Editorial

Ein Märchen vom wissenschaftlichen Publizieren

(23.09.2022) Wie es wäre, wenn man seine Paper-Manuskripte meistbietend an die Verlage versteigern könnte.
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Eines Tages kam der Fuchs zur Eule. Er hatte gerade eine schlimme Sache mit einem wissenschaftlichen Verlag erlebt, dem er sein letztes Manuskript geschickt hatte. Wieder einmal. Nachdem er der Eule also ausführlich sein Leid geklagt hatte, schaute diese eine ganze Weile schweigend über die Wiese – und sagte dann:

„Hm, ... in unserer Forschungswelt wäre das wohl nicht passiert“

„Warum?“, fragte der Fuchs verdutzt.

„Weißt du, bei uns folgt das Veröffentlichen einem völlig anderen Prinzip: Statt dass wir unsere Arbeiten immer nur bei einer einzigen Zeitschrift einreichen, versteigern wir sie quasi an den Meistbietenden.“

„Wie meinst du das?“

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Wessen Privileg?

„Kurz gesagt, funktioniert es so: Die Autoren schicken erstmal einen kurzen Abriss ihrer Ergebnisse an eine ganze Reihe geeigneter Zeitschriften, um damit zu prüfen, wer tatsächlich bereit ist, die ganze Geschichte zu veröffentlichen. Daraufhin müssen die Editoren ihr Interesse bekunden und die Autoren davon überzeugen, warum ihre Zeitschrift die beste Wahl für die endgültige Veröffentlichung wäre. Sie müssen sich also wirklich um die Arbeit bewerben. Die Autoren wählen dann ihre drei Favoriten aus und schicken ihnen das vollständige Manuskript. Und wenn deren Editoren dann immer noch sagen: „Ja, wir würden es als unser Privileg betrachten, Ihre Arbeit zu veröffentlichen“ – dann entscheiden die Autoren, welchem der Kandidaten sie dieses Privileg letztendlich gewähren wollen."

„Klingt fantastisch. Aber was ist mit dem Peer-Review?“

„Nur einige unserer Zeitschriften schicken die Manuskripte in eine zusätzliche Begutachtungsrunde vor der Veröffentlichung – allerdings nicht mit dem Ziel, über deren Annahme zu urteilen, sondern eher, um weitere Verbesserungen vorzuschlagen. Die meisten unserer Zeitschriften hingegen veröffentlichen direkt die endgültigen Fassungen der Autoren und bieten jedem die Möglichkeit, die Arbeiten nach der Veröffentlichung zu kommentieren. Das ist im Grunde das, was viele heute gerne Post-Publication-Peer-Review nennen.“

Der beste Service gewinnt

„Und das funktioniert so?“ Der Fuchs war noch nicht wirklich überzeugt.

„Lieber Freund“, antwortete die Eule. „Stell dir mal vor, du hast eine wirklich großartige Entdeckung zu verkaufen. In diesem Fall würden sich die Zeitschriften darum reißen, deine Arbeit zu veröffentlichen. Und wem würdest du schließlich den Zuschlag geben? Genau – derjenigen Zeitschrift, die dir den besten Service bietet.“

„Und die Verlage machen dabei mit?“

„Tun sie! Und weißt du auch, warum? Weil die Zeitschriften auf diese Weise gelernt haben, dass sie die eigentlichen Dienstleister sind – und wir Wissenschaftler ihre hochgeschätzten Kunden. Deshalb sind sie es, die sich um die Autoren bemühen müssen – und nicht andersherum. Und sie müssen uns dabei so nett wie nur irgend möglich behandeln, um uns von ihrem Service zu überzeugen. Denn sonst riskieren sie ernsthaft, vom Markt gefegt zu werden.“

Fromme Wünsche

Ein paar Minuten lang herrschte betretenes Schweigen, bis der Fuchs schließlich mit einem angestrengten Lächeln sagte:

„Manchmal wünschte ich wirklich, ich wäre ein Vogel.“

Ralf Neumann

(Illustr.: @Toothiest)

 

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Letzte Änderungen: 21.09.2022