Forschung im Wandel
Der Sozialplan, der zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat des Helmholtz Zentrums München abgeschlossen wurde und der allen Angehörigen zugänglich ist, spricht davon, Arbeitsgruppen und Institute, deren Forschung nicht in den Fokus der vierten Periode der Programmorientierten Förderung (PoF) für die Jahre 2021-2027 passt, stillzulegen oder im Umfang stark einzuschränken. In letzter Konsequenz könne dies, wie dem Sozialplan zu entnehmen ist, zu betriebsbedingten Kündigungen führen.
Neu sind diese Pläne allerdings nicht: Sie gehen sogar zurück bis in die Zeit um das Jahr 2008, als die damalige GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (die Abkürzung GSF steht für Gesellschaft für Strahlenforschung, als die das Forschungszentrum in Neuherberg bei München in den 1960er-Jahren gegründet worden war) umbenannt wurde in Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt. Alleine an dieser Umbenennung lässt sich ablesen, dass die Strahlenforschung nicht länger im Mittelpunkt der Großforschungseinrichtung stehen sollte. In den Fokus rückte stattdessen der Einfluss von Umweltfaktoren auf die Gesundheit, die „Environmental Health“, die sich mit vielen chronischen Krankheiten wie Lungenkrankheiten, Allergien, Diabetes mellitus, Demenz und Depressionen befasst. In diese thematische Umstrukturierung wurden seinerzeit sämtliche Gremien einbezogen, und sie erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, der den Sozialplan unterschrieben hat und sich gemeinsam mit der Geschäftsführung des Helmholtz Zentrums dafür einsetzt, dass Kündigungen wenn möglich vermieden werden.
Strahlenforschung als Verlierer?
Nun stehen die Pläne vor der Umsetzung, was naturgemäß bei den Betroffenen Ängste und Befürchtungen weckt. Allerdings muss auch ihnen klar sein: Forschung ist kompetitiv, Fördermittel sind immer irgendwie knapp. Vor diesem Hintergrund sind von Zeit zu Zeit strategische Neuausrichtungen mit einer von den verantwortlichen Gremien – und das sind hier Aufsichtsrat und Scientific Advisory Board – durchgeführten Neubewertung von Forschungsthemen und einer Konzentrierung auf Kernkompetenzen angemessen und sinnvoll. Während also an der einen Stelle Institute wie das für Strahlenbiologie (ISB) geschlossen werden, werden an anderer Stelle Themen, die den Zuwendungsgebern zukunftsweisend scheinen, stark ausgebaut. Ein Beispiel hierfür: Helmholtz AI, eine Einrichtung zur Erforschung von angewandter künstlicher Intelligenz.
Die Notwendigkeit zur thematischen Weiterentwicklung sieht auch der Betriebsrat des Helmholtz Zentrums München. Den Umfang und den knappen zeitlichen Rahmen des derzeitigen Umbaus bewertet er allerdings als kritisch, wie er gegenüber Laborjournal äußerte. Mit Sorge sehe man am Helmholtz Zentrum München eine Entwicklung hin zu weniger Partizipation der Wissenschaftler und einer Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit. Für die von der Restrukturierung betroffenen Mitarbeiter haben Betriebsrat und Geschäftsführung gemeinsam den oben zitierten Sozialplan verhandelt. In erster Linie zielt dieser wie erwähnt darauf ab, dass Kündigungen vermieden werden und die Mitarbeiter in andere PoF-geförderte Bereiche wechseln können.
Die entscheidende Frage ist wohl, welche Forschungsthemen politisch aktuell für zukunftsträchtig und förderwürdig eingestuft werden. Die DeGBS ist jedenfalls der Meinung, dass die Strahlenforschung von den Kürzungen am Helmholtz Zentrum München in nicht vertretbarem Maße betroffen ist und appelliert deshalb an die neue Bundesforschungsministerin, die Pläne ihrer CDU-Vorgänger zu überdenken und zu korrigieren. Die geplante „Schließung und Verschlankung von insgesamt 20 Instituten, Abteilungen und Forschungseinheiten“ sehen die Unterzeichner des offenen Briefs als einen „in der öffentlich finanzierten Forschungslandschaft einmaligen und nicht tolerierbaren Vorgang sowie einen Vertrauensbruch in einem bisher noch nie dagewesenen Umfang“. Unter den Betroffenen seien „erfolgreiche Forschungseinheiten mit langjähriger Zukunftsperspektive […], deren Leitungen ein akademisches Berufungsverfahren am Helmholtz Zentrum München durchlaufen haben.“ Die willkürliche Aufkündigung dieser Berufungszusagen könnte die deutsche Forschungslandschaft und die akademische Tradition langfristig nachhaltig verändern, befürchten Jendrossek und Kollegen.
Traditionell hohes Ansehen
Offensichtlich gibt es in der „Community“ schon länger Befürchtungen, dass die Strahlenforschung in der deutschen Forschungslandschaft nicht mehr den Stellenwert hat, der ihr zukommen sollte. So hat die Deutsche Strahlenschutzkommission – ein Beratungsgremium des Bundesministeriums für Umwelt, Verbraucherschutz und nukleare Sicherheit (BMUV) – dessen Mitglieder vom BMUV berufen werden, aber ehrenamtlich und weisungsunabhängig arbeiten – bereits im Sommer 2021 in einer Stellungnahme die Befürchtung geäußert, dass es durch Stellenabbau und Kürzungen zu einem Kompetenzverlust in der deutschen Strahlenforschung kommen könnte. Dabei sei traditionell das Ansehen der deutschen Strahlenforschung auch international sehr hoch, so das Papier.
Unterstrichen wird diese Aussage dadurch, dass der Vorsitzende der Deutschen Strahlenschutzkommission Werner Rühm, Physiker am Institut für Strahlenmedizin des Helmholtz Zentrums München, seit 01. Juli 2021 auch dem internationalen Pendant, der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP), vorsteht. Die Empfehlungen dieser Kommission sind weltweit und auch in Deutschland Grundlage für viele gesetzliche Regelungen, Normen, Richtlinien und Grenzwerte rund um den Strahlenschutz. Zusätzliche gesellschaftliche Relevanz erhält die Strahlenforschung durch die Anwendung ihrer Erkenntnisse in der Tumorbehandlung. Nicht umsonst kommen alle sechs Unterzeichner des offenen Briefs aus der Tumorforschung oder der Strahlentherapie.
Angst vor Bedeutungsverlust
In ihrer Stellungnahme fordert die Strahlenschutzkommission deshalb den Erhalt bewährter Einrichtungen und die Weiterentwicklung modernster Infrastruktur. Sie spricht sich außerdem für eine nachhaltige Integration der Strahlenforschung in die nationalen Forschungsstrategien aus, zum Beispiel in die „Hightech-Strategie 2025“, die „Nationale Dekade gegen Krebs“ und die „Nationale Strategie für Künstliche Intelligenz“, aber auch in die Strategie der Bundesregierung zur Energiewende. Bereits in dieser Stellungnahme wird die Helmholtz-Gemeinschaft als ein ehemaliger Hauptakteur der Strahlenforschung beschrieben. Dort habe aber, so die SSK, „die Strahlenforschung trotz ihrer hohen gesellschaftlichen Relevanz an Bedeutung verloren“. Ein Beispiel hierfür sei die Schließung des oben bereits erwähnten Instituts für Strahlenbiologie (ISB), nachdem dessen Direktor Michael Atkinson Ende 2020 in den Ruhestand gegangen war.
Über die SSK-Stellungnahme diskutierten im Juni 2021 auf einer Abendveranstaltung in Berlin Vertreter von SSK, BMUV und dem zum BMUV gehörenden Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mit Vertretern aus Politik, Forschung und Medizin. Mit dem BMUV sei man sich dabei in Wesentlichen einig gewesen, sagten Teilnehmer der Veranstaltung gegenüber dem Laborjournal. Wie es mit der deutschen Strahlenforschung nun weitergeht, bleibt abzuwarten. Eine Antwort auf den offenen Brief lag zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht vor.
Larissa Tetsch
Bild: Pixabay/Coernl (Himmel) & OpenClipaart-Vectors
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