Editorial

Keine Angst mehr vor dem Piks

(05.08.2021) Das Wiener Start-up Cutanos werkelt an einer Plattform, um Immunzellen – in der Haut und nicht im Muskel – gezielt mit Impfstoffen zu versorgen.
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Heiß begehrt war er bis vor Kurzem, der Piks in den Arm. Bedeutet der kleine Stich doch Schutz und eine beginnende Rückkehr zur Normalität. Die meisten Impfstoffe, so auch alle derzeit gegen COVID-19 zugelassenen Präparate, werden in den Deltamuskel des Oberarms gespritzt. Dabei kommt es hin und wieder zu Nebenwirkungen wie Arm- und Schulter­schmerzen, die sich auf die Einstichstelle zurückführen lassen. Das müsste jedoch nicht so sein, sagt Robert Wawrzinek, Managing Director des Wiener Start-ups Cutanos. Das Unternehmen arbeitet an Impfstoffen, die auf Immunzellen in der obersten Hautschicht, der Epidermis, zielen und daher minimal­invasiv appliziert werden können.

„Wir verwenden einen Liganden, der an Langerin, den Oberflächen-Rezeptor der Langerhans-Zellen, bindet. Diese Zellen haben in der Haut eine ähnliche Funktion wie dendritische Zellen“. Sie fungieren als Wächter und werden dann aktiv, wenn Pathogene durch eine Verletzung in die oberste Hautschicht eindringen. Erkennen die Immunzellen einen Eindringling, wandern sie in die Lymphknoten, um dort T-Zellen zu aktivieren und eine Immunantwort auszulösen. „Unsere Technologie, das Langerhans Cell Targeted Delivery System (LC-TDS), kann diese Zellen gezielt mit einem Antigen versorgen, um eine spezifische Immun­programmierung vorzunehmen“, erklärt Wawrzinek.

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Ein Zucker zum Vernaschen

Der Schlüssel für die spezifische Belieferung: ein kleines Zucker-ähnliches Molekül, ein sogenanntes Glyko­mimetikum, das einfach und in hoher Anzahl auf diverse Träger­materialien aufgebracht werden kann. Die Träger können dabei beispielsweise Liposomen oder Lipid Nanoparticles (LNPs) sein, wie sie derzeit auch für die COVID-19-Impfstoffe von BioNTech und Moderna verwendet werden. Das so beladene Vehikel bindet selektiv an Langerin und sorgt dafür, dass die Langerhans-Zellen das darin verpackte Antigen aufnehmen. „Aufgrund der fast natürlichen Präsentation des Zucker-Liganden sind die Langerhans-Zellen sehr begierig darauf, dieses System aufzuspüren. Das ist auch das Charmante daran, denn durch die hohe Selektivität werden die Vehikel sehr wenig von Off-Target-Zellen aufgenommen“, schildert Wawrzinek die Vorteile des Systems.

Laut Cutanos werden andere Zellen in der Epidermis nur zu 0,1 % adressiert. Eine bemerkenswerte Selektivität, machen die Langerhans-Zellen doch nur etwa 3 % der Zellen der Epidermis aus. Aktiviert man die epidermalen Immunzellen so spezifisch, könne man die eingesetzte Impfdosis verringern.

Schmerzfreier Stich

Ein weiterer Vorteil des Cutanos-Systems: Die Epidermis liegt direkt unter der aus toten Zellen bestehenden Hornschicht und damit über der Dermis, die neben Blutgefäßen auch Nerven beherbergt. Ein mittels Mikro­nadelspritze oder -pflaster ausgeführter Stich in diesen Bereich bleibt also schmerzfrei. Tatsächlich haben die Wiener bereits mit derartigen Pflastern experimentiert, wie Wawrzinek erzählt: „Das ist sehr faszinierend und für zukünftige Anwendungen höchst interessant. Dennoch setzen wir gegenwärtig auf Mikro­nadelspritzen-Aufsätze der Firma Nanopass, die auch bereits durch die FDA zugelassen sind“.

Entwickelt hat das System die Forschungs­gruppe um Christoph Rademacher, damals Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenz­flächenforschung in Potsdam, zu der auch der Chemiker Robert Wawrzinek gehörte. Als klar wurde, dass man ein kommerzia­lisierbares System in Händen hielt, beantragten die Beteiligten mit Hilfe der MPI Transfer­gesellschaft Max-Planck-Innovation 2019 ein entsprechendes Patent. Laut Wawrzinek lief auch die Verteilung der Anteile unter den insgesamt sechs Erfinderinnen und Erfindern reibungslos und ergebnis­orientiert.

Dass Cutanos nun jedoch in Wien gegründet wurde, hat praktische Gründe: „Herr Rademacher hat einen Ruf an die Uni Wien bekommen und wir wollten die räumliche Nähe aufrecht­erhalten. Zudem hilft ungemein, dass Wien ein aufstrebender Biotech-Start-up-Hub in Europa ist“, erklärt Wawrzinek. Rademacher konzentriere sich nun hauptsächlich auf seine Professur, stehe dem Unternehmen aber weiter in beratender Funktion zur Seite. Zudem habe das Unternehmen einen Kooperations­vertrag mit der Universität Wien abgeschlossen.

Für den Start ist die Firma auch finanziell gut ausgestattet, konnte es doch in einer Seed-Finanzie­rungsrunde knapp 2 Millionen Euro Investoren­kapital sowie ein AWS Seedfinancing einwerben.

Aller guten Dinge sind drei

Nun wollen die Unternehmer das Potential ihrer Plattform-Technologie für bestimmte Indikationen zeigen, wie der Managing Director berichtet: „Wir arbeiten derzeit an drei Einsatzgebieten: der Immun­aktivierung, der Toleranz-Erzeugung und dem Adressieren krebsartig veränderter Langerhans-Zellen“. Für die Immun­aktivierung werkelt man bei Cutanos an antiviralen Impfstoffen etwa gegen Influenza A. Ein 2020 begonnenes Corona-Projekt musste wegen des Umzugs nach Österreich zunächst auf Eis gelegt werden. Eine weitere Indikation sei die Autoimmun­erkrankung Morbus Basedow, gegen die die Wiener an einer Toleranz-Erzeugung arbeiten. Für diese gezielten Anwendungen ist Cutanos als Bereitsteller der Plattform natürlich auf Partner aus der pharma­zeutischen Industrie angewiesen. Man sei auch bereits im Gespräch mit entsprechenden Partnern, erzählt Wawrzinek. Welche das sind, wolle er jedoch noch nicht verraten.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/Fanette


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Letzte Änderungen: 05.08.2021