„Die wesentlichen Ziele
wurden verfehlt“
(13.06.2022) Die Novellierung des WissZeitVG 2016 sollte vor allem Kurzzeitbefristungen eindämmen. Ihre Evaluation kommt aber zu einem ernüchternden Ergebnis.
Befristete Verträge, oft für kurze Zeitspannen, sind für Beschäftigte in Forschung und Lehre an deutschen Universitäten eher die Regel als die Ausnahme. Wer dort eine Doktorarbeit absolviert und vielleicht noch eine Postdoc-Zeit anhängt, kann meist gleich eine ganze Abfolge solcher Kurzzeitverträge vorweisen – man spricht deshalb auch von Kettenbefristung. Planbar sind unter diesen Bedingungen weder langfristige Arbeitsvorhaben noch „Projekte“ des Privatlebens wie beispielsweise die Familiengründung. Die fehlende Aussicht auf eine Dauerstelle ist daher einer der wesentlichen Faktoren, warum qualifiziertes Personal der Forschung den Rücken kehrt.
Diesen Missstand hat der Gesetzgeber prinzipiell erkannt und auch versucht zu beheben – unter anderem durch eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), das seit 2007 das Befristungsrecht in der deutschen Wissenschaft regelt. Die Novellierung von 2016 war notwendig geworden, nachdem eine Evaluation des WissZeitVG gezeigt hatte, dass mehr als die Hälfte der Verträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Laufzeit von unter einem Jahr hatten. Um die unsachgemäßen Kurzzeitbefristungen einzudämmen und damit die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern, wurde in der Novellierung unter anderem festgelegt, dass Vertragslaufzeiten an die Dauer einer angestrebten Qualifizierungsphase – also Promotion oder Habilitation – angepasst sein oder der Dauer eines Drittmittelprojekts entsprechen sollten. Der Erfolg dieser Maßnahmen stand in den letzten beiden Jahren erneut auf dem Prüfstand.
Keine nachhaltige Verbesserung
Durchgeführt hat die Evaluation wie bereits beim ersten Mal die InterVal GmbH in Kooperation mit dem HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V. (HIS-HE). Insgesamt sahen die Evaluierer dafür in den Jahren 2020 und 2021 an 18 Universitäten, acht Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), fünf Universitätskliniken und 22 außeruniversitären Forschungseinrichtungen Vertragsdaten durch und befragten Beschäftige. Aufgrund der Corona-Pandemie um rund fünf Monate verspätet übergab das Evaluationsteam seinen 250 Seiten starken Bericht am 20. Mai 2022 an das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter der Leitung von Bettina Stark-Watzinger (FDP).
Die Bilanz ist bestenfalls durchwachsen: Zwar sind die Vertragslaufzeiten zwischendurch tatsächlich leicht angestiegen, allerdings in den Jahren der Pandemie auch wieder gesunken, sodass sie mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 18 Monaten an den Universitäten und 15 Monaten an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften wieder auf dem Niveau von 2017 liegen. Das HIS-HE sieht darin eine „positive, jedoch noch keine nachhaltige Veränderung.“ Der positive Trend ließe sich hauptsächlich darauf zurückführen, dass vermehrt Verträge über einen Zeitraum von drei Jahren – angepasst an den Zeitraum einer Promotion – abgeschlossen wurden. Dennoch fanden die Evaluierer im Jahr 2020 an den Universitäten noch immer bei 42 Prozent der Beschäftigten Verträge, die eine kürze Laufzeit als 12 Monate hatten. Dazu passt, dass von 6.000 Befragten jeder zweite angegeben hatte, dass die Vertragslaufzeiten nicht ausreichten, um die angestrebte Qualifikation zu erreichen. Dagegen entsprachen die Vertragslaufzeiten bei Drittmittel-befristeten Verträgen im Evaluationszeitraum weitgehend den Projektlaufzeiten.
Befristungen sind der Standard
Besonders ernüchternd ist, dass die Anzahl an befristet Beschäftigten im Hochschulsektor insgesamt nicht zurückgegangen ist. So waren 2013 rund 83 Prozent des hauptberuflich wissenschaftlichen Personals der Hochschulen mit Ausnahmen der Professoren befristet beschäftigt, 2020 waren es immer noch 81 Prozent. Bezogen auf die Universitäten lag die Quote im Jahr 2020 bei 84 Prozent in der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Besonders hoch liegt sie mit 93 Prozent erwartungsgemäß bei den noch nicht promovierten Beschäftigen. „Die wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle wurden verfehlt“, sagt deshalb der Hochschulexperte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Andreas Keller in einer Pressemitteilung. „Die Novelle dämmt weder unsachgemäße Befristung noch Kurzzeitbefristungen ein.“
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Peter-André Alt dagegen sieht laut Pressemitteilung im Evaluationsbericht Anzeichen dafür, dass sich die Befristungspraxis der Hochschulen aufgrund der letzten Gesetzesnovelle „im Sinne größerer Transparenz von Karrierewegen für Beschäftigte und Wissenschaftseinrichtungen“ verändert hat. Dabei würden aber auch „Grenzen des gesetzlich Regelbaren deutlich.“ Wissenschaftliche Einrichtungen bräuchten vor allem eine verlässliche Finanzierung, um attraktive Beschäftigungsbedingungen zu schaffen. Wichtig sei außerdem, Karrierewege außerhalb von Forschung und Lehre aufzuzeigen, denn – so Alt – da die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft begrenzt seien, müssten Auswahlverfahren notwendigerweise hochkompetitiv sein.
Nachbesserungen notwendig
Die GEW fordert, dass das WissZeitVG zu einem „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ weiterentwickelt wird, in dem geregelt ist, „dass Befristungen nur zulässig sind, wenn sie eine wissenschaftliche Qualifizierung wie die Promotion fördern.“ Nach der Promotion müssten Befristungen mit einem Tenure Track gekoppelt werden. „Verbindliche Mindestvertragslaufzeiten müssen sicherstellen, dass die Qualifizierung tatsächlich erfolgreich abgeschlossen werden kann“, fordert GEW-Hochschulexperte Keller ebenso wie Nachteilsausgleich in Form von Vertragsverlängerungen für Beschäftigte, die Kinder betreuten, Pandemie-bedingte Beeinträchtigungen erfahren oder eine Behinderung oder chronische Erkrankung haben. Dass hier gesetzlicher Spielraum nicht ausgeschöpft wird, zeigt die Tatsache, dass Familien-bedingte Vertragsverlängerungen im Evaluationszeitraum mit einem Prozent so gut wie gar nicht vorgekommen sind, obwohl sie dem WissZeitVG zufolge möglich sind. Ebenso hat die Evaluation ein deutliches Missverhältnis von Corona-bedingten Vertragsverlängerungen und subjektiv erlebten Einschränkungen durch die Pandemie festgestellt.
Auf jeden Fall zeigt der Evaluationsbericht, dass noch viel Arbeit vor den Verantwortlichen liegt. „Die Ergebnisse der vom Gesetzgeber geforderten und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragten Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes liegen auf dem Tisch“, so HRK-Präsident Alt. „Jetzt muss eine gründliche Bewertung durch das Ministerium in enger Abstimmung mit den betroffenen Interessengruppen erfolgen. Auf dieser Basis kann der Bundestag über weitere mögliche Anpassungen befinden.“
Larissa Tetsch
Bild: Pixabay/tookapic
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