Editorial

Transfektion mit
Saugnapf

(01.12.2021) Bei der In-vivo-Transfektion wird DNA meist mithilfe eines Elektro­porators in die Zellen geschleust. Es geht aber auch mit Unterdruck und Saugglocke.
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Wenn man SARS-CoV-2 irgendetwas Positives abgewinnen will, dann ist es vielleicht die Tatsache, dass das Virus mRNA-basierten Vakzinen zum Durchbruch verholfen hat. Die mRNA wird bei diesen nicht mithilfe eines Vektors in die Zelle geschleust, sondern direkt injiziert. Damit die RNA dabei wohlbehalten im Cytosol ankommt, wird sie in eine Lipidhülle verpackt, die sie vor gefräßigen Ribo­nukleasen schützt.

DNA lässt sich sogar völlig nackt und ungeschützt in Zellen transferieren – ohne zusätzliche Unterstützung ist die Transfektions-Effizienz aber nicht gerade berauschend. Um sie zu erhöhen, erzeugt man mit einem Elektro­porations-Gerät ein lokales elektrisches Feld, das die Zellmembran kurzzeitig durchlässig macht. Der kleine „Stromschlag“ kann jedoch Muskel­kontraktion und Schmerzen auslösen sowie Gewebe lokal schädigen. Für Probanden mit Herzschritt­machern kommt die Elektro­poration erst gar nicht infrage.

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Unter die Epidermis

Hao Lins Team an der State University of New Jersey fragte sich, ob es keine sanftere Methode der In-vivo-Transfektion gibt, die genauso effektiv ist wie die Elektro­poration. Die Lösung, die die Gruppe fand, ist zwar ziemlich kurios, scheint aber tadellos zu funktionieren.

Für das Transfektions-Verfahren aus New Jersey benötigt man lediglich eine kleine Saugglocke aus Plastik mit einer sechs Millimeter weiten Öffnung an der Spitze, die an eine simple Vakuum­pumpe angeschlossen wird. Lins Mitarbeiter erprobten die Technik an Ratten, deren Fell sie an der Injektions­stelle rasiert hatten. Mit einer üblichen Spritze injizierten sie ein Plasmid, das für das Grünfluo­reszierende Protein (GFP) codiert, per sogenannter Mantoux-Injektion unmittelbar unter die Epidermis der Tiere. Bei dieser ursprünglich für die Tuberkulose-Diagnostik entwickelten Injektion schwillt die obere Hautschicht ganz leicht kuppel­förmig an. Unmittelbar nach der Injektion setzten die US-Amerikaner die Saugglocke an der Einstich­stelle an und erzeugten für dreißig Sekunden einen leichten Unterdruck von 65 kPa.

Schnelle Expression

Nach der Transfektion verfolgte das Team die GFP-Expression in den Ratten mittels Fluoreszenz­mikroskopie. Tiere, denen die DNA-haltige Lösung mit zusätzlichem Unterdruck gespritzt wurde, fluoreszierten schon nach einer Stunde recht stark – im Gegensatz zu den Kontrollen ohne Unterdruck, die erst nach vier Stunden schwach fluoreszierten. Die GFP-Expression stieg danach weiter an und erreichte nach 24 bis 48 Stunden ein Maximum.

Cryosektion und Hautproben-Analysen der behandelten Tiere zeigten, dass die Transfektions-Lösung durch die Unterdruck­behandlung offenbar in tiefere Hautschichten gelangte. Die Expression von GFP war 400 Mikrometer unter der Hautoberfläche in der Epidermis sowie der oberen Dermis zu erkennen – ohne Unterdruck hingegen nur bis 100 Mikrometer Tiefe in der Epidermis. Der Unterdruck sollte mindestens 65 kPa betragen und fünf Sekunden anhalten – ein stärkerer Unterdruck bis zu 90 kPa oder eine längere Dauer verbesserten die Transfektions-Effizienz nicht signifikant. Mit fünf Mikrogramm Plasmid-DNA in fünfzig Mikrolitern Transfektions-Lösung erhielten die Forscher eine ausreichende GFP-Expression.

Die Vakuumpumpe wäre für das Impfen natürlich ziemlich umständlich und würde die Probanden vermutlich etwas erschrecken. In Schönheits­praxen werden aber schon lange kleine handliche Unterdruck-Geräte für kosmetische Zwecke eingesetzt. Inspiriert von diesen Modellen konstruierte die Gruppe für die Erzeugung des Unterdrucks einen batterie­betriebenen Prototypen im Kugel­schreiber­format, auf den kleine Saugglocken aus Plastik aufgesetzt werden. Seine Praxis­tauglichkeit testen die Forscher aktuell in einer klinischen Studie mit einem SARS-CoV-2-Impfstoff-Kandidaten (GLS-5310), der auf einer Spike-Protein codierenden Plasmid-DNA basiert.

Unklarer Mechanismus

Zuvor hatte das Team Ratten das DNA-Vakzin injiziert und mit dem Prototypen danach an der Einstich­stelle gesaugt. Diese Tiere hatten anschließend im Serum deutlich mehr IgG-Antikörper gegen das Spike-Protein als Tiere, die ohne zusätzliches Saugen geimpft wurden. Zudem war die Immun­antwort in Ratten, die nur eine Impfung mit zusätzlicher Saugglocken-Behandlung erhalten hatten, bereits genauso stark wie in Tieren die zweimal geimpft wurden.

Die Forscher haben zwar eine ungefähre Vorstellung davon, wie die Saugtechnik die Transfektions-Effizienz erhöhen könnte, den genauen Mechanismus kennen sie aber noch nicht. Ihre Simulationen und Modelle weisen darauf hin, dass der Unterdruck zu einer wirksamen, aber nicht übermäßigen Zelldefor­mation führt. Wird er aufgehoben, löst dies in den Zellen einen Endocytose-Mechanismus aus, mit dem sie injizierte DNA aufnehmen. Die Technik sollte aber nicht nur in Ratten funktionieren, sondern auch beim Menschen.

Andrea Pitzschke

Lallow E. et al. (2021): Novel suction-based in vivo cutaneous DNA transfection platform. Sci Adv, 7(45):eabj0611

Bild: AdobeStock/SeanPavonePhoto




Letzte Änderungen: 01.12.2021