Editorial

Störenfried bei der Wurzel gepackt

(15.09.2021) Statt lineare DNA in zellfreien Systemen aufwendig gegen Exonukleasen zu schützen, kann man die Enzyme auch einfach aus dem Wirtsgenom herausschmeißen.
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Synthetisch hergestellte, voll funktions­fähige Proteine sind aus der modernen Biologie nicht wegzudenken. Um Polymerasen, Kinasen und viele weitere Proteine in klassischen Expressions­systemen, etwa Bakterien oder Hefezellen, produzieren zu können, wird das zu exprimierende Gen mittels Plasmid in die Wirtszelle eingeschleust. Alles Weitere übernimmt die Protein­synthese-Maschinerie des Wirtsorga­nismus. Forscher verwenden aber zunehmend auch zellfreie Varianten für die Protein­synthese, in denen die Produktion der Proteine in Zelllysaten der Wirtszellen stattfindet.

Zellfreie Systeme (CFS) haben mehrere Vorteile. Sie vereinfachen zum Beispiel die Zugabe von Helfer­proteinen erheblich, die die Protein­faltung unterstützen, etwa eukaryotische Chaperone. Außerdem entfallen störende Einflüsse des Wirtszell-Metabolismus, die von außen nicht kontrollierbar sind. Hinzu kommt, dass das Plasmid mit der Sequenz des Zielproteins nicht in die Wirtszelle transformiert werden muss.

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Großer Zeitfresser

Allerdings gibt es bei zellfreien Systemen noch erhebliches Optimie­rungspotenzial. So müssen die für die Expression verwendeten Plasmide im Vorfeld zum Beispiel kloniert werden – inklusive Restriktions­verdaus und Ligation ist das oft ein mehrtägiger Prozess. Hinzu kommt, dass sich zirkuläre Plasmide nicht einfach mit einer PCR vervielfältigen lassen – für die Vermehrung ist eine Wirtszelle unerlässlich. Das ganze Prozedere frisst nicht nur wertvolle Zeit, sondern erschwert auch die Herstellung von Plasmiden, die zum Beispiel für toxische Proteine codieren.

Viel einfacher wäre es, wenn man statt ringförmiger Plasmide lineare DNA als Expressions­vorlagen verwenden könnte, die man mit einer simplen und vor allem zeitsparenden PCR ganz ohne Bakterien amplifiziert. Dazu muss die lineare Template-DNA in den zellfreien Systemen jedoch möglichst lange unbeschadet überleben – und dagegen haben natürlich vorkommende Exonukleasen etwas, die sich mit Vorliebe auf lineare DNA stürzen.

Teure Substanzen mit Nebenwirkungen

Mithilfe von chemischen Modifikationen der DNA-Enden oder speziellen Inhibitoren des E.-coli-eigenen Exonuklease-Komplexes RecBCD versuchen Forscher, Exonukleasen den Appetit auf die lineare DNA zu nehmen. Doch die hierfür eingesetzten Substanzen sind teuer und können unerwünschte Wechsel­wirkungen verursachen. Auch das gänzlich auf rekombinanten Proteinen basierende PURE-System (siehe dazu „Schneller Protein-Eintopf“ auf LJ Online) ist nicht optimal. Mit PURE kann man das Exonuklease-Problem zwar umschiffen – die Imple­mentierung des Systems ist aber sehr zeit- und kostenintensiv.

Eine einfachere Lösung für die Eliminierung der Exonuklease fanden die Arbeitsgruppen von Jerome Bonnet und Manish Kushwaha von der Université Paris-Saclay beziehungsweise der Universität Montpellier. Statt die Exonuklease erst im fertigen Zelllysat zu bekämpfen, packen sie das Problem bei der Wurzel und schmeißen die RecBCD-Exonuklease aus den E.-coli-Zellen heraus, die für die Herstellung des Zelllysats verwendet werden.

Um dies zu erreichen, veränderte das Team, dem auch Chase Beisel vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektions­forschung in Würzburg angehörte, das Genom der E.-coli-Bakterien mithilfe einer zweistufigen, homologen Rekombination. Die Forscher entwarfen hierzu ein Plasmid mit einem Kanamycin-Resistenzgen, das von zwei kurzen sogenannten FRT-Sequenzen flankiert wird. Letztere werden ihrerseits von Sequenzen flankiert, die homolog zu Sequenzen nahe der recBCD-Exonukleasen im E.-coli-Genom sind.

FRT-Rest bleibt zurück

Nach der Transformation dieses Plasmids und eines Helfer­plasmids in E. coli wird zuerst das FRT-Resistenzgen-FRT-Konstrukt anstelle der homologen Abschnitte der recBCD-Gene ausgetauscht. Die Kanamycin-Resistenz erlaubt die Positiv­selektion der Bakterien, in denen diese Rekombination erfolgreich stattgefunden hat. Im zweiten Schritt wird das Enzym Flippase hinzugegeben, um das Resistenzgen wieder zu entfernen. Wo zuvor das recBCD-Gen war, bleibt nur ein Überbleibsel der FRT-Sequenzen zurück.

Mit dieser Technik stellte die Gruppe zwei unter­schiedliche Bakterien-Mutanten her: In einer Linie waren alle Gene des RecBCD-Holoenzyms deletiert, in der zweiten lediglich der recB-Abschnitt, der für die eigentliche Nuklease­domäne des Holoenzyms codiert. Das Ergebnis war in beiden Knockout-Stämmen ähnlich: Die Stabilität der linearen Template-DNA erhöhte sich, ohne die Replikations­fähigkeit der Bakterien negativ zu beeinflussen.

Das Forscherteam gab sich mit der Protein-Syntheserate, die niedriger war als mit Plasmid-DNA, aber noch nicht zufrieden und drehte an einer weiteren, auf den ersten Blick unscheinbaren Stellschraube – den Puffer­bedingungen im Zelllysat. Die überraschende Erkenntnis war, dass lineare und zirkuläre DNA unterschiedliche Ansprüche an den Puffer haben. So hängt etwa die optimale Menge an Kaliumglutamat im Reaktions­puffer davon ab, welche DNA-Form exprimiert werden soll. Stellte die Gruppe die Kaliumglutamat-Menge für lineare DNA-Templates bestmöglich ein, erreichte die Syntheserate das gleiche Level wie mit zirkulären DNA-Templates.

Amplifiziert und charakterisiert an einem Tag

Mit den richtigen Rahmen­bedingungen ist lineare DNA eine Alternative in zellfreien Systemen, die Zeit und Kosten spart. Glaubt man den Autoren, ist die Amplifikation und Charakterisierung eines linearen DNA-Templates noch am Tag der Lieferung zu schaffen, während die Klonierung, Aufreinigung, Transformation und Präparation des Plasmids gut und gerne eine Woche lang dauern können. Gerade im Hinblick auf Screenings im größeren Maßstab, etwa um mehrere Varianten oder Isoformen eines Enzyms zu evaluieren, kann die lineare DNA also viel Zeit und Nerven sparen.

Das Forscherteam hat die recBCD- und recB-defizienten E.-coli-Stämme auf der OpenSource-Plattform AddGene hinterlegt, um auch anderen Gruppen die schnelle und günstige zellfreie Protein­synthese mit linearen Templates zu ermöglichen.

Michael Bell

Batista A. et al. (2021): Differentially optimized cell-free buffer enables robust expression from unprotected linear DNA in exonuclease-deficient extracts. BioRxiv, DOI: 10.1101/2021.09.07.459228

Bild: AdobeStock/Jennifer



Letzte Änderungen: 15.09.2021