Editorial

Goliath gegen die
Konkurrenz

(29.09.2022) In den letzten Jahren hat Pharmagigant Novartis ein paar Mal mit der Justiz Bekanntschaft gemacht. Zuletzt kam sogar das Schweizer Kartellamt vorbei.
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Es war ein milder September­morgen, als zahlreiche Beamte der Schweizer Wettbewerbs­kommission (Weko) den Basler Firmensitz des Pharmariesen Novartis stürmten. In den Kisten mit Akten und Dokumenten, die sie aus dem mächtigen Glasbau trugen, hoffen die Schweizer Wettbewerbs­hüter nun, Beweise für unlautere Geschäfts­praktiken des Konzerns zu finden.

Die in in Novartis’ Pressemitteilung als „Besuch“ bezeichnete Razzia durch die Schweizer Kartellbehörde („COMCO representatives visited the company headquarters“) könnte den Konzern einiges an Geld kosten. Es geht um den unrecht­mäßigen Einsatz von Patenten, genauer eines Patents für das Psoriasis-Mittel Cosentyx.

Editorial

Antikörper im Visier

Das 2015 in den USA und Europa zugelassene Medikament enthält den Wirkstoff Secukinumab. Der humane, monoklonale Antikörper ist gegen das proinflamma­torische Cytokin IL-17A gerichtet, das von T-Helferzellen ausgeschüttet wird. Dabei ist noch immer nicht völlig klar, welche Rolle IL-17A bei der Pathologie diverser Autoimmun­erkrankungen wie Schuppenflechte (Psoriasis), Multipler Sklerose oder Rheumatoider Arthritis spielt. Allerdings scheint das Vorkommen des Cytokins mit Gewebeschäden zu korrelieren und dessen Neutralisation durch Antikörper einen für Patienten positiven Effekt zu bewirken.

Entdeckt wurde der Antikörper mit der Typen­bezeichnung AIN457 durch die Arbeitsgruppe von Wolfgang Hueber an den Novartis Institutes for Biomedical Research (Sci Transl Med, 2(52):52ra72). Im Jahr 2015 folgte die Zulassung des unter dem Handelsnamen Cosentyx vertriebenen Antikörpers für die Behandlung der Psoriasis, Arthritis und Morbus Bechterew. Laut Daten des Analyseportals Global Data erwirtschaftete das Präparat 2020 weltweit einen Umsatz von 4 Milliarden US-Dollar. Eine 300 mg Dosis des Medikaments kostete im Juli 2021 knapp 2.000 Euro.

Der Vorwurf: Ein unzulässiges Sperrpatent

Doch worum geht es bei der Weko-Untersuchung nun genau? Wie Behörden­direktor Patrik Ducrey erklärte, bestehe der Verdacht, dass Novartis ein unzulässiges Sperrpatent eingesetzt habe. Dabei handelt es sich um ein Patent, das der Patentinhaber selbst nicht nutzt. Der einzige Zweck dieses Patents ist es, Mitbewerber daran zu hindern, ebenfalls in den Markt einzutreten. Nach Schweizer Kartellrecht stellt so ein Vorgehen bei marktbeherr­schenden Unternehmen wie Novartis eine unzulässige Einschränkung der Konkurrenz dar, die mit hohen Geldbußen geahndet werden kann.

Die marktbeherr­schende Rolle des Basler Konzerns lässt sich schwer leugnen, wurden dessen Anteile am globalen Pharmamarkt 2018 doch lediglich vom US-Riesen Pfizer übertroffen. Es bleibt nun abzuwarten, ob sich der Anfangsverdacht erhärtet. Allerdings haben nicht nur die Schweizer Wettbewerbs­hüter Lunte gerochen: Laut Ducrey sei bei der gegenwärtigen Untersuchung auch die EU-Wettbewerbs­behörde (ECA) involviert. Novartis gibt sich in der am 15. September veröffentlichten Pressemitteilung betont gelassen und kooperations­bereit.

Mehr Partner als Konkurrenten

Es wäre nicht das erste Mal, dass Novartis sich wegen Wettbewerbs­behinderung verantworten müsste. Bereits 2014 verklagte die italienische Justiz die Schweizer zusammen mit dem ebenfalls in Basel ansässigen Konkurrenten Roche zu einer Strafe von 180 Millionen Euro. Wobei der Begriff „Konkurrent“ hier wohl etwas unangebracht ist, gehört Roche doch zu einem Drittel Novartis. Der Vorwurf damals: Novartis und Roche haben es aggressiv verhindert, dass Augenärzte bei der feuchten Makula­degeneration Roches Krebsmedikament Avastin einsetzten. Stattdessen forderten sie die Verwendung des fast 30-fach teureren Lucentis von Novartis. Beide Medikamente sind wirksam in der Behandlung der Makula­degeneration, allerdings ist nur Lucentis dafür zugelassen.

Die Wirkstoffe der beiden Medikamente, Bevacizumab bei Avastin und Ranibizumab bei Lucentis, sind humane monoklonale Antikörper bzw. Antikörper­fragmente, die gegen den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) gerichtet sind. VEGF spielt eine maßgebliche Rolle bei der Gefäßbildung (Angiogenese), die in patholo­gischem Maße ursächlich für die feuchte Makula­degeneration ist und zum Wachstum von Tumoren beiträgt. Daher griffen viele Augenärzte auch in Deutschland zum billigeren Avastin und setzten es im sogenannten Off-Label-Use ein, der unter gewissen Umständen zulässig ist. Dies versuchten die beiden Basler Konzerne durch Klagen zu verhindern. Die Klagen wurden in der Regel abgewiesen. Zudem rief das Gebaren italienische Wettbewerbs­hüter auf den Plan, die den beiden Konzernen wettbewerbs­schädliche Absprachen attestierten. Auch der Europäische Gerichtshof schaltete sich damals ein.

Klagen, Absprachen und Bestechung

Doch damit nicht genug. Nach Ermittlungen wegen Bestechungen in Südkorea, den USA und China wurden Novartis seit 2015 bereits Strafzahlungen von mehreren Hundert Millionen Euro aufgebrummt. Zu einem noch größeren Skandal könnten sich die 2016 begonnenen Ermittlungen in Griechenland ausweiten. Dabei geht es um die Bestechung griechischer Beamter und Ärzte, durch die sich der Konzern eine Vorzugs­behandlung erkaufte. Mitte Juni wurde bekannt, dass der griechische Staat 214 Millionen Euro Schadenersatz von Novartis fordert.

Dagegen wiegen die gegenwärtigen Vorwürfe verhältnismäßig leicht. Dennoch kommen die Untersuchungen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der Patentschutz für Cosentyx läuft 2028 aus und auch bei den Blockbuster-Medikamenten Gilenya und dem Leukämie-Präparat Tasinga sind die Exklusiv-Vermark­tungsrechte 2027 passé.

Besonders brisant: Erst kürzlich wurde eine Klage von Novartis gegen den chinesischen Generika-Hersteller HEC Pharma in den USA abgewiesen. Der Gegenstand der Verhandlung war Gilenya, das gegen Multiple Sklerose eingesetzt wird. Zwar ist der Patentschutz für den Wirkstoff Fingolimod bereits abgelaufen, dennoch geht der Schweizer Pharmakonzern auch hier aggressiv gegen Mitbewerber vor.

Nächstes Sorgenkind: Gilenya

Der Konflikt entspann sich, als HEC Pharma ein Generikum auf Basis von Fingolimod für eine Studie anmelden wollte. Novartis verklagte den Generika-Hersteller daraufhin vor einem Bezirksgericht in Delaware (USA) und errang in erster Instanz eine einstweilige Verfügung, die eine weitere Entwicklung des Generikums bis 2027 unterbinden sollte. Dabei beriefen sich die Basler auf ein patentiertes „Dosierungschema“, also lediglich eine bestimmte Verabreichungs­methode für das Medikament, dessen Patentschutz noch bis 2027 reicht. Allerdings wandte sich HEC Pharma an den US Court of Appeals for the Federal Circuit. Dieser bestätigte Novartis’ Patent noch Anfang 2022, vollführte jedoch im Juni 2022 eine Kehrtwende und erklärte das Schutzrecht für ungültig. Eine Beschwerde des Schweizer Pharmariesen ließ das Gericht nicht zu. Nun wollen sich die Basler an den Supreme Court wenden – bei einem Jahresumsatz des Präparats von 3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 und 2,8 Milliarden 2021 nicht wirklich überraschend.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/jeffjacobs1990


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Letzte Änderungen: 29.09.2022