Editorial

Es hat Click gemacht

(21.10.2021) Synthetische Clickmere sind für Diagnostiktests besser geeignet als Antikörper. Das Bonner Spin-off Clickmer Systems setzt daher auf ELONA statt ELISA.
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Vor allem in der Diagnostik, aber auch in der biomedi­zinischen Forschung und zunehmend sogar in thera­peutischen Anwendungen sollen Proteine mit hoher Spezifität und Sensitivität gebunden werden. Heutzutage werden dafür vor allem Antikörper verwendet – beispielsweise im Western Blot oder im Enzyme-Linked Immuno­sorbent Assay (ELISA). Als sogenannte „Biologika“ müssen Antikörper jedoch in einer Zelle produziert werden und unterliegen damit Qualitäts­schwankungen wie sie für natürliche Systeme typisch sind. Gerade in der Diagnostik kann das Probleme bereiten, denn hier ist man in besonderer Weise auf eine gleich­bleibende Qualität der Reagenzien angewiesen, um reprodu­zierbare, verlässliche Ergebnisse zu erhalten.

Chemisch hergestellte Aptamere können hier im Vorteil sein: Es handelt sich dabei um kurze einzel­strängige Oligo­nukleotide, die eine bestimmte dreidimen­sionale Struktur annehmen, mit der sie dann nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip andere Makro­moleküle erkennen können. Genauso wie bei Antikörpern ist eine Kopplung mit verschiedenen chemischen Markern oder Enzymen möglich. Mit der richtigen Technik kann für jedes beliebige Protein und jede Anwendung das geeignete Aptamer – beziehungs­weise Clickmer, denn so nennt sich eine besonders gut für diese Aufgabe geeignete Aptamer-Variante – hergestellt werden.

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Ausgründung aus der Uni Bonn

Ein Zentrum der Aptamer- und Clickmer-Forschung liegt in Bonn, genauer am Life & Medical Sciences (LIMES)-Institut der dortigen Universität, in den Arbeits­gruppen von Günter Mayer und Michael Famulok. Gemeinsam mit zwei ehemaligen Dokto­randinnen von Famulok – Nora Karnowski und Maren Hamann – wollen die beiden LIMES-Professoren die Clickmere nun mit Hilfe eines Spin-offs als Diagnostika zur Marktreife bringen. Zum Gründungs­team gehört zusätzlich Joachim Schorr, der seine Erfahrung mit In-vitro-Diagnostik­firmen – er war unter anderem bei QIAGEN tätig – und sein großes Netzwerk einbringen soll. „Die Kommer­zialisierung von Technologien braucht Expertise, die über die reine Wissenschaft hinausgeht“, erklärt Nora Karnowski, die bei der Clickmer Systems GmbH als Laborleiterin tätig sein wird.

Denn obwohl die formale Gründung der GmbH erst für 2022 vorgesehen ist, wird in Bonn schon eifrig gearbeitet. „Ende 2018 konnten wir uns 1,7 Millionen Euro Förderung vom Bundes­forschungs­ministerium sichern und sind damit seit April 2019 als Projekt am Life Science Inkubator in Bonn angesiedelt“, so Karnowski. „Während dieser Zeit haben wir zwei Mitarbei­terinnen angestellt, sodass wir operativ nun zu viert sind, zuzüglich der Herren Schorr, Mayer und Famulok. Kommendes Jahr werden wir um zwei weitere Mitarbeiter wachsen.“ Die Life Science Inkubator GmbH (LSI) ist ein in Deutschland einzigartiges Inkubations­konzept, das die Projekte von Gründungs­willigen frühzeitig evaluiert und dann bei der Gründung unterstützt, unter anderem bei der Antrag­stellung und beim Projekt­management, aber auch bei der persönlichen Entwicklung und dem Intellectual Property Management, wie Karnowski ausführt.

Bessere Bindung durch DNA-Modifikationen

Wo aber liegt nun überhaupt der Unterschied zwischen dem klassischen Aptamer und einem Clickmer? Das Rückgrat der Clickmere besteht wie beim klassischen Aptamer aus einer einzel­strängigen DNA, worauf die Silbe „mer“ im Begriff verweist. „Eine Limitation der klassischen Aptamere ist jedoch die Begrenzung des chemischen Raums und ihrer Interaktions­möglichkeiten durch die Beschränkung auf nur vier Nukleotide“, erläutert die Bonnerin. „In Clickmeren wird diese Limitation überwunden, indem einzelne Nukleotide mit vielfältigen chemischen Gruppen modifiziert und die Interaktions­möglichkeiten mit den Zielstrukturen dadurch erweitert werden.“ Zum „mer“ kommt deshalb „Click“ hinzu, denn die chemische Modifikation der DNA erfolgt mittels Click-Reaktion.

Hinter dem Begriff Click-Chemie verbirgt sich ein Konzept zur einfachen und effizienten Synthese von Naturstoffen, das auf einer Handvoll von Reaktionen mit breiter Substrat­spezifität basiert. Für das Anbringen von Markern an Nukleotiden wird häufig die Kupfer(I)-katalysierte Azid-Alkin-Cyclo­addition verwendet, die sich durch ihre hohe Ausbeuten, milde Reaktions­bedingungen und Toleranz gegenüber einer Vielzahl an funktionellen Gruppen auszeichnet. Die Aptamere selbst entstehen in einem evolutiven In-vitro-Selektions­verfahren (Click-SELEX). Dabei handelt es sich um einen iterativen Prozess, bei dem eine große Anzahl unterschiedlicher, bereits chemisch modifizierter Clickmere mit dem Zielprotein von Interesse inkubiert wird. Nicht bindende Sequenzen werden entfernt, während bindende amplifiziert und dadurch angereichert werden. „Die Vielfalt der Modifikationen an unseren Clickmeren verbessert die Bindungs­eigenschaften und erhöht die Erfolgs­chancen des Prozesses“, so Karnowski.

Markteintritt für 2022 geplant

Die erste Anwendung, die Clickmer Systems im Blick hat, ist der sogenannte ELONA (Enzyme-linked Oligonucleotide Assay) – das Gegenstück zum weit verbreiteten Antikörper-basierten Nachweistest ELISA. Letzterer dient in der Diagnostik dazu, Krankheits-relevante Biomarker in einer Patienten­probe wie Blut, Urin oder Stuhl nachzuweisen. Nach der Bindung durch einen spezifischen Antikörper kann der Komplex mithilfe einer Farbreaktion sichtbar gemacht werden. Diese wiederum wird von einem Enzym katalysiert, das an den Antikörper gekoppelt ist. Beim ELONA wird der Antikörper einfach durch ein Oligo­nukleotid ersetzt.

Neben den ELONAs sollen später auch andere Anwendungen angepeilt werden wie Karnowski erklärt: „Aktuell fokussiert sich unser Markt­eintritt auf diagnostische ELONAs. Grundsätzlich ist aber auch der thera­peutische Einsatz von Clickmeren möglich und eingeplant, jedoch sind hier die Zeitachsen länger.“ So transportieren Antikörper heute beispiels­weise schon Chemo­therapeutika gezielt zu Krebszellen oder blockieren Cytokine, die Entzündungs­reaktionen anheizen – potenzielle Einsatz­möglichkeiten auch für Clickmere.

Die Uni Bonn habe das Projekt von Anfang an nach Kräften unterstützt, zeigt sich die Gründerin dankbar. Dies habe sowohl die Erstellung der ersten Förder­anträge und Businesspläne, die Vernetzung in Gründungs­netzwerken als auch umfassende Beratung beinhaltet. „Auch während unserer Zeit am LSI hat es durch das universitäre Transfer-Center enaCom immer wieder Unterstützung z. B. bei Marketing und Medien­auftritt gegeben.“ Das Jahr 2022 soll dann nicht nur wegen der eigentlichen Gründung für Clickmer Systems erfolgreich werden. „Wir hoffen, das erste Clickmer-Produkt kommendes Jahr auf den Markt zu bringen“, sind die Bonner zuversichtlich. Der Bedarf für die neuen Diagnostika ist auf jeden Fall da.

Larissa Tetsch

Bild: AdobeStock/Krakenimages.com & Baseclick.eu


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Letzte Änderungen: 21.10.2021