Editorial

Bunte Vielfalt durch Splicing

(06.09.2021) Es gibt verschiedene ionotrope Gluta­mat-Rezeptor-Typen, codiert in 18 Genen. Hinzu kommt ein, teils kurioses, Sammelsurium an Splicing-Varianten.
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Ein Gen codiert ein Protein, und umgekehrt gehört zu einem Protein genau ein Gen – didaktisch erleichtert diese simple Formel den Einstieg in die Genetik. Doch schnell stellt man fest: Proteine können aus verschiedenen Unter­einheiten bestehen, codiert an unter­schiedlichen Genloci. Regelmäßig kommt es im Lauf der Evolution zu Gen-Duplikationen, sodass mehrere Varianten eines Proteins in der Zelle vorkommen – oft mit abgewandelter Funktion. Dann gibt es noch Splicing oder, wer es eingedeutscht mag, das Spleißen: Die rohe prä-mRNA wird in Eukaryoten zurecht­geschnitten und die Introns entfernt. Dabei können über alternatives Splicing aus einem Gen auch funktionell unter­schiedliche Varianten eines Proteins entstehen.

Da kann man schnell den Überblick verlieren, etwa beim Glutamat-Rezeptor. Wobei, den einen Glutamat-Rezeptor gibt es gar nicht. Es beginnt schon mit der Unterscheidung zwischen metabo­tropen und iono­tropen Glutamat-Rezeptoren. Die ionotropen Rezeptoren reagieren schnell auf eine Liganden­bindung, fungieren als Ionenkanäle und beeinflussen das Membran­potential. Metabotrope Rezeptoren hingegen stoßen bei Liganden­bindung auf intra­zellulärer Seite zunächst Second-Messenger-Prozesse an. Ein Team um Andreas Reiner aus der Abteilung Zelluläre Neuro­biologie der Universität Bochum hat eine Inventur der Splice-Varianten speziell zu den ionotropen Glutamat-Rezeptoren vorgenommen und im Sommer Ergebnisse der Studie vorgestellt.

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Etliche Kombinationsmöglichkeiten

Die Forscher griffen auf Transkriptom-Daten zweier vorangegangener Studien anderer Autoren zurück: mRNA aus menschlichen Gehirnen verstorbener Spender war aus verschiedenen Hirnarealen isoliert und sequenziert worden (J Mol Cell Biol, 7(4):314-25 und Nat Med, 23(9): 1102-11). Das Bochumer Team hat diese Daten nun analysiert und nach RNA-Sequenzen ionotroper Glutamat-Rezeptoren gesucht.

Nun sind allein die ionotropen Glutamat-Rezeptoren ein Sammelsurium unter­schiedlicher Proteine. AMPA-, Kainat- und NMDA-Rezeptoren sind benannt nach passenden Agonisten, weiterhin gibt es die Delta-Rezeptoren. Ein ionotroper Glutamat-Rezeptor setzt sich zusammen aus vier Unter­einheiten. Und schon hier sind die mathematisch denkbaren Kombinationen enorm. „Bei den meisten Vertebraten gibt es 18 verschiedene Genloci, die solch eine Unter­einheit codieren“, erklärt Reiner, „und von diesen 18 Genen gibt es dann noch diese Splicing-Isoformen“.

Bereits beschriebene Splice-Varianten fand das Team aus Bochum auch in ihren eigenen Datensätzen. Hinzu kamen neu entdeckte Isoformen, darunter eine Kuriosität: „Die GluA4-ATD ist eine Isoform, durch die gar kein vollständiger Rezeptor codiert wird, sondern nur eine extra­zelluläre Domäne“, zeigt sich Reiner überrascht. Naheliegend wäre ein Fehler im Datensatz, oder aber dass diese gekürzte mRNA zwar vorkommt, aber nicht translatiert wird. „Wir haben uns deshalb auch Proteom-Daten angeschaut, und da sehen wir, dass diese Isoform auch tatsächlich als Protein vorhanden ist“, ergänzt Reiner. „Auf RNA-Ebene ist diese alternative Isoform viel häufiger als die bislang bekannte kanonische Isoform.“ Da nur eine extra­zelluläre Domäne codiert wird, vermutet Reiner, dass GluA4-ATD nicht an der Membran agiert, sondern sekretiert wird. Über die Funktion des Proteins ist noch nichts bekannt.

Kaum erforscht

Weiter erwähnt Reiner den Kainat-Rezeptor 1, für den schon länger eine zweite Isoform bekannt ist. Man unterscheidet GluK1-1 und GluK1-2. „Zur Isoform GluK1-1 ist bisher noch fast gar nichts erforscht worden, obwohl es die häufigere der beiden Varianten ist.“ Bisher wisse man „weder, wo sie vorkommt, noch, wie sie sich im Gating verhält.“

Dass sich bislang wohl niemand für GluK1-1 interessiert hat, könnte an mangelnden Daten zur Häufigkeit liegen, glaubt Reiner. „Für sehr viele Isoformen gibt es keine Informationen zur Abundanz. Das war auch ein Ausgangs­punkt für diese Studie: Wir wollten jetzt erstmal Datensätze anschauen, die uns Aussagen erlauben, wie häufig bestimmte Splicing Events überhaupt stattfinden.“

Zur biologischen Relevanz der unter­schiedlichen Varianten könne man derzeit noch keine Aussagen treffen, stellt Reiner klar. Eine gewisse Vorsicht ist auch geboten, da nur Daten aus zwei Studien analysiert sind. „Da haben wir zwar Datensätze aus unter­schiedlichen Hirnarealen, es ist aber nicht so, dass die Datenmenge jetzt statistisch ausreichen würde, um Unterschiede zwischen den Hirnregionen zu erkennen“, nennt Reiner eine Einschränkung. Einige Varianten konnte das Team aber zusätzlich noch in unabhängigen RNA-Proben verifizieren.

Signalregion rausgespleißt

Auch wenn derzeit unklar ist, wie sich die Varianten auch in ihren biochemischen Eigenschaften voneinander unterscheiden – beim Spleißen werden nicht bloß ein paar unwichtige Aminosäuren rausgenommen, weiß Reiner: „Vom Splicing sind besonders häufig funktionale Regionen betroffen. Manchmal zum Beispiel der C-Terminus, der innerhalb der Zelle liegt. Der ist als Trafficking-Signal wichtig und bestimmt mit, wie viele Rezeptoren an die Membran gelangen. Außerdem werden von dort intrazelluläre Signalwege angestoßen.“ Umgekehrt können Splicing-Ereignisse im extrazellulären Teil des Proteins die Liganden­bindung beeinträchtigen. „Auch unterscheiden sich Isoformen möglicherweise dadurch, welche Heteromere bevorzugt über andere Heteromere gebildet werden“, mutmaßt Reiner über den Einfluss auf den zum kompletten Tetramer assemblierten Glutamat-Rezeptor.

Die große Vielfalt der Glutamat-Rezeptoren selbst innerhalb einer Gruppe dürfte wohl der Grund sein, warum diese Proteine als Ziel für pharmako­logisch wirksame Substanzen nicht unproble­matisch sind. So hatten wir Reiners Arbeitsgruppe vergangenes Jahr auch in einem Journal-Club-Beitrag vorgestellt und dort über einen Wirkstoff berichtet, der Glutamat-Rezeptoren sowohl hemmen als auch verstärken kann (siehe „Wirkung im Widerspruch“ in LJ 11/2020). Auf den ersten Blick scheint das widersprüchlich, doch mit dem Wissen um die Variations­breite dieser Rezeptoren dann doch nachvollziehbar. Weiterhin sind Glutamat-Rezeptoren nicht auf einzelne Hirnareale beschränkt. „Die sind ubiquitär im gesamten zentralen Nervensystem zu finden sowie auch in einigen peripheren Geweben“, erklärt Reiner. Wer also mit einem Medikament auf Glutamat-Rezeptoren zielt, beeinflusst das gesamte Gehirn.

Andererseits erhoffen sich einige Pharmakologen, über das glutaminerge System Krankheiten wie Migräne oder Epilepsie behandeln zu können. Mehr über funktionelle Unterschiede zwischen Varianten der Glutamat-Rezeptoren zu erfahren, könnte also auch bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe helfen. „Da sollte man generell mehr Augenmerk auf diese Splicing-Isoformen legen“, resümiert Reiner die Erkenntnisse aus der aktuellen Studie.

Mario Rembold

Herbrechter R. et al. (2021): Splicing and editing of ionotropic glutamate receptors: a comprehensive analysis based on human RNA-Seq data. Cellular and Molecular Life Sciences, 78(14):5605–30

Bild: Pixabay/Fun_loving_Cindy


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Letzte Änderungen: 06.09.2021