Editorial

Doch keine Einwanderer

(25.10.2021) Die Eisenzeitkultur der Etrusker gibt immer noch Rätsel auf. Archäo­gene­tiker Cosimo Posth gelang es jedoch, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
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Wandmalerei in der etruskischen Nekropole von Tarquinia, Italien

Etwa drei Autostunden nördlich von Rom liegt Florenz, die Hauptstadt der italienischen Region Toskana. Bereits lange bevor die heutige Metropole und Wiege der Renaissance 59 v. Chr. von Julius Cäsar gegründete wurde, war die Toskana und umliegende Regionen der Hort eines rätsel­haften Volkes – der Etrusker. Dessen Herkunft und Entwicklung ist bis heute noch nicht völlig erforscht, wie Cosimo Posth, Junior-Professor für Archäo- und Paläogenetik an der Universität Tübingen, erzählt. „Die etruskische Kultur hat sich im Gebiet der heutigen Toskana etwa 900 – 800 v. Chr. entwickelt. Ihre Sprache und Kultur blieben dort bis etwa 1 n. Chr. erhalten. Dabei ist bemerkenswert, dass die Sprache nicht zur indoger­manischen Sprachgruppe gehört und nichts mit den romanischen Sprachen der Region zu tun hat.“

Bisher war man auf Basis historischer Berichte davon ausgegangen, dass die Etrusker aus dem ägäischen oder anatolischen Raum eingewandert seien und ihre Sprache so mitgebracht hätten. Solche Berichte seien jedoch mit Vorsicht zu genießen, so Posth: „Chronisten verfolgen in der Regel immer eigene Ziele und sind daher selten objektive Bericht­erstatter“. Grund genug also, selbst nach der Antwort zu suchen.

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Nachbarn, aber anders

Das Tübinger Forschungsteam ging der Frage nach, ob sich in den Genomen der Etrusker Signale finden, die auf eine Herkunft aus dem Nahen Osten hindeuten. Dafür untersuchten sie zusammen mit Johannes Krause von den Max-Planck-Instituten für Menschheits­geschichte und evolutionäre Anthropologie sowie David Caramelli von der Universität Florenz die DNA von 82 etruskischen Individuen nach Hinweisen über ihre geographische Herkunft. Das Alter der Proben erstreckte sich über einen Zeitraum von 800 v. Chr. bis 1000 n. Chr. Dabei kam den Forsche­rinnen und Forschern eine Eigenheit der Etrusker zugute. „Die damals im Raum Bologna und auch der Toskana verbreitete Villanova-Kultur verbrannte ihre Verstorbenen. Damit wird auch die DNA unbrauchbar. Die Etrusker hingegen waren dazu überge­gangen, ihre Toten unverbrannt zu bestatten“, erklärt Posth.

Für ihre Studie, die kürzlich in Science Advances veröffentlicht wurde, analysierten die Archäo­genetiker mitochondriale DNA und Teile der Y-Chromosomen. Hinzu kamen 1,2 Millionen über das gesamte Genom verteilte Single Nucleotoide Poly­morphisms (SNPs), also Polymor­phismen einzelner Basen, die in der Summe ein typisches Muster ergeben. Anhand dieser Muster lässt sich eine geogra­phische Zuordnung treffen, da sich definierte Polymor­phismen aufgrund des begrenzten Genpools in einem bestimmten Abschnitt häufen. Dabei stellte die Gruppe um Posth fest, dass die Individuen den gleichzeitig in Italien vorkommenden Lateinern viel zu ähnlich waren, um erst kurz vor ihrem ersten Auftreten um 800 v. Chr. in die Gebiete der heutigen Toskana eingewandert zu sein.

DNA aus so alten Proben zu gewinnen, ist jedoch nicht trivial, wie Posth erzählt: „Der prozentuale Anteil an DNA in den Proben ist sehr gering. Zudem kommt es stark auf den Erhaltungs­zustand der Überreste an. Theoretisch ist es jedoch möglich, ein ganzes Genom aus der stark fragmentierten DNA gut erhaltener Proben zu rekonstruieren“. Dies sei jedoch in der Regel zu teuer, sodass man eher auf SNP-Analysen setze. Nach Identifikation der SNPs folge in der Regel auch noch ein aufwendiger bioinfor­matischer Prozess, denn so alte DNA weist mitunter Schäden und chemische Modifikationen auf. Diese müssen von „echten“ Mutationen unterschieden werden.

Der Ruf der Steppe

Die Ergebnisse von Posths Gruppe zeigen also, dass die Etrusker lokalen Ursprungs waren und wirft die Frage auf, wie sie dann eine so unter­schiedliche Sprache und Kultur entwickeln und bewahren konnten. Posth mit einem Erklärungs­versuch: „Wir wissen, dass es in der Bronzezeit (etwa 2200 – 800 v. Chr., Anm. der Red.) eine große Migrations­bewegung aus der osteuro­päischen Steppe gab. Diese wird gemeinhin mit der Ausbreitung der indoeuro­päischen Sprache in Europa assoziiert“.

In den Genomen der Etrusker, wie auch denen der Lateiner, fänden sich genetische Komponenten, die auf eine Verwandt­schaft mit den ehemaligen Steppen­bewohnern hindeuten. Dies gelte auch für andere europäische Völker. „In den meisten Teilen Europas ist dieser Steppen-Einfluss geblieben“, sagt Posth. „In einigen geogra­phischen Gebieten blieb die ursprüngliche kulturelle und sprachliche Identität jedoch erhalten – mitunter bis heute. Dies gelte besonders für die Toskana, aber auch beispielsweise für das Baskenland“.

Immer zu wenig Daten

Neben einer leicht isolierten Lage der betroffenen Region, könne auch deren damalige wirtschaftliche Stärke und die Ausbildung einer komplexen Gesellschaft zum langfristigen Erhalt der Kultur beigetragen haben. Dies gelte es jedoch näher zu erforschen, so der Archäogenetiker.

In der nächsten Zeit wolle sich die Forschungs­gruppe daher auf Proben aus der Nach-Christus-Zeit konzentrieren. Dort lasse die Menge an Datensätzen noch etwas zu wünschen übrig. „In der Archäo­genetik hat man immer zu wenig Daten. Die Individuen der Vor-Christus-Zeit sind jedoch sehr homogen, sodass die Aussage dort recht klar ist. Mit Beginn des Römischen Kaiser­reiches ändert sich das Profil jedoch so stark, dass wir mehr Proben benötigen“, sagt Posth. Besonderes Interesse hat der Wissen­schaftler dabei an der Frage, wie weit sich der etruskische Einfluss im Römischen Reich trotz einer starken Mischung mit Völkern aus dem Nahen Osten ausdehnte.

Tobias Ludwig

Posth, C. et al. (2021): The origin and legacy of the Etruscans through a 2000-year archeogenomic time transect. Sci Adv, 7(39):eabi767

Bild: Wikimedia Commons/Waugsberg (CC-BY-SA-3.0)


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Letzte Änderungen: 25.10.2021