Editorial

„Ich würde nicht mehr hier gründen“

(14.10.2021) Denn der vielgepriesene „Innovations­standort Deutschland“ ist rückständig und gründungsfeindlich – sagt CeGaT-Geschäftsführerin Saskia Biskup.
editorial_bild

Neben der Tübinger Firma CeGaT für genetische Diagnostik betreibt die doppelt promovierte Fachärztin für Humangenetik gemeinsam mit ihrem Mann Dirk unter anderem auch die Cenata GmbH für nichtinvasive Pränatal­diagnostik.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren 2009 und 2015 gegründeten Firmen gemacht?
Saskia Biskup: Wir sind auf große Schwierigkeiten bei der Erstattung unserer Leistungen gestoßen. Wenn medizinische Leistungen in Deutschland in die Erstattung kommen, benötigt man einen Vertrags­arztsitz, um sie auch abrechnen zu können. Über eine GmbH ist das nicht möglich. Dieses System ist komplett veraltet und innovations- und gründungs­feindlich. Es sollte doch eher darauf ankommen, dass man Qualität erbringt und eine Diagnostik liefert, die für den Patienten notwendig und sinnvoll ist. Wir sind international akkreditiert und tätig und konkurrieren auch international. In Deutschland herrscht ein System der Planwirtschaft und Besitz­standswahrung. Mit dem jetzigen System nimmt man innovativen Firmen die langfristige Perspektive. Abgesehen davon ist das natürlich auch gar nicht gut für den Patienten.

Editorial

Was würden Sie im Nachhinein anders machen?
Biskup: Rückblickend würde ich nicht mehr in Deutschland gründen, sondern zum Beispiel in Skandinavien. Dort ist der Datenzugang in der Versorgung und Forschung leichter, auch für die Pharma­industrie. Das erleichtert den Wissenstransfer, die Entwicklung neuer Methoden und damit auch die Behandlung von Krankheiten.
Als wir gegründet haben, waren wir uns nicht bewusst, wie komplex die Materie der Erstattung ist. Es geht nach wie vor viel Kraft und Zeit dabei verloren, innovative Firmen den Uralt­verhältnissen hier anzupassen. Diese Zeit könnten wir besser in die Weiter­entwicklung unserer Leistungen und Technologien stecken. Wir müssen auch international kompetitiv bleiben. Während wir uns mit den veralteten Strukturen in Deutschland auseinander­setzen müssen, galoppieren uns die Amerikaner und Chinesen davon. Das stärkste Argument, in Deutschland zu bleiben, sind unsere Mitarbeiter, die hier verwurzelt sind. Nun sind wir eben hier und es ist so wie es ist.

Inwieweit hat die Pandemie Ihren Firmen Rückenwind gegeben?
Biskup: Die CeGaT GmbH bietet neben Keimbahn- und Tumordiagnostik verschiedene Corona-Tests an und führt sie auch durch. Das war und ist für die Mitarbeiter im Haus eine enorme Anstrengung. Sie arbeiten seit Monaten am Wochenende, an Abenden und Feiertagen. Das hat uns sicher geholfen, in der Krise alle Arbeitsplätze zu erhalten. Wir konnten auch neue sehr gut qualifizierte Mitarbeiter einstellen, die ihre Arbeit aufgrund der Pandemie verloren hatten, die wir auch unabhängig von Corona zu übernehmen versuchen.

Wie sehen Sie die zunehmende Digitalisierung in der medizinischen Diagnostik und Forschung?
Biskup: Ich finde die Digitalisierung notwendig und mehr als überfällig. Dass wir in Deutschland in den letzten Jahren und während der Pandemie dabei nicht schneller vorangekommen sind, ist eher als Vorwurf an uns selbst zu werten.

Was schätzen Sie an Ihrer unter­nehmerischen Tätigkeit besonders?
Biskup: Ich verbringe sehr gerne Zeit mit Menschen. Als Unternehmerin und Ärztin habe ich viel Kontakt mit Mitarbeitern und Patienten. Dabei lerne ich auch viele interessante Menschen kennen. In unseren Unternehmen kann ich zudem eigene Ideen umsetzen und mithelfen, die Ideen unserer Mitarbeiter zu realisieren. Mit unseren Technologien können wir Patienten helfen, was sehr sinnstiftend und schön ist.

Was halten Sie bezüglich der Biotech-Branche in Deutschland für verbesserungsfähig?
Biskup: Die Zulassung für innovative Diagnostiken und Therapien muss unbedingt erleichtert werden. In der Diagnostik dauert es im Schnitt 10 Jahre, bis eine neue Technologie auch für die gesetzlich Versicherten zugänglich wird. Durch die langwierigen Prozeduren und Regularien sterben Patienten unnötiger­weise, weil ein Zugang zu neuen Diagnostika und Therapien zu spät kommt. Der fehlende Zugang zu Daten und unser völlig übertriebener Datenschutz bringt mehr Patienten um, als dass er Patienten hilft.

Benötigt es für eine Tätigkeit in der Biotech-Branche eine besondere Einstellung?
Biskup: Wir sind im Team stark. Unsere Mitarbeiter kommen aus unterschiedlichen Bereichen. Wir arbeiten interdisziplinär, denn die anfallenden Aufgaben kann keiner alleine stemmen. Es ist schön zu sehen, wie Teams zusammen­wachsen und mit ihrem unter­schiedlichen Knowhow Projekte realisieren. Dabei ist uns die Wertschätzung der Mitarbeiter, egal in welchem Bereich sie arbeiten, sehr wichtig.

Lohnt es sich, in Deutschland Unternehmerin zu sein?
Biskup: Wenn man gewillt ist, Verantwortung zu übernehmen, kann man auch etwas bewegen. Unsere Vision ist, die Versorgung von Patienten mit genetischen Erkrankungen zu verbessern. Deshalb gehen wir jeden Tag vollmotiviert zur Arbeit. Rechnen muss es sich natürlich, damit wir die Gehälter unserer Mitarbeiter bezahlen können. Das ist eine große Verantwortung, macht uns aber auch besser im Wettbewerb. Wir wollen die beste und schnellste Diagnostik mit der höchsten Qualität zum Wohle des Patienten anbieten, die auch gekauft und angefordert wird. Wir bekommen ja keine Steuergelder, die wir verbraten können wie andere Institutionen. Wenn wir gut sind, bleiben wir auf dem Markt bestehen, auch international.

Wie bringen Sie Ihre verschiedenen beruflichen Aktivitäten in einem 24-Stunden-Tag unter? Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Biskup: Ich versuche, bei der Arbeit sehr effizient zu sein. Ich treibe viel Sport. Auch Treffen mit Freunden sind mir sehr wichtig. Das Schöne ist, dass ich mit meinem Mann zusammen­arbeite. Wir begegnen uns tagsüber häufig und können voneinander lernen, da ich Medizinerin bin und er Betriebswirt ist.

Was sind Ihre nächsten Pläne in der Biotech-Branche?
Biskup: Wir gründen gerade ein medizinisches Versorgungs­zentrum für Onkologie, um Patienten mit Tumor­erkrankungen noch inter­disziplinärer betreuen zu können. Wir haben zudem gemeinsam mit B. Braun Melsungen ein neues Unternehmen, die CeCaVa, gegründet, um individualisierte Tumor-Impfstoffe zu entwickeln. Außerdem haben wir in Deutschland ein starkes Knowhow, um neue Medikamente in die Produktion zu bringen. Das ist unser Plan für die Peptid-basierten Tumor-Impfstoffe. Sie sehen, wir haben genügend Pläne und uns wird nicht langweilig.

Was erwarten Sie sich für die Branche durch den wohl anstehenden Regierungswechsel?
Biskup: Das Thema Biotechnologie und Gesundheit kam im Wahlkampf ja praktisch nicht vor. Dabei wird ignoriert, dass das für uns ein sehr relevantes Thema ist, das uns als alternde Gesellschaft auf vielen Ebenen betrifft. Viele Menschen haben in diesem Feld mit vielen Zukunfts­technologien und Innovationen ihre Arbeitsplätze. Es frustriert mich, wie wenig wir hier vorausdenken. Andere Länder wie Israel sind uns darin voraus, nicht nur Start-ups zu etablieren, sondern auch eine Infrastruktur zu schaffen, die dazu führt, dass Unternehmen im Land bleiben und nicht ins Ausland verkauft werden.

Das Gespräch führte Bettina Dupont

Bild: S. Biskup


Weitere Artikel aus der Biotech-Welt


- „Pläne ändern sich“

Deshalb machen 21S heute auch was ganz anderes als im Businessplan beschrieben. Was das mit Kristallen und Bahnhöfen zu tun hat, erklärt ihr CEO.

- Erfolgreich umgarnt

Ziemlich überraschend investierte der Bund letzten Sommer 300 Millionen Euro in ein Biotech-Unternehmen. Wie konnte Curevac die Politik überzeugen?

- Auf dem Therapie-Trip

Mescalin, Psilocybin und LSD sind wieder angesagt – vor allem bei Biotech-Investoren. Die Berliner ATAI Life Sciences freut’s.

 




Letzte Änderungen: 14.10.2021