Editorial

Mikroskopie plus
Massenspektrometrie ...

(27.09.2022) Ergibt räumliche Proteomik. Wie Deep Visual Proteomics genau funktioniert, erklären Lisa Schweizer und Thierry Nordmann vom MPI für Biochemie.
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Um Proteine in einem fixierten Gewebe räumlich nachzuweisen, ist es doch am einfachsten, Antikörper zu verwenden. Dann sieht man direkt im Mikroskop, wo welches Protein sitzt.
Lisa Schweizer: Das Schöne an der Massen­spektrometrie ist, dass die Methode unabhängig von einer zuvor aufgestellten Hypothese sein kann. Wir können mittels Massen­spektrometrie das Proteom anschauen, ohne vorher zu wissen, was wir suchen; wir müssen uns nicht auf ein vorher ausgewähltes Subset von Targets und Antikörpern beschränken. Mit Deep Visual Proteomics können wir diesen Teil aber dennoch integrieren und noch viel weiter darüber hinausgehen. Wir können beispielsweise mit Antikörpern Gewebe färben, wir können aber auch anhand von Merkmalen wie der Zellmorphologie Zellen auswählen, die danach extrahiert werden. Und darin lässt sich dann das vollständige Proteom analysieren.

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Aber kann man im Massenspektrometer wirklich vollkommen neue Proteine entdecken?
Schweizer: Es gibt für Proteine FASTA-Files, also Referenz­bibliotheken, die wir nutzen, nachdem wir in unserem Massen­spektrometer die Proteine zerlegt haben – zunächst in Peptide, dann in Fragmente. Das können wir dann wie ein Puzzle wieder zusammensetzen. Das Schöne ist, dass beim Menschen das komplette Proteom identifiziert und verfügbar ist, also alle Proteine, zum Teil auch mit Isoformen. Was wir nicht so leicht finden können, sind zum Beispiel Splicing-Varianten. Aber auch dazu kann man natürlich optional eine angepasste Datenbank in die Auswertung einbeziehen. Das heißt, die einzige Grenze ist das bereits bekannte Proteom.

Für Ihre Methode der Deep Visual Proteomics verwenden Sie einen Laser, um Stücke aus Gewebe herauszulösen. Wie exakt und präzise kann man mit dem Laser denn zielen und schneiden? Vielleicht können Sie die Methode anschaulich beschreiben (Nat Biotechnol, 40(8):1231-1240).
Thierry Nordmann: Im ersten Schritt haben wir das Gewebe. Derzeit arbeiten wir primär mit in Formalin fixiertem Gewebe, das in Paraffin eingebettet ist. Genauso, wie das auch in der klassischen Pathologie üblich ist, fertigen wir daraus 2,5 bis 3 Mikrometer dicke Schnitte an und legen sie auf Objektträger. Die können wir auch färben, zum Beispiel mit Hämatoxylin-Eosin oder auch mit verschiedenen Antikörpern, wenn wir bereits eine spezifische Zellpopulation im Sinn haben, die uns besonders interessiert.
Anschließend scannen wir diesen Schnitt auf einem ganz normalen Mikroskop. Jetzt haben wir die visuellen Daten dieses Schnittes. Die können wir als Matrix benutzen, um die Zellen, die uns interessieren, später herauszufiltern. Dafür haben wir die Software BIAS (Biology Image Analysis Software) entwickelt. Dieses Tool ermöglicht eine zielgenaue Segmentierung der Zellen nach Parametern, die man selbst bestimmen kann. Also zum Beispiel nach Zellgröße, Morphologie oder nach der Signal­intensität eines Fluoreszenz­farbstoffs. Man kann die Software auch eigenständig eine Machine-Learning-Klassifikation benutzen lassen, um das Bild zu segmentieren. Daraufhin wird eine digitale Kontur erstellt für jede Zelle oder Struktur, die man möchte. Die wird, je nach Algorithmus, in verschiedene Klassen unterteilt und als XML-File ausgelesen. In solch einer Datei liegt dann die digitale Kontur des gesamten Slides in Einzelzellen vor.
Schweizer: Diese Schablone können wir dann elektronisch auf unser Laser-Capture-Micro­dissection-Mikroskop übertragen. Wir haben also einmal das physische Gewebe unter dem Mikroskop, aber computer­basiert projiziert das Mikroskop diese digitale Schablone auf den Schnitt. Um nun auf die Frage der Präzision zurückzu­kommen: Der Laser kann sowohl zelluläre als auch subzelluläre Strukturen ausschneiden – zum Beispiel die Zellkerne bei größeren Zellen wie Epithelzellen. Die meisten Zelltypen können wir auf Einzelzell­ebene ausschneiden.

Und wie kommt das ausgewählte Stück vom Objektträger in das Gefäß, das dann weiter für die Massen­spektrometrie aufbereitet wird? Der Laser löst ja ein Stück heraus. Liegt der Objektträger mit der Probe dann umgekehrt in der Apparatur?
Schweizer: Richtig, die Probe liegt sozusagen verkehrt herum auf dem Mikroskop. Im Fokus-Punkt schneidet der Laser dann durch das Gewebe hindurch. Dabei fährt er wie ein Stift um diese Zellen herum und schneidet die Kontur nach, die der Computer vorgegeben hat. Zunächst ist das also bloß ein Schnitt. Dann gibt es einen zentralen Puls, der diese Shape herauslöst. Sie wird senkrecht darunter in einem Kollektor aufgesammelt. Wir sammeln das Material in 384-Well-Platten, sodass wir auf einer Platte also 384 Proben gleichzeitig prozessieren können.

Für das aktuelle Paper zur Deep-Visual-Proteomik haben Sie Eileiter­gewebe untersucht, um zu zeigen, dass die Methoden funktionieren. Warum ausgerechnet dieses Gewebe?
Schweizer: Das ist tatsächlich ein Experiment, das ich selbst mit den Erstautoren der Publikation zusammen in Kopenhagen durchgeführt habe. Die Wahl fiel auf dieses Gewebe, weil man daran die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Zelltypen exemplarisch sehr schön sieht. Dort gibt es einmal Zellen mit Zilien und die sekretorischen Zellen ohne Zilien auf der Oberfläche. Anhand verschiedener Marker kann man diese sehr klar voneinander differenzieren. Wir haben in der Publikation FOXJ1 genutzt, da die Zellen mit Zilien FOXJ1-positiv sind, die sekreto­rischen Zellen hingegen nicht. Man kann die Bilder außerdem morphologisch auswerten, da man das Zilium in dieser Färbung sehr gut sieht.

Welche Heraus­forderungen sehen Sie für die Zukunft, wenn es speziell um räumliche visuelle Proteomik geht?
Nordmann: Mein größtes Ziel als Kliniker ist, dass man diese Methode für klinisch relevante Frage­stellungen einsetzt und Patienten direkt von ihr profitieren. Primär verwenden würde ich sie entsprechend, um Krankheiten zu erforschen, die selten sind und für die keine etablierten Therapie­strategien existieren. Da wäre eine Heraus­forderung, über Deep Visual Proteomics Krankheits­mechanismen besser zu verstehen und daraus neue Therapie­formen abzuleiten.
Schweizer: Da kann ich nur zustimmen: Es gibt viele Herausforderungen, aber auch Hoffnungen. Wir wollen dieses Feld revolutionieren und diese Revolution auch umsetzen – also die Kollegen davon überzeugen, dass die Extraktion einzelner Zelltypen aus dem Gewebe einen enormen Vorteil für die proteomische Analyse hat.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: S. Vondenbusch-Teetz, MPI für Biochemie

Dieses hier gekürzte Interview erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 9/2022.


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Letzte Änderungen: 27.09.2022