Editorial

Die katholische Kirche und das Kreuz mit der Evolution

Über das Erstarken fundamental-christlicher Strömungen und die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion

(19.06.2007) Nach Verlautbarung der viel gelobten Aussage Papst Wojtylas (Johannes Paul II.), die Evolution sei "mehr als eine Hypothese", schien allenthalben der Eindruck zu entstehen, als lebten die katholische Kirche und die modernen Natur- beziehungsweise Realwissenschaften heute in friedlicher Koexistenz. Zumindest im aufgeklärten Europa hielt man den über Jahrhunderte schwelenden Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft für überwunden; wo immer er aufflammte, wurde er mühsam zugeschüttet und zu einer sektiererischen Außenseitermeinung erklärt – "Komplementarität statt Konflikt" hieß die Devise.

Praktisch stellte man sich diese "Arbeitsteilung" so vor, dass den Naturwissenschaftlern das Primat der Erklärung der Vorgänge in der Natur zugebilligt wurde, während sich die katholische Kirche vorrangig auf die Erörterung ethisch-moralischer Fragen zurückzog. Lediglich die Entstehung des Kosmos schien sie für Gott zu beanspruchen, wonach der Schöpfer in der Welt nicht fortwährend agiert, interveniert und repariert, sondern in seiner Vollkommenheit bewirkt, dass sich das Universum autonom, nach immanent-materialistischen Gesichtspunkten entwickelt.

Nach Ansicht liberaler Christen, die ihr wissenschaftsorientiertes Weltverständnis nicht auf dem Altar fundamental-religiöser Überzeugungen zu opfern bereit sind, scheint diese sogenannte deistische oder gar die pantheistische Variante der Religion immer noch die sozusagen politisch korrekte Haltung zu sein (siehe zum Beispiel Daecke 2001). Repräsentiert sie aber auch die offizielle Linie der katholischen Kirche?

Offenbar wurde übersehen, dass eine solche Lösung dem Selbstanspruch der Religion kaum gerecht werden kann. Ihre Aufgabe besteht doch im Wesentlichen darin, den Glauben an die heilige Obhut Gottes zu vermitteln und ihren Anhängern wenigstens das Zustandekommen zeitweiser Kontakte zwischen der Welt und jener "Übernatur", an die sie glauben, zu versprechen. Göttliche Eingriffe in den Lauf der Welt werden erbetet und erhofft. Das gilt insbesondere für die Herkunft des Menschen, einem Thema, das unser Selbstbild bestimmt wie kaum ein anderes. Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis sich der Konflikt zwischen der katholischen Kirche und den Naturwissenschaften erneut zuspitzte.

In diesem Artikel soll der wieder aufgeflammte Streit zwischen der Evolutionsbiologie und renommierten Vertretern der katholischen Kirche dokumentiert und aus wissenschaftsphilosophischer Sicht analysiert werden. Doch wagen wir zunächst einen Blick in die Geschichte der Entstehung der Naturwissenschaften, um die historischen Wurzeln des Konflikts zu verstehen.

Rückblick: Die Entstehung der modernen Naturwissenschaften und die Position der katholischen Kirche

Theologische Grundeinsichten waren im Mittelalter und in der Spätscholastik ein bestimmendes Element beim Studium und bei der Interpretation der Natur. In Anlehnung an die Naturtheologie Thomas von Aquins glaubte man, das Handeln Gottes mithilfe empirischer Mittel erkennen zu können. Unter dem Kirchenlehrer Albertus Magnus profitierte davon auch die rationale Diskurstradition. Dennoch blieben die Wissenschaften der Deutungshoheit der Theologie unterstellt: Naturwissenschaftlich und philosophisch konnte nur wahr sein, was vor der christlichen Theologie Bestand hatte.

In der Renaissance beziehungsweise Neuzeit brach sich allmählich die Erkenntnis Bahn, dass der Verweis auf teleologische und übernatürliche Kräfte weder intellektuell befriedigend, noch als Erklärung zureichend war. Stattdessen begann man systematisch zu experimentieren und Theorien zu entwickeln, die auf Gesetzesaussagen und wohlbegründete Mechanismen verweisen. Man erschloss sich durch hypothetisches Schlussfolgern immer tiefere Schichten der Natur, die den menschlichen Sinnen verborgen bleiben.

Die kausal-mechanismische Erklärungsstrategie, wonach die Naturphänomene rein auf weltimmanente Prinzipien rückführbar und übernatürliche Schaffensakte bei der Beschreibung und Erklärung der Vorgänge entbehrlich sind ("ontologischer Naturalismus"), erwies sich in allen Wissenschaftsbereichen als so erfolgreich, dass übernatürliche, teleologische und vitalistische Kräfte nach und nach aus den Realwissenschaften verschwanden: Mit Galilei geschah das zuerst in der Astronomie, danach mit Newton in der klassischen Mechanik. Im 18. Jahrhundert löste sich mit de Lavoisier und Avogadro allmählich die Chemie von der Naturphilosophie (Alchimie) und reifte zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin heran, die im 19. Jahrhundert die Atomtheorie, die kinetische Gastheorie und die Thermodynamik gebar. Als der Chemiker Friedrich Wöhler im Jahre 1828 schließlich die Umwandelbarkeit anorganischer Materie in organische nachweisen konnte, entglitt auch die Biochemie dem Einfluss vitalistischer Spekulation. Im 19. Jahrhundert galt die Entstehung der Arten als letztes Refugium göttlicher Intervention. Doch nachdem Charles Darwin im Jahre 1859 die Evolutionstheorie begründete, sie mit einem Mechanismus ausstattete und sich auf ein umfangreiches Datenmaterial berief, waren die Naturwissenschaften endgültig frei von teleologischer Spekulation.

Während die Wissenschaften florierten und ein stattliches Netzwerk kohärenter, sich gegenseitig stützender Theorien hervorbrachten, musste der katholischen Kirche die Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse mühsam abgerungen werden. Galileo Galilei und Giordano Bruno (der seine revolutionären Einsichten bezüglich der unbedeutenden Stellung der Erde im Universum mit dem Feuertod bezahlte) wurden der Inquisition vorgeführt, und – was heute weniger bekannt sein dürfte – auch die "Atomisten" erfuhren unter dem Einfluss Thomas von Aquins zunächst eine empfindliche Niederlage. Den atomaren Aufbau der Materie, wonach sich die Atome im leeren Raum so bewegen, "wie es der Zufall gerade will", und von selber infolge eines "jeder Ordnung baren Antriebes" miteinander zusammenstoßen, betrachtete man als gottlos. Zudem schien das Hervorbringen chemischer Ordnung dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu widersprechen und außerdem hat noch niemand die Existenz von Atomen direkt "bewiesen".

Diese Argumentation klingt mit Blick auf die Geplänkel mit den Evolutionsgegnern seltsam vertraut. Doch schien sich die katholische Kirche mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften allmählich zu arrangieren, selbst mit denen der Evolutionstheorie, an der sich seit 150 Jahren immer wieder der Streit entzündet. In der Botschaft "Christliches Menschenbild und moderne Evolutionstheorien" beanspruchte Papst Wojtyla zwar die Entstehung der menschlichen Seele für Gott, ließ jedoch an der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Arten, so wie sie die Evolutionstheorie beschreibt, keine Zweifel bestehen.

Unter dem Druck evolutionstheoretischer Erklärungserfolge erklärte Papst Wojtyla (1996): "Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der Enzyklika, geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert wurde. Ein solches unbeabsichtigtes und nicht gesteuertes Übereinstimmen von Forschungsergebnissen stellt schon an sich ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorien dar".

Martin Neukamm

Photo: Public Papers of the Presidents of the United States

Zum zweiten Teil des Artikels geht's hier lang.



Letzte Änderungen: 02.07.2007