Editorial

Gamechanger bei
Lungenhochdruck?

(16.01.2023) Marius Hoeper ist optimistisch, dass ein als „Ligandenfalle“ eingesetzter Wirkstoff Veränderungen der Lungengefäße (partiell) zurückbilden kann.
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Beim Lungen­hochdruck überschneiden sich Kardiologie und Pneumologie. Die Lungengefäße, so erklärt es Marius Hoe­per, liegen schließlich genau zwischen beiden Organen, doch das Opfer des permanenten Lungenh­ochdrucks ist das Herz – vor allem die rechte Herzhälfte. Trotz therapeu­tischer Fortschritte liegt die Überlebens­rate nach Diagnose für die nächsten fünf Jahre nur bei ca. 60 bis 70 Prozent, sodass Forscher nach besseren Therapien suchen. Mit großem Optimismus blickt Hoeper derzeit auf einen neuen Wirkstoff namens Sotatercept, an dem auch seine AG zuletzt im Rahmen klinischer Studien mitgeforscht hat. Hoeper ist stellvertretender Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und einer der meistzitierten Köpfe unseres aktuellen Rankings zur Lungen- und Atemwegs­forschung.

Editorial

Bei der Lungen­hypertonie unterscheidet man verschiedene Formen, darunter auch idiopathische Subtypen, wobei das Adjektiv „idiopathisch“ ja meist dafür steht, dass man nichts über die Ursache weiß. Andererseits gibt es mit Sotatercept nun einen Wirkstoff, der an einem molekularen Grundprinzip des Lungen­hochdrucks ansetzt. Gibt es denn überhaupt „die“ Lungen­hypertonie, oder sprechen wir da von ganz unter­schiedlichen Erkrankungen?
Marius Hoeper: Sotatercept wird der berühmte Gamechanger werden, da bin ich mir sehr sicher. Aber bevor wir darauf zu sprechen kommen, hole ich erstmal ein bisschen aus. Sie haben völlig Recht, die pulmonale Hypertonie ist zunächst einmal keine Erkrankung, sondern beschreibt einfach den hämodyna­mischen Zustand eines erhöhten Drucks in den Lungen­gefäßen. Aber: Man kann eigentlich keinen Lungen­hochdruck haben, ohne irgendwo krank zu sein.
Klinisch teilen wir den Lungen­hochdruck in fünf große Gruppen ein, zu denen es dann wiederum viele Unterformen gibt. Die erste dieser großen Gruppen ist die sogenannte pulmonal­arterielle Hypertonie, zu der unter anderem die idiopathischen Formen gehören. Weiterhin gibt es noch die Gruppe 2 bei Linksherz­erkrankungen und die Gruppe 3 bei Lungen­erkrankungen. Die Gruppen 2 und 3 sehen wir am häufigsten. Dann gibt es die chronisch thrombo­embolischen Formen, das ist Gruppe 4, und in der Gruppe 5 stehen die sonstigen Formen des Lungen­hochdrucks.
Das ist eine relativ einfache klinisch-pragmatische Unterteilung, aber wir kommen damit weg von dieser Denke, dass die pulmonale Hypertonie etwas Seltenes sei. Wahrscheinlich sind etwa 1 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung betroffen. Wenn Sie Menschen über 65 nehmen, kommen Sie sogar auf eher 10 Prozent. Wie gesagt, die fallen vor allem unter die Gruppen 2 und 3 und sind sehr häufig. Aber die pulmonal­arterielle Hypertonie wiederum bleibt selten. Und dahinter steht die eigentliche Erkrankung von Lungengefäßen.

Es gibt auch noch einige „Spezialfälle“ beim Lungen­hochdruck. Zum Beispiel beschreiben Sie in einem Paper eine Form, die vor allem bei Rauchern auftritt (Lancet Respir Med, 10(10): 937-48).
Hoeper: Richtig, und da kommen wir zu einem Schwerpunkt meiner eigenen Forschung, nämlich den Register­arbeiten. Wir haben bereits 2007 eines der ersten Lungen­hochdruck-Register weltweit ins Leben gerufen und es COMPERA genannt. Mittlerweile ist COMPERA deutschlandweit das Referenz­register, und es wird auch europaweit sehr gut angenommen. Wahrscheinlich ist es das größte akademische Register, was es zum Lungen­hochdruck gibt. Es ist über die Jahre gewachsen und auch international immer renommierter geworden.
Was dabei sehr wichtig ist: Bei den seltenen Erkrankungen – und dazu gehören auch solche Unterformen des Lungen­hochdrucks – sind Register die beste Chance, jenseits klinischer Studien aussage­kräftige Daten zu generieren. Das von Ihnen erwähnte Paper hat gezeigt, dass es tatsächlich eine Form des Lungen­hochdrucks mit Beteiligung der Lungengefäße gibt, die durch Rauchen ausgelöst wird. Das war nur über solche Register möglich. Und diese spezielle Gruppe von Patienten mit Lungen­hochdruck hatten wir über viele Jahre falsch klassifiziert und wahrscheinlich auch nicht optimal therapiert. Wir hätten dies auch nicht über klinische Studien herausfinden können, weil die niemals so groß angelegt sind, um solch eine Subgruppe herauszuarbeiten.

Inwiefern hat das denn Auswirkungen auf die Therapie?
Hoeper: Bei der klassischen idiopathischen pulmonal­arteriellen Hypertonie liegt das Problem in den kleinen Arteriolen, also den präkapillären Gefäßen. Diese verschließen sich zunehmend durch Proliferation von Endothel­zellen und glatten Muskelzellen, so wird das Gefäßlumen immer kleiner und der Strömungs­widerstand steigt an. Deswegen muss das rechte Herz mehr Druck aufbauen, um das Blut durch die Lunge zu bekommen. Die Gefäße dahinter sind aber in Ordnung, die Lungen­kapillaren sind vorhanden. Deswegen kann auch der Gasaustausch in der Lunge bei pulmonal­arterieller Hypertonie oft weitgehend normal funktionieren.
Nehmen wir rauchende Menschen mit Lungen­hochdruck, und hier spreche ich von Personen, die wirklich lange und kräftig geraucht haben: Wenn sich bei diesen Patienten eine schwere pulmonale Hypertonie entwickelt, dann ist das Hauptproblem wahrscheinlich ein Verlust der kleinen Lungengefäße inklusive der Lungen­kapillaren, sodass auch die Gasaustausch-Oberfläche immer geringer wird. Das zeigt uns, dass bei diesen Patienten der Pathomechanismus an einer völlig anderen Stelle zu suchen ist. Bei der ersten Form müssen wir die präkapillären Gefäße wieder aufbekommen, bei der zweiten Form müssten wir hingegen Gefäße regenerieren, und das ist natürlich Zukunftsmusik. Medikamente, die bei der einen Lungen­hochdruck-Erkrankung helfen, wirken bei der anderen also deutlich schlechter oder gar nicht.

Was ist bekannt über die Mechanismen der pulmonal­arteriellen Hypertonie? Und wie therapierte man sie bisher?
Hoeper: Die klassischen und bislang auch noch einzig zugelassenen Therapien für Lungen­hochdruck sind Substanzen, die in erster Linie gefäß­erweiternd wirken. Wie gut diese Medikamente wirken, ist natürlich davon abhängig, wie weit der Umbau an den Lungengefäßen schon voran­geschritten ist. Es hat sehr lange gedauert, die zugrunde­liegenden Mechanismen wirklich zu verstehen; und es geht zurück auf eine Arbeit im Jahr 2000, als man Mutationen hinter einer familiären Form der pulmonal­arteriellen Hypertonie entschlüsselt hatte. Damals wurde als relevantes Gen BMPR2 [codiert für Bone morphogenetic protein receptor type II] identifiziert (Am J Hum Genet, 67(3): 737-44).
In der Folge gab es über die letzten zwanzig Jahren sehr viel Grundlagen­forschung und translationale Forschung, und wir verstehen dieses komplexe System jetzt besser. An den Rezeptor BMPR-II sowie verschiedene verwandte Rezeptoren binden Liganden der TGF-Beta-Superfamilie und regulieren die Homöostase der Blutgefäße. Darin passiert nämlich ein ständiger Umbau: Zellen sterben ab und wachsen nach, und diese Regulation muss in einer Balance bleiben.
Mittlerweile ist klar, dass es bei pulmonal­arterieller Hypertonie zu mehr Proliferation und weniger Apoptose kommt, die Zellen sterben also einfach nicht mehr ab. Anstatt einer einzelnen Endothel­schicht, die die Gefäße auskleidet, legen sich die Schichten wie Zwiebelschalen übereinander, und das Gefäßlumen nimmt kontinuierlich ab. Aber der überzeugende Beweis für diesen Mechanismus kommt natürlich jetzt dadurch, dass es zum ersten Mal eine Therapie gibt, die zeigt: Wir können die Balance wieder­herstellen und wahrscheinlich sogar eine zumindest partielle Rückbildung dieser Lungen­gefäß­veränderungen bewirken. Das haben wir 2021 in einer Phase-2-Studie für Sotatercept gezeigt (N Engl J Med, 384(13):1204-15), und auch die Phase 3 ist jetzt abgeschlossen.

Im von Ihnen erwähnten Paper gibt es auch eine Abbildung, die den Mechanismus anschaulich zeigt: BMPR-II ist sozusagen die Bremse für die Proliferation, Sotatercept setzt aber an einer anderen Stelle an und hemmt das „Gaspedal“: Es binden Aktivine, die normalerweise als Signal für die Zellproliferation der Endothelien wirken. Man spricht bei Sotatercept daher von einer „Ligandenfalle“. Das ist ein gezielt designtes Protein, richtig?
Hoeper: Genau. Die untere Hälfte ist ein humanes Immunglobulin, und oben draufgesetzt ist dann eben dieser Aktivin-Trap, also die Ligandenfalle. Und ähnlich wie andere Biologicals verabreichen wir das subcutan.

Aktivine spielen sicher noch an anderer Stelle eine Rolle. Gibt es also Nebenwirkungen?
Hoeper: Die ersten Patienten aus Phase 2 sind jetzt seit vier Jahren auf der Therapie, und da ist nichts vorgefallen, was uns größere Sorgen bereitet. Bei einigen Patienten sehen wir Teleangi­ektasien im Gesicht und auf den Schleimhäuten, also Erweiterungen von Blutgefäßen. Weil wir davon ausgehen, dass Patienten lebenslang diese Therapie benötigen, können wir noch nicht sagen, wie sich eine Dauertherapie bei einem heute jungen Patienten über zehn oder zwanzig Jahre hinweg auswirkt. Zum ersten Mal überhaupt greifen wir in der Medizin in diese grundlegenden Mechanismen der Gefäß­regulation ein. Und das müssen wir nach der Zulassung natürlich weiter sehr genau beobachten. Ich bin aber durchaus optimistisch.

Mario Rembold

Bild: Pixabay/RoadLight (Lunge) & MHH (Hoeper)


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Letzte Änderungen: 16.01.2023