Zitate aus („Das Verfahren hat sich bisher als wirksam erwiesen. [...] Die Daten sehen gut aus.“).

Wie dünn die Angelegenheit wirklich ist, erfährt der Leser erst ganz zum Schluss: „Ende des Jahres werde man [...] Untersuchungen zur Wirksamkeit beginnen“ heißt es da. Richtig, denn eine geglückte Phase-I-Studie mit lediglich 24 Versuchspersonen (was nirgends erwähnt wird!) sagt halt nicht viel aus.

Mit anderen Worten: Ob der sensationelle Impfstoff wirkt, weiß kein Mensch. Und das wird auch noch mindestens fünf Jahre so bleiben. Danke, liebe „Pressetext Nachrichtenagentur“ aus Wien, dass Sie uns vor dieser grausamen Wahrheit bewahrt haben!

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.08.2008