Editorial

Durch Hirnschaden zum Nichtraucher

Über Nacht zum konsequenten Nichtraucher? Nichts leichter als das. Allerdings ist eine neuartige Lobotomie dazu nötig.

(25.01.2007) Amerikanische Forscher haben offenbar eine Hirnregion identifiziert, die Rauchern das Aufhören massiv erschwert. Zwei Drittel aller Patienten, die in dieser Region - der so genannten Insula - einen Schlaganfall oder ähnliche Schäden erlitten, wurden dadurch über Nacht und ohne Mühe zum Nichtraucher, berichten Nasir Naqvi und dessen Kollegen von der Universität Iowa in der Fachzeitschrift Science. Die Studie war durch einen 38-jährigen Mann angeregt worden, der seit seinem 14ten Lebensjahr geraucht hatte, sich selbst als süchtig bezeichnete und der bis zu seinem Schlaganfall täglich 40 Glimmstängel ohne Filter konsumierte.

"Patient N." hatte zuvor das Rauchen genossen und niemals ans Aufhören gedacht. Unmittelbar nach dem Schlaganfall aber habe sein Körper "den Drang vergessen, zu rauchen", berichtete er den Wissenschaftlern. Noch in der Klinik war Patient N. so angeekelt von dem Geruch, den sein Zimmergenosse bei der Rückkehr vom Rauchereck verbreitete, dass N. um eine Verlegung in einen anderen Raum bat. Sogar in seinen Träumen habe ihn das Rauchen plötzlich angewidert, sagte N., dessen Denkvermögen und Genussfähigkeit nach Diagnose der Ärzte völlig intakt war.

Angeekelt vom Zigarettengestank

Um dem rätselhaften Fall auf den Grund zu gehen, nutzten Naqvi und seine Kollegen David Rudrauf, Hanna Damasio und Antoine Bechara ein außergewöhnliches Patientenregister der Universität Iowa. In dieser Datenbank sind Ort und Umfang der Hirnschäden einer großen Anzahl von Patienten genauestens verzeichnet. Schon mehrfach konnten Wissenschaftler durch den Vergleich dieser Schäden mit auffälligen Verhaltensweisen und plötzlichen Veränderungen der Persönlichkeit die Funktionen bestimmter Hirnregionen einkreisen. Laut Naqvi war dies "die erste derartige Studie, bei der die Drogensucht beim Menschen untersucht wurde".

Angeregt durch Patient N., von dem man wusste, dass dessen Insula geschädigt war, identifizierten die Forscher in ihrer Datenbank 68 weitere Raucher, die sich in den zwei Jahren vor der Einweisung in die Klinik jeweils mindestens fünf Zigaretten täglich angesteckt hatten. Sie hatten entweder einen Schlaganfall erlitten oder die Ärzte hatten im Gehirn wegen einer Epilepsie oder eines Tumors Gewebe entfernt. Bei 19 Patienten war dadurch die Insula geschädigt worden, eine wenige Zentimeter große Region, die beidseitig hinter den Schläfen unter den Wölbungen des Großhirns verborgen liegt.

Nichtraucher über Nacht

Auffällig war, dass 13 der 19 Insula-Geschädigten ihre Nikotinsucht völlig problemlos hinter sich ließen: Sie hörten binnen eines Tages zu rauchen auf und haben seitdem nicht wieder angefangen. Mit einer Ausnahme war ihnen dies leicht gefallen und sie haben in der Zwischenzeit keinerlei Drang verspürt, wieder zu rauchen. Unter den 50 Patienten mit Hirnschäden außerhalb der Insula waren zwei Jahre nach dem Klinikaufenthalt zwar immerhin 19 zu Nichtrauchern geworden, die Lust auf Zigaretten aber war lediglich vier von ihnen vergangen.

Dies sei eine "interessante und verdienstvolle Arbeit", kommentierte Jochen Wolffgramm, der sich als Suchtforscher an der Universität Tübingen einen Namen gemacht hat. "Es liegt auf der Hand, dass bestimmte Hirnregionen mit dem Suchtgedächtnis zu tun haben", so Wolffgramm. Versuche allerdings, wie sie etwa an der Wissenschaftsakademie im russischen St. Petersburg unternommen wurden, Drogenabhängige durch Hirnoperationen zu behandeln, seien "äußerst fragwürdig".

So weit möchte man auch in Iowa nicht gehen. Die Entdeckung der dortigen Forscher könnte vielmehr zeigen, wo Medikamente gegen die Nikotinsucht angreifen sollten, heißt es. Hirnscans der Insula könnten außerdem hilfreich sein, um den Erfolg neuer Therapieansätze zu messen und sichtbar zu machen.

Michael Simm

Quelle: Naqvi, NH. Damage to the Insula Disrupts Addiction to Cigarette Smoking. Science (2007) 315: 531



Letzte Änderungen: 26.01.2007