Editorial

Immun-Booster
für die Schleimhäute

(04.08.2022) Nicht nur in Indien, China und Iran, auch in unseren Landen feilt man an mukosalen COVID-19-Vakzinen. Mit dabei: alte Bekannte und toxische Einzeller.
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Der Gesundheitsminister hat es bereits angekündigt. Im September stehen die neuen, an die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 angepassten Impfstoffe zur Verfügung. Das ist gut. Aber auch diese werden eine Infektion nicht vollständig verhindern und somit die Pandemie ein für allemal beenden können.

Dazu in der Lage wären wohl mukosale Vakzine, die nicht in den Muskel injiziert, sondern per Nasenspray, Inhalation oder als Tropfen direkt zu den Schleimhäuten (den Mukosen) gelangen – dem Ort des Erstkontakts zwischen Virus und dem menschlichen Immunsystem.

Bereits im letzten Sommer berichteten wir über die Entwicklung solcher mukosalen Impfstoffe und stellten fest: außer einem Grippe-Impfstoff für Kinder in Nasenspray-Form war nicht viel auf dem Markt. Denn immer wieder stand die europäische Entwicklungs­arbeit mukosaler Impfstoffe vor unüberwind­baren Hürden. Und dabei ging es nicht mal unbedingt um die Förderung der Projekte. Die EU war durchaus spendabel. Die Vakzin-Forscher hatten andere Sorgen und Nöte: Lieferanten­probleme, Bürokratie und ein ausgeprägtes Desinteresse.

Editorial

Neuer Schwung

Offenbar sah man die damals für eine Grippe-Epidemie bzw. -Pandemie entwickelten Impfstoffe nicht als dringend benötigt an. „Pandemien? Sowas gibt es in Europa nicht.“ Die Corona-Pandemie hat die Investoren und Bürokraten eines Besseren belehrt und der Entwicklung mukosaler Impfstoffe neuen Schwung verliehen. Allerdings immer noch vor allem außerhalb Europas.

Auf ihrem Blog Absolutely Maybe listet Wissenschafts­kommunikatorin Hilda Bastian alle derzeit in Entwicklung befindlichen mukosalen Impfstoffe. Sie kommt auf insgesamt 88. Eine erstaunliche Zahl. Neun davon befinden sich bereits in der klinischen Testphase, wobei ein Impfstoff, Altimmunes AdCOVID, bereits die Segel streichen musste. Bleiben noch acht.

Besonders in China gibt es gleich mehrere klinische Studien. Zum Beispiel mit der aerolisierten Version des chinesischen CanSino-Impfstoffs, der ähnlich Astrazenecas COVID-19-Vakzin, Adenovirus-basiert ist. Das Präparat befindet sich bereits in Phase 3 und wird unter anderem als inhalierter Booster nach zwei vorherigen intramuskulären Impfungen geprüft. Dieses Impfschema ist auch das am häufigsten getestete: zunächst zwei oder drei Injektionen, gefolgt von einem mukosalen Booster.

Auch Kuba hat im Alleingang COVID-19-Impfstoffe entwickelt, darunter ein Protein-Untereinheiten-Vakzin namens Mambisa. Getestet wird es derzeit in Phase-1/2-Studien sowohl in Tropfen- als auch in Nasenspray-Form.

Phase 1 in Mexiko

Patria ist die mexikanische COVID-19-Vakzin-Variante, die derzeit in der klinischen Phase 2 untersucht wird. Das Vakzin basiert auf einem rekombinanten Newcastle-Disease-Virus, das eine stabile Version des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 exprimiert. An der Entwicklung beteiligt sind unter anderem Peter Palese, Adolfo Garcá-Sastre und Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York. Vorläufige Ergebnisse der noch recht übersichtlichen Phase-1-Studie stimmen positiv: „the vaccine was found to be safe and the higher doses tested were found to be immunogenic when given intramuscularly or intranasally followed by intramuscular administration“ (medRxiv, DOI: 10.1101/ 2022.02.08.22270676). Hier wurde das mukosale Vakzin ausnahmsweise also vor der intramuskulären Impfung verabreicht.

Sogar der Iran hat seinen eigenen COVID-19-Impfstoff. Razi Cov Pars ist ein Protein-Unter­einheiten-Impfstoff, der das Spike-Protein enthält. Er liegt in verschiedenen Formulierungen vor und kann sowohl in den Muskel, als auch durch die Nase verabreicht werden. In einer Phase-3-Studie wird er aktuell als intranasaler Booster überprüft.

Obwohl die am weitesten fortge­schrittenen Projekte nicht in europäischen Händen liegen, hat man auch im deutsch­sprachigen Raum die Entwicklung mukosaler Impfstoffe noch nicht ad acta gelegt. Hilda Bastian zählt drei Projekte aus der Schweiz, Österreich und Deutschland auf.

Vom Bundesamt übergangen

In der Schweiz arbeitet die Uni Bern zusammen mit Saiba Biotech an CuMVTT-RBD, einem Vakzin, das auf Virus-ähnlichen Partikeln (VLP) basiert und die Rezeptor-Bindedomäne des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 präsentiert. In ihrer jüngsten Veröffent­lichung vom April demonstrieren die Autoren „a strong mucosal antibody and plasma cell production in lung tissue“ im Maus-Modell (Allergy, DOI: 10.1111/all.15311).

Für den Industriepartner Saiba Biotech lief die bisherige Entwicklung des Impfstoffs allerdings alles andere als glatt. „Indeed, the Swiss Federal Office of Public Health (BAG) had announced in spring 2020 that it would support one of three Swiss vaccine candidates which included Saiba AG. However, even with a positive letter of recommendation from the Scientific Corona Task Force of Switzerland, the BAG eventually decided to not support a domestic COVID vaccine solution and Saiba but rather order an RNA vaccine from the US company Moderna“, heißt es etwas verschnupft in einer Pressemitteilung von September 2020.

Man entschied, es ruhig anzugehen, sich aus dem Wettrennen um den ersten COVID-19-Impfstoff rauszuhalten und sich auf Qualität zu konzentrieren. Daher auch jetzt erst der Proof-of-Concept. Vielleicht ein gutes Timing, denn die Zeit der mukosalen Impfstoffe hat ja gerade erst begonnen.

Wechselvolle Geschichte

Weiter nach Hannover, München und ehemals Hamburg-Eppendorf, Marburg, Braunschweig. MVA-SARS-2-ST heißt der Impfstoff-Kandidat, der derzeit in Phase 1 überprüft wird und bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich hat. Wer erinnert sich? Zu Beginn der Pandemie gehörte das Vakzin, entwickelt von Forschern des Deutschen Zentrums für Infektions­forschung (DZIF), zu den Impfstoff-Hoffnungs­trägern im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie. Als Vektor dient das „Modifizierte Vacciniavirus Ankara“ (MVA), welches das full-length Spike-Protein von SARS-CoV-2 exprimiert.

In der klinischen Prüfung stellte sich der Impfstoff-Kandidat aber als weniger wirksam heraus als erhofft. Es begannen, unter anderem bei Gerd Sutter an der LMU, Optimierungs­arbeiten und neue klinische Studien (im Juli 2021). Die Ergebnisse müssten demnächst vorliegen.

Seit Februar 2022 wird MVA-SARS-2-ST auch als Booster-Vakzin per Inhalation an der Medizinischen Hochschule Hannover klinisch überprüft. In präklinischen Untersuchungen schützte die Kombination aus „intramuscular priming and intranasal boosting“ der ursprünglichen Impfstoff-Variante MVA-SARS-2-S Syrische Goldhamster komplett vor einer Infektion ihrer Lungen (Front Immunol, 12:772240). Mit Ergebnissen aus der Hannoveraner Phase-1-Studie ist allerdings nicht vor nächstem Jahr zu rechnen.

Entgiftete Vektor-Vesikel

Abschließend reisen wir nach Graz in das Labor von Stefan Schild. Hier ist man noch am weitesten von der Klinik entfernt, verfolgt in der Impfstoff-Entwicklung aber einen spannenden Ansatz. Im Mittelpunkt stehen bakterielle Outer Membrane Vesicles (OMV) als Vakzin-Vektoren. Diese schnüren Gram-negative Bakterien von ihrer äußeren Membran ab, um mit ihrer Umwelt zu kommunizieren und diese nach ihrem Belieben zu beeinflussen. Das Schild-Team verwendet für seinen noch namenlosen Impfstoff-Kandidaten OMV von Vibrio cholerae und entero­toxischen Escherichia coli. Aber keine Angst, die OMV werden, wie Schild et al. im zugehörigen Paper versichern, vorher „detoxifiziert“ (Front Microbiol, 12:752739).

OMV haben den Vorteil, dass sie an sich schon das Immunsystem in Alarm­bereitschaft versetzen. Außerdem können ihre bakteriellen Produktions­stämme genetisch so manipuliert werden, dass sie das Impf-Antigen in ihrer äußeren Membran unterbringen. Beim Abschnürungs­prozess wandert das Antigen gleich mit in die Vesikel. Auf der OMV-Oberfläche des Grazer COVID-19-Vakzins prangt beispielsweise die Rezeptor-Bindedomäne des SARS-CoV-2-Spike-Proteins. In Mäusen hat das System schon mal funktioniert. Jetzt suchen Schild und Co. Industriepartner.

Kathleen Gransalke

Nachtrag: Auch in Berlin glühen die Pipetten. Hier hat man ein lebendes, abgeschwächtes Virus (live-attenuated virus) zum einem Impfstoff-Kandidaten namens sCPD9 weiterentwickelt. Dieser hat sich besonders als intranasaler Booster im Hamster-Modell positiv hervorgetan („rapid viral clearance, reduced tissue damage, fast differentiation of pre-plasmablasts, strong systemic and mucosal humoral responses, and rapid recall of memory T cells from lung tissue“, siehe bioRxiv, DOI: 10.1101/ 2022.05.16.492138). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung findet’s gut und überweist den beteiligten Forschern 1,7 Millionen Euro.

Bild: AdobeStock/adragan


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Letzte Änderungen: 04.08.2022