Editorial

Handliches Stoffwechsel-„Profiling“

(25.11.2021) Im Fingerschweiß verstecken sich hunderte Biomarker, die sich für die Diagnostik und ein potentielles Start-up eignen, sagen Wiener Forscher.
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Biomarker spielen eine wichtige Rolle bei der Diagnose von Krankheiten, aber auch beim Verfolgen von Therapie-Erfolgen. Häufig handelt es sich um Stoffwechsel-Produkte, die im Blut, im Urin oder Speichel identifiziert werden können. Dieses Probenmaterial ist allerdings ungeeignet, um eine dynamische Entwicklung der Biomarker verfolgen zu können. Um einen Zeitverlauf dokumentieren zu können, müssen in kurzer zeitlicher Folge mehrere Proben genommen werden; dies ist nur nicht-invasiv möglich. Gleichzeitig muss das Probenmaterial die Analyse kleinster Metabolit-Mengen ermöglichen und dabei frei von Verun­reinigungen sein, wie sie in Speichelproben häufig sind.

Eine ganz neue Möglichkeit der metabolischen Phäno­typisierung bietet die Analyse von Fingerschweiß. Schon heute wird Schweiß als diagnostisches Mittel eingesetzt, etwa um Drogen­missbrauch nachzuweisen. Ein Schweißtest ist außerdem der Goldstandard für die Diagnose von Mukoviszidose, bei der ein defekter Chloridkanal für stark erhöhte Chlorid-Konzentrationen im Schweiß sorgt. Auch wurde schon gezeigt, dass man anhand von Proteinen im Schweiß Lungenkrebs und aktive Tuberkulose-Erkrankungen nachweisen kann.

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Aufschlussreiche Körperflüssigkeit

Schweiß ist ein wässriges Sekret, das hauptsächlich von den ekkrinen Schweißdrüsen der Haut produziert wird. Er enthält neben Elektrolyten und Metallionen auch organische Verbindungen wie Harnstoff, Lactat, Aminosäuren, Peptide, organische Säuren, Kohlenhydrate und Lipide. Als sogenannte Xenobiotika sind auch Abbau­produkte von Nahrungsmitteln oder Medikamenten nachweisbar. Die genaue Zusammensetzung des Schweißes kann deshalb etwas über Veränderungen des Stoffwechsels, über Krankheiten, aber auch über Ernährungs­gewohnheiten und die Einnahme von Medikamenten und Drogen aussagen.

Ein Problem der Schweißanalyse war bislang, dass Nachweis­methoden für einzelne Metabolite nicht sensitiv genug waren, um die winzigen Mengen im Schweiß nachzuweisen. Aus diesem Grund musste beispielsweise für den Schweißtest zum Nachweis der Mukoviszidose die Schweiß­produktion durch Pilocarpin künstlich angeregt werden. Dies war aber nicht nur für die Betroffenen unangenehm, sondern veränderte auch die Zusammensetzung des Schweißes.

Eine Studie unter der Leitung von Christopher Gerner von der Fakultät für Chemie der Universität Wien hat nun einen entscheidenden Fortschritt erzielt. An 1.792 Proben von 40 Personen konnten die Chemiker zeigen, dass Fingerschweiß für eine metabolische Phäno­typisierung im Hochdurch­satzverfahren geeignet ist (Nat Commun, 12(1):5993). „Der wichtigste Vorteil gegenüber Blut- und Urinanalysen besteht in der sehr einfachen risiko- und schmerzlosen Proben­gewinnungsmöglichkeit“, so Gerner in einer Pressemitteilung der Uni Wien. „Auf diese Weise können wir metabolische Zeitreihen-Analysen durchführen, die so bisher noch nicht möglich waren.“

Analyse des Kaffeeabbaus

Für die Analyse wurde der Schweiß gewonnen, indem die Probanden ein standardisiertes Filterpapier eine Minute lang zwischen Daumen und Zeigefinger hielten. Nach einer Extraktion der Stoffwechsel-Produkte wurden diese über Flüssig­chromato­graphie-Massen­spektrometrie identifiziert. Dabei dauerte der gesamte Workflow einschließlich der Probennahme lediglich 20 Minuten. Das gesammelte Schweißvolumen von zwischen 200 und 2.000 nL reichte aus, um darin über 250 Metabolite nachzuweisen, darunter solche, die vorher aus Schweiß noch nicht bekannt waren wie Dopamin, Progesteron und Melatonin. Zwischen der linken und der rechten Hand eines Probanden gab es kaum Unterschiede.

Da die Wissenschaftler bei den Schweißproben Xenobiotika fanden, die sich auf den Konsum von Kaffee zurück­führen ließen, schlossen sie eine Studie an, bei der 11 Testpersonen nach einem 24-stündigen Verzicht eine standardisierte Menge an Kaffee zu sich nahmen. Zwei Personen mit Kaffee­abstinenz dienten der Kontrolle. Bereits 15 Minuten nach dem Kaffeetrinken wurden im Schweiß der Versuchs­personen 35 Xenobiotika festgestellt, die vom Kaffeegenuss stammten – insgesamt fast ein Drittel der Verbindungen, die in wässrigen Extrakten von Kaffeebohnen identifiziert werden konnten.

Um das starke Hintergrund­rauschen zu reduzieren, wurde die Studie mit 40 Probanden wiederholt, die dieses Mal 48 Stunden lang keinen Kaffee trinken durften. Anschließend schluckten die Versuchs­teilnehmer 200 mg Koffein in einer Kapsel. Ziel der Studie war eine Überwachung des Abbaus von Koffein durch Leberenzyme zu Dimethyl­xanthin. Interessanterweise zeigten sich zwischen den einzelnen Probanden deutliche Unterschiede im Koffein-Metabolismus, was darauf hindeutet, dass die Analyse von Fingerschweiß dabei helfen könnte, Leber­funktionen zu untersuchen und entsprechende Krankheiten zu identifizieren.

Ungeahnte Möglichkeiten

Problematisch bei der Deutung der Ergebnisse waren die zum Teil starken Schwankungen der gebildeten Schweißmenge. Doch auch hierfür haben die Forscher eine Lösung gefunden: „Im Zeitverlauf müssen die Verhältnisse von Produkten zu den dazuge­hörenden Substraten bestimmte Gesetz­mäßigkeiten erfüllen”, erklärt der Chemiker. „Diese werden durch eine Modellierung dazu benutzt, die tatsächlich gewonnenen Schweißmengen im Nachhinein zu berechnen.”

Die Forscher schätzen, dass im Fingerschweiß mehrere tausend Metabolite nachweisbar sein könnten. Für ihre Methode sehen sie deshalb jede Menge Anwendungen. So könne man anhand der typischen Abbauprodukte überprüfen, ob Patienten oder Teilnehmer von klinischen Studien ihre Medikamente wie vereinbart einnehmen. Spuren von Umweltgiften könnten auf den Verzehr von belasteten Lebensmitteln hinweisen, und durch den Nachweis von Stressmarken wie bestimmten Hormonen können individuelle Stress­auslöser sichtbar gemacht werden. Selbst auf die Zusammen­setzung und die Leistungs­fähigkeit des Darm­mikrobioms ließe sich über Stoffwechsel-Produkte der Darmbakterien Rückschlüsse ziehen. „Wir testen bereits verschiedene klinische Anwendungen und haben schon vielversprechende Resultate erzielt, aber bis zu echt belastungs­fähigen Abschlüssen dieser Validierungen werden wir wohl noch einigen Aufwand leisten müssen”, fasst Gerner zusammen. „Auch über die Gründung eines Spin-offs denken wir nach, aber zuvor wollen wir sicher sein, dass es einen klaren Absatzmarkt mit berechenbaren Umsätzen gibt.” Klinische Studien sollen deshalb klären, in welchem Ausmaß Fingerschweiß-Analysen biomedizinische Studien, Diagnostik und individuelle Therapien unterstützen können.

Larissa Tetsch

Bild: AdobeStock/KaYann


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Letzte Änderungen: 25.11.2021