Biowissenschaft
for future
(30.11.2021) Die Oberflächentemperatur der Erde steigt – langsam, aber stetig. Um diese Entwicklung einzudämmen, sind alle Wissenschaftsdisziplinen gefordert.
Der diesjährige Nobelpreis in Physik geht zu einem Viertel an den Hamburger Meteorologen Klaus Hasselmann. Erst seine Modellierungsmethoden komplexer Systeme erlaubten, zwischen natürlichen Wetterphänomenen und dem Einfluss anthropogener CO2-Emissionen zu unterscheiden. Fest steht seitdem: Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde steigt, und zwar gegenwärtig um 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt auf mittlerweile 1,1 Grad Celsius über vorindustriellem Niveau (IPCC-Sonderbericht).
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 macht indes klar, welche globale Katastrophe eine Erderwärmung um mehr als 1,5 bis 2 Grad Celsius wäre. Um sie zu vermeiden, müssen die Konzentrationen langlebiger Treibhausgase – neben Kohlendioxid also Methan, Distickstoffmonoxid und Halogenkohlenwasserstoffe – bis zum Ende des Jahrhunderts von gegenwärtigen 500 ppm (parts per million) bei 450 ppm CO2-Äquivalenten stabilisiert werden. Aber wie? Bäume könnten ein Schlüssel sein.
GeCRISPRte Rotbuchen
Deutsche Wälder speichern mit 11,5 GtCO2 ein 13-Jahres-Budget des deutschen Gesamtausstoßes. Diese Bilanz möchte der Nachwuchsgruppenleiter Tobias Brügmann am Thünen-Institut für Forstgenetik bei Hamburg langfristig verbessern – mit genomeditierten Bäumen. „Wir passen CRISPR-Cas-Systeme von Modellpflanzen wie Arabidopsis und Nicotiana über Pappeln an Rotbuchen an, um deren Trockenstresstoleranz zu steigern“, fasst er seine Forschungsbestrebungen zusammen. Die Rotbuche steht im Fokus der Forstgenetiker, da 55 Prozent des häufigsten deutschen Laubbaums laut Waldzustandserhebung 2020 deutliche Kronenverlichtung zeigen – mehr als jede andere Baumart.
Warum aber waldfremde Pappeln genomeditieren? „Neben einem mit 520 Millionen Basenpaaren vorteilhaft kleinen und 2006 als erste Baumart sequenzierten Genom wachsen Pappeln im Gegensatz zu anderen Bäumen gut auf In-vitro-Nährmedien. Ihre Einzelzellen lassen sich bereitwillig transformieren und durch Hormonzugabe binnen Monaten zu verholzenden Jungpflanzen regenerieren“, beschreibt Brügmann seinen Forschungsliebling.
Empfindliche Schere
Den Machbarkeitsnachweis in langsamwüchsigen Forstpflanzen erbrachte indes eine US-Arbeitsgruppe 2015. Mit CRISPR-Cas9 schalteten sie zwei 4-Cumarat:CoA-Ligasen der Lignin-Biosynthese aus und lernten gleichzeitig, wie empfindlich die Single-Guide-RNA (sgRNA) der Genschere für Einzelnukleotid-Polymorphismen ist (New Phytol, 208(2):298-301).
Was eine in Forstpflanzen effiziente sgRNA auszeichnet, ergründet auch Brügmann seit seiner Zeit als Postdoktorand: Mithilfe von Agrobacterium tumefaciens transformierte er Grau- und Zitter-Pappeln konstitutiv mit der Streptococcus-Endonuklease und quantifizierte die Editierungseffizienz designter sgRNA anhand zwölf verschiedener Gene unter anderem für die Biomassebildung (Int J Mol Sci, 20(15): 3623). Die vorläufige Schlussfolgerung: Wichtig sind der GC-Gehalt der sgRNA und vier Purine an deren 3‘-Ende. Und es ist von Vorteil, Cas9 den nicht-transkribierten DNA-Strang einer Zielsequenz zerschneiden zu lassen.
Brügmann blickt unterdessen über technische Aspekte hinaus: „Für den Moment inventarisieren wir alle Gen-Knockouts und suchen nach Phänotypen, die Zellmembranen bei Wassermangel stabilisieren, pflanzliches Gewebe erholungsfähiger und Temperatur-unempfindlicher machen oder das Wurzeltiefenwachstum anregen. Für eine Aussage, wie genomeditierte Bäume im Klimawandel helfen können, ist es aber noch ein paar Jahre zu früh.“ Klar ist hingegen, dass klassische Kreuzungszüchtung bei einem Zeithorizont weniger Jahrzehnte wenig nützt. Während Rotbuchen erst nach einem halben Jahrhundert blühen, lassen sich genetische Veränderungen mit CRISPR-Cas binnen Tagen einbauen.
Bioscientists for future
Neben genomeditierten Bäumen gibt es eine Vielzahl weiterer Ideen und Lösungsvorschlägen aus der Biowissenschaft. Extra großzügig finanziert oder breitflächig umgesetzt werden laut ihrer Betreiber aber nur die wenigsten. Im Gegensatz dazu haben sich die weltführenden Erdöl- und Erdgasproduzenten, die vier Fünftel des globalen CO2-Budgets bestimmen, noch immer nicht dem Zwei-Grad-Celsius-Ziel des Pariser Klimaabkommens verpflichtet. Sie wollen aber „die Bemühungen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad fortsetzen“ (Weltklimakonferenz 2021). Unterdessen übernimmt die Klimajugend gesellschaftliche Verantwortung, läuft den Medizinerinnen und Biowissenschaftlern die Zeit davon. Sind sie in der Pflicht, öffentlich die Stimme zu erheben (scientists4future.org)?
Henrik Müller
Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in Laborjournal 11/2021. Im ausführlichen Text schreibt Henrik Müller außerdem über Forschung zu tierfreier Käseproduktion, E.-coli-Stämmen, die auf Ameisensäure wachsen und Biokunststoffe produzieren, sowie zu individuell wirksamen Hyposensibilisierungsextrakten für Pollenallergiker.
Bild: Pixabay/cubicroot
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