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Gutes aus der Sonnenblume

(26.07.2021) Sie können mehr als schön aussehen. Sonnenblumen liefern die Grundlage für Speiseöle, Treibstoff und potente Schmerzmittel ohne schwere Nebenwirkungen.
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Sie ist der Inbegriff des Sommers – die Sonnenblume Helianthus annuus. Namensgebend ist dabei nicht die große, Sonnen-ähnliche Scheinblüte des Korbblütlers, sondern die Tatsache, dass die Blüten­knospen der Sonne im Tagesverlauf von Ost nach West folgen. Dieser auffällige Helio­tropismus hat bereits Eingang in die griechische Mythologie gefunden. Dennoch wird die Sonnenblume in der Regel nicht ihrer Schönheit wegen angepflanzt. Vielmehr liefert sie ein wertvolles Öl, was sie in Europa zur zweit­wichtigsten und weltweit zur viert­wichtigsten Kulturpflanze macht.

Nach der Bestäubung reifen im Inneren der Sammelblüte unzählige Nussfrüchte – die auch als Vogelfutter beliebten Sonnen­blumenkerne. Aus ihnen wird durch Kaltpressung ein Öl gewonnen, das als Speiseöl beliebt ist, aber auch als nachhaltige Alternative für erdöl­basierte Produkte wie Kraft- oder Schmierstoffe Anwendung findet.

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Mehr als ein Nahrungsmittel

Besonders wertvoll wird Sonnen­blumenöl durch seinen hohen Gehalt an der mehrfach ungesättigten Fettsäure Linolsäure (C18:2), die vom Menschen nicht selbst gebildet werden kann und deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden muss. Linolsäure ist die Grundlage für die Synthese weiterer mehrfach ungesättigter Fettsäuren wie Arachidon­säure, von der sich die Prostaglandine – entzündungs­fördernde Gewebshormone – ableiten. Außerdem ist sie Bestandteil der Ceramide, die für die Barriere­funktion der Haut notwendig sind.

Im Unterschied dazu ist der Gehalt der einfach ungesättigten Ölsäure (C18:1), die als Vorstufe der Linolsäure dient, mit unter 50 % sehr niedrig ist. Ölsäure ist ein häufiger Bestandteil von Triacyl­glyceriden und beispielsweise in Olivenöl in hoher Konzentration vorhanden. Wie Linolsäure ist sie in wertvollen Speiseölen, vor allem aber auch in Ölen für technische Anwendungen gefragt. So weisen sogenannte Hochölsäure-Öle mit einem Ölsäure­gehalt von über 85 % eine hohe Oxidations- und Hitze­stabilität auf.

Öl-Upgrade

Als Teil des vom Bundes­ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung geförderten Projekts „InnoSun“ arbeiten Wissen­schaftler um Brigitte Poppenberger, Professorin für Biotechnologie gartenbaulicher Kulturen an der TUM School of Life Sciences am Standort Weihenstephan, daran, mithilfe von neuartigen Züchtungs­methoden ölreichere Sonnenblumen-Sorten zu kreieren. Dafür soll das Enzym, das Ölsäure in Linolsäure umsetzt – die Desaturase FAD2-1 – gehemmt werden. „Wir haben für das Projekt klassische pflanzen­züchterische Methoden gewählt, die molekular­biologische Techniken beinhalten, um den Selektions­prozess für Hochölsäure-Linien zu beschleunigen“, so Poppenberger.

Chris-Carolin Schön, Professorin für Pflanzen­züchtung an der TUM, arbeitet gleichzeitig daran, Sonnenblumen gegen den Schädling Sklerotinia sclerotiorum resistenter zu machen. Der Pilz führt vor allem bei feucht-kühlen Sommern zu großen Ernte­ausfällen und hemmt dadurch den großflächigeren Anbau von Sonnenblumen in Deutschland. Teil des Projekts sind außerdem Volker Hahn von der Universität Hohenheim und KWS Saat als Industrie­partner. „Durch unsere Arbeit soll die Sonnenblume für die deutschen Landwirte attraktiver werden und das Spektrum an Ölsaaten erweitern, mit Vorteilen für die Biodiversität auf unseren Kulturflächen“, erläutert Poppenberger überzeugt.

Alternative für Morphin

Sonnenblumen-Extrakte sind außerdem für ihre schmerz­stillende und entzündungs­hemmende Wirkung bekannt. Das hat ein Team um Christian Gruber vom Institut für Pharmakologie der MedUni Wien ausgenutzt, um ein stark wirksames Schmerz­medikament ohne schwere Nebenwirkungen herzustellen. Ihr Peptid Helianorphin-19 soll eine Alternative zu Morphin und Morphin-ähnlichen Wirkstoffen wie Fentanyl sein. „Schmerzmittel auf der Basis von Morphin wirken vorwiegend am μ- und δ-Opioidrezeptor im Zentral­nervensystem und können mitunter zu starker Abhängigkeit sowie bei Überdosierung zum Tod durch Atemlähmung führen“, erklärt Gruber.

Ein Wirkstoff, der die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann und deshalb nicht im Zentral­nervensystem wirkt, würde diese Neben­wirkungen vermeiden. Gruber und sein Team haben diesen nun auf der Basis des 14 Aminosäure großen, zyklischen Peptids SFTI-1 (Sunflower Trypsin-Inhibitor-1) entwickelt (J Med Chem, 64(13):9042-55). „SFTI-1 ist ein natürlich in den Sonnenblumen-Kernen vorkommendes Molekül, bei dem wir einzelne Aminosäure-Bausteine gegen das endogene Peptidhormon Dynorphin A1-17 ausgetauscht haben“, so Gruber. „Das körpereigene Opioid bindet vorwiegend an den κ-Opioidrezeptor.“ Aus 19 Peptidvarianten wählten die Forscher eine aus, die selektiv am κ-Rezeptor bindet, hauptsächlich in der Körper­peripherie wirkt und im Magen-Darm-Trakt stabil genug ist, um in Tablettenform verabreicht werden zu können.

Wirksam im Tiermodell

Eine langandauernde Aktivierung des κ-Opioidrezeptors im Gehirn kann zu Depressionen führen. Bei einer Wirkung in der Peripherie ist dies dagegen weitgehend ausgeschlossen. Zusätzlich haben die Wissenschaftler einen Weg gefunden, potenzielle Neben­wirkungen zu unterdrücken. Dazu haben sie das synthetische Peptid so verändert, dass nur einer der möglichen Signalwege am Opioidrezeptor angeschaltet wird: Opioid­rezeptoren sind mit G-Proteinen gekoppelt, deren Aktivierung die schmerzstillende Wirkung vermittelt. Gleichzeitig können jedoch auch cytosolische Proteine, sogenannte β-Arrestine, rekrutiert werden, die vor allem unerwünschte Wirkungen vermitteln. Dieser Signalweg wird durch Helianorphin-19 dagegen kaum aktiviert.

Die Affinität von Helianorphin-19 ist mit 21 nM sehr hoch, die Wirksamkeit mit einer mittleren Effektivdosis EC50 von 45 nM ebenso. „Im Tiermodell wurde eine sehr gute schmerzstillende Wirkung bei Viszeral­schmerz, also Schmerzen im Bauchraum und anderen inneren Organen, erzielt, ohne dass dabei typische Nebenwirkungen wie Antriebs­losigkeit aufgetreten wären“, fasst Gruber zusammen. „Als Nächstes wollen wir die Wirksamkeit des Peptids bei entzündlichen Darm­erkrankungen bzw. bestimmten Autoimmun-Erkrankungen wie ulzerative Kolitis oder Morbus Crohn, bei denen ebenfalls der κ-Opioidrezeptor eine Rolle spielt, erforschen.“

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/mazsoka


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Letzte Änderungen: 26.07.2021