Editorial

Die Zwei-Jahres-Falle

(06.08.2021) Aus unserer Reihe „Anekdoten aus dem Forscherleben“: Wie eine erfolgreiche Jungforscherin keine Förderung bekam, weil ihre Promotion nicht lange genug her war. 
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Letzte Woche verkündete das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, dass im Rahmen eines Rückkehrprogramms sechs Nachwuchskräfte ausgewählt worden, um künftig an nordrhein-westfälischen Universitäten eigene Gruppen zu medizinischen Forschungsthemen aufbauen zu können. Dafür erhalten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über fünf Jahre jeweils bis zu 1,25 Millionen Euro. 

Das ist erstmal sehr schön.

Zu den Auswahl-Modalitäten steht dann noch in der Pressemitteilung:

„Die Ausschreibung richtete sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Promotion mindestens zwei und höchstens sechs, im Fall eines Medizinstudiums neun Jahre zurückliegt, die im Ausland forschen und zuvor ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hatten.“

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Eine frustrierte E-Mail

Tatsächlich findet man diese Regel, dass für eine Bewerbung die Promotion mindestens zwei Jahre her sein muss, in nahezu allen Förderprogrammen, mit denen Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler eine eigene Gruppe aufbauen können sollen. Warum zwei Jahre? Weil man indirekt eine Postdoc-Erfahrung haben will? Weshalb entscheidet man nicht einfach und allein nach der vielbeschworenen Exzellenz?

Wir fragen uns das schon länger, weil wir bereits vor einiger Zeit eine frustrierte E-Mail zur Kehrseite dieser „Mindestens-zwei-Jahre-Regel“ erhielten. Eine junge deutsche Biochemikerin beschrieb darin ihre eigenen Erfahrungen mit den Förderrichtlinien des sogenannten Starting Grants, den der European Research Council (ERC) explizit für „talented early-career scientists“ eingerichtet hat. 

Die junge Dame war damals 30 Jahre alt und arbeitete an einem deutschen Forschungsinstitut. Ihre Forschungsarbeit war so erfolgreich, dass sie bereits ihre Habilitation abschließen konnte – was ihr damit tatsächlich sehr früh gelang. Sie hatte bereits elf Originalarbeiten und zwei Reviews für angesehene Journals verfasst, weitere fünf Manuskripte waren in der Begutachtung. Außerdem hatte sie bereits zwei sehr kompetitive Stipendien erhalten und erfolgreich eigene Fördermittel eingeworben.

Also dachte sie, dass es wohl nicht ganz vermessen sei, sich für einen ERC Starting Grant zu bewerben. Wer weiß, vielleicht würden ihre bisherigen Leistungen und vor allem ihr eingereichter Forschungsplan ja tatsächlich als „exzellent“ beurteilt werden…

Doch nicht nur Exzellenz

Doch so weit kam es nicht mal annähernd! Sie scheiterte schon, bevor sie überhaupt eine First-Stage Application schreiben konnte. Der simple Grund dafür war, dass ihre wissenschaftliche Karriere offensichtlich zu schnell vorangeschritten war. Denn als sie die Richtlinien des Programms durchlas, musste sie überrascht feststellen, dass wissenschaftliche Exzellenz offenbar doch nicht das einzige Kriterium für die Bewilligung eines Starting Grants war. Vielmehr mussten Bewerber zudem – und jetzt kommt die Standardregel – ihren Doktorgrad zwischen zwei und sieben Jahren vor der Deadline für die Anträge erworben haben.

Es mag angesichts der inzwischen ebenfalls abgeschlossenen Habilitation seltsam erscheinen, aber unsere junge Biochemikerin wurde tatsächlich erst eindreiviertel Jahre vor der Antrags-Deadline promoviert.

Also schrieb sie einen Brief an den ERC, wie auch an das Bundeswissenschaftsministerium. Der entscheidende Satz in der Antwort lautete: „Die Förderrichtlinie des ERC zielt explizit auf Kandidaten, die etablierter sind. Es wird angenommen, dass dies in den ersten zwei Jahren nach der Promotion nicht mehrheitlich der Fall ist.“

In prominenter Gesellschaft

Gut, das Wörtchen „mehrheitlich“ vermeidet hier die Blamage. Denn mit dem Kriterium „Zwei Jahre nach der Promotion“ hätte auch Georges Köhler für das Projekt, das am Ende zur Entwicklung der monoklonalen Antikörper und letztlich zum Nobelpreis führte, keinen ERC Starting Grant bekommen können. Bekanntlich begann er es unmittelbar nach seiner Promotion. Und Francis Crick hatte seine Doktorarbeit noch nicht einmal geschrieben, als er mit James Watson die DNA-Struktur entschlüsselte.

Geht es nicht auch in jüngerer Zeit einigen Forschern genauso wie Crick? Verschieben nicht immer wieder insbesondere diejenigen das Zusammenschreiben der Doktorarbeit auf „irgendwann später“, die gerade mit ihren Resultaten in hochkompetitiven Feldern extrem erfolgreich sind – weil sie lieber erstmal ihren experimentellen „Lauf“ weiter fortsetzen wollen?

Dem Autor dieser Zeilen sind tatsächlich einige solche „Doktorarbeits-Verschieber“ aus der jüngeren Vergangenheit bekannt. Sicher kann man in solchen Fällen sagen: Sind sie doch selber schuld! Aber sind nicht gerade die oftmals die exzellentesten?

Schwer zu akzeptieren

Ihre E-Mail schloss unsere Jungforscherin jedenfalls mit dem Satz:

„Es wäre einfacher gewesen, eine Ablehnung meines Antrags zu akzeptieren, als auf diese Weise überhaupt keine Chance zu haben.“

Und was bleibt aus ihrem Beispiel als Schlussfolgerung für diejenigen, die versuchen möchten, ihre erste unabhängige Forschungsgruppe über eine der dafür üblichen Fördermaßnahmen aufzubauen? Ja, du musst auf jeden Fall exzellent sein – aber auch nicht zu schnell!

Ralf Neumann

(Illustr.: Adobe Stock / freshidea)

 

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Letzte Änderungen: 28.07.2021