Editorial

Was bringt ein
Patentverzicht?

(14.04.2022) In vielen Entwicklungsländern ist die Impfquote niedrig. Manche hoffen, dass ein befristeter Verzicht auf den Patentschutz die Situation ändert.
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Impfen ist derzeit die beste Strategie, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen. Die WHO empfiehlt dazu eine weltweite Impfquote von 70 %. Die Realität sieht allerdings anders aus: So sind in den Entwicklungs­ländern im Schnitt nur 11 % der Menschen zweimal geimpft. Dadurch vermehrt sich das Virus weiter, wodurch die Wahr­schein­lichkeit steigt, dass neue, potenziell auch für geimpfte Personen gefährliche Virus­varianten entstehen. Die niedrigen Impfquoten in Afrika werden dann auch schnell für Europa ein Problem.

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus im Interesse der reicheren Länder, die Entwicklungs- und Schwellen­länder mit ausreichend Impfstoff zu versorgen. Bereits 2020, im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie, hatten deshalb Südafrika und Indien vorgeschlagen, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe vorübergehend auszusetzen, um die weltweite Verfügbarkeit von Impfstoffen zu erhöhen. Die Regelung würde es Unternehmen ermöglichen, Corona-Impfstoffe herzustellen, ohne die Rechteinhaber um Erlaubnis bitten zu müssen.

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Befristeter Kompromiss

Gegen diesen Plan gab es allerdings von Anfang an Widerstand – nicht nur von Pharma­verbänden, sondern auch aus reicheren, vor allem europäischen Ländern. Nach über einem Jahr Stillstand in den Verhandlungen wurde jetzt von Vertretern der EU, den USA, Indiens und Südafrikas ein Kompromiss ausgearbeitet. Dieser sieht vor, dass das Patentrecht für Corona-Impfstoffe für entweder drei oder fünf Jahre ruhen soll. Diesem Vorschlag müssen nun die 164 Mitglieder der Welthandels­organisation (World Trade Organization, WTO) geschlossen zustimmen. Doch danach sieht es im Moment nicht aus.

Gegner des Kompromisses sind vor allen die Schweiz und Großbritannien – zwei Länder, in denen einige der weltweit größten Pharma­unternehmen ihren Sitz haben. Auch viele Pharma­verbände sehen ein Aussetzen des Patentschutzes kritisch. So ist beispielsweise der US-amerikanische Verband PhRMA der Meinung, dass „the efforts to waive intellectual property commitments are unnecessary and harmful to our collective work to end the pandemic“. Schon jetzt wäre es den Impfstoff­herstellern möglich, in diesem Jahr 20 Milliarden Impfdosen zu liefern und damit die vollständige Versorgung der Weltbevöl­kerung zu gewährleisten.

Kritik auch aus Deutschland

Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hält Patente für notwendig, um Pharma­unternehmen Anreize zu bieten, weiter in die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen zu investieren (Reuters, 28. März 2022). Ein besserer Weg, um auch Schwellen­länder mit Impfstoffen zu versorgen, wäre es laut Scholz, Produktions­anlagen in diese Länder zu verlegen. Unterstützt wird er durch Oliver Schacht, dem Vorstands­vorsitzenden des deutschen Biotechno­logie-Industrie­verbands BIO Deutschland: „Der Patentschutz für innovative Corona-Impfstoffe muss bleiben. In dieser Haltung unterstützen wir die Bundes­regierung uneingeschränkt“, wird Schacht in einer Presse­mitteilung von BIO Deutschland zitiert.

Darin bekräftigt der Verband die Bedeutung des Patentschutzes für die Erfolgs­geschichte neuentwickelter Impfstoffe. Gleichzeitig hinterfragt Schacht die Wirksamkeit eines Patent­verzichts: „Die Annahme, dass Vakzine gegen COVID-19 für Menschen in allen Ländern nur dann schnell zugänglich gemacht werden können, wenn eine weltweite Aussetzung von Patenten innerhalb kurzer Zeit erreicht wird, ist falsch.“ Einerseits würden die verfügbaren Impfstoff­kapazitäten sowieso schon ständig ansteigen, nicht nur in Europa und den USA, sondern auch durch die Produktion von indischen und chinesischen Impfstoffen. Auf der anderen Seite sei es ein langwieriger und schwieriger Prozess, die Produktion eines sicheren biologischen Impfstoffs von einem auf ein anderes Unternehmen zu übertragen. Dafür sei viel Know-how notwendig, weshalb Schacht überzeugt ist, dass eine Patent­freigabe kurzfristig keine zusätzlichen Mengen an Impfstoffen erzeugen kann.

Antivirale Medikamente fehlen

Kritik am geplanten Kompromiss kommt auch aus anderen Reihen. So bemängelt James Love, Direktor der nicht-profitorien­tierten NGO Knowledge Ecology International, dass sich der Kompromiss aktuell nur auf Impfstoffe bezieht, ebenfalls dringend benötigte Diagnostika und Medikamente aber ausnimmt. Erst sechs Monate nach einem möglichen Annehmen des Kompromisses soll erneut darüber entschieden werden, ob der Patent­verzicht darauf ausgeweitet werden soll.

Darüber hinaus ist aber auch Love nicht davon überzeugt, dass ein Patent­verzicht nötig wäre. Auch heute könnten Länder in Notfällen oder einer Pandemie­situation bereits die nicht freiwillige Nutzung von Patenten zulassen, ohne vorher mit den Patent­inhabern zu verhandeln, wird er von Politico zitiert. Allerdings hat von diesem Recht in den letzten zwei Jahren kein einziges Unternehmen Gebrauch gemacht, um einen Covid-19-Impfstoff herzustellen – unter anderem weil die Regelung vorsieht, dass für jedes Patent, das den Herstellungs­prozess betrifft, eine eigene Erlaubnis eingeholt werden muss.

Wer profitiert?

Die Frage ist noch, wer überhaupt von dem Patent­verzicht profitieren würde. Vorgesehen ist, dass nur Entwicklungs- und Schwellen­länder zum Zug kommen, die im Jahr 2021 weniger als 10 Prozent der weltweiten Coronavirus-Impfstoff­dosen importiert haben. Voraussetzung ist aber natürlich, dass diese Länder überhaupt das technische Know-how haben, um Impfstoffe zu produzieren. Ein Kandidat wäre Indien, das 2021 tatsächlich kaum exportiert hat. China wäre dagegen aufgrund seiner massiven Exporte von der Regelung ausgenommen.

Vor allem auf dem afrikanischen Kontinent könnte ein Patentverzicht für eine Entlastung sorgen. So konnte, wie Nature news kürzlich berichtete, das Biotech-Unternehmen Afrigen Biologics and Vaccines im südafrikanischen Kapstadt nachweisen, dass es in der Lage ist, Modernas Corona-Impfstoff zu reproduzieren. Sollte das Unternehmen eine Genehmigung zur Impfstoff­produktion erhalten, könnte Südafrika auch Nachbarländer mitversorgen, weil der Export von Impfstoffen ausdrücklich erlaubt ist.

Allerdings sind fehlende Impfstoff­dosen hier nicht das größte Problem wie es Oliver Schacht gegenüber Laborjournal auf den Punkt bringt: „Die Diskussion um Patentfreigaben für Schwellen­länder geht an den eigentlichen Problemen bei der Versorgung vorbei. Da wären z. B. die mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung für das Impfen und die fehlende Impflogistik, bei der Kühlkette angefangen bis zur Infrastruktur, um entlegene Orte zu erreichen. Die Produktions­kapazitäten und die Verteilung aus den Industrie­ländern sind nicht mehr limitierend für den Impferfolg.“

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/neelam279


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Letzte Änderungen: 14.04.2022