Editorial

Superfood vom Anfang der Nahrungskette

(05.07.2021) Die ökologischen Folgen unseres Fischkonsums sind zum Teil verheerend. Bremer Forscher suchen in den Weltmeeren nach nährstoffreichen Alternativen.
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Der Mensch ist darauf angewiesen, eine ausreichende Menge an hochwertigem Protein über seine Ernährung aufzunehmen. Meistens erfolgt dies, indem Tiere oder tierische Produkte gegessen werden, mit allen ethischen und ökologischen Problemen, die dies mit sich bringt. Die intensive Zucht von Nutztieren trägt in hohem Maße zur Verknappung von Schlüssel­ressourcen wie Wasser, fruchtbares Land und Mineral­düngern bei. Dazu kommen Antibiotika-Resistenzen, Überdüngung und im Falle von Wiederkäuern ein erheblicher Methan-Ausstoß. Im Kampf gegen die Unter- und Mangel­versorgung von Millionen von Menschen einer wachsenden Weltbevöl­kerung hat sich der Blick deshalb immer wieder auf das Meer mit seinen unerschöpflich scheinenden Ressourcen gerichtet – mit der Folge, dass inzwischen die Bestände vieler Speisefisch-Arten eingebrochen sind.

Um der Überfischung der Meere entgegen­zuwirken, werden mittlerweile rund die Hälfte aller Speisefische und Krustentiere in Aquakulturen gezogen. Doch diese Praxis wirft neue Probleme auf. So handelt es sich in der Regel um Monokulturen, die anfällig gegenüber Krankheiten sind; außerdem belasten die konzentrierten Ausscheidungen der Tiere das Wasser. Das grundlegende Problem ist jedoch, dass die Nutztiere aus dem Meer häufig weit oben in der Nahrungskette stehen. Für ihr Wachstum müssen Raubfische wie Lachse in der Natur ein Vielfaches an kleineren Fischen fressen, was Aquakulturen durch das Füttern von Fischmehl und Fischöl kompensieren.

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Ökologisch unbedenkliche Proteinquelle

An diesem Punkt setzt die Arbeitsgruppe „Experimentelle Aquakultur“ des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen an. Hier forscht Holger Kühnhold als Postdoc daran, neue tierische Nahrungs­ressourcen aus dem Meer nutzbar zu machen. Die Arbeit ist Teil des vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „Food4Future (F4F) – Nahrung der Zukunft“.

Die Bremer konzentrieren sich vor allem auf zwei Tiergruppen, die in der Nahrungskette relativ weit unten stehen: Quallen und Seegurken. „Viele Menschen kennen inzwischen Insekten als alternative Proteinquelle, aber dass man Quallen essen kann, ist bei uns kaum bekannt“, erklärt Kühnhold. „In Asien stehen Quallen und Seegurken dagegen häufiger auf dem Speisezettel, auch als Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin.“ Dass Quallen interessant für die Nahrungsmittel­produktion sind, hat Laborjournal übrigens schon einmal beschäftigt: In Mainz erforscht Thomas Vilgis am Max-Planck-Institut für Polymerforschung, wie man glibberige Quallen in knusprige Quallenchips verwandeln kann (siehe „Köstlicher Medusen-Snack“ auf LJ Online).

Nährstoffreich, kalorienarm

Quallen kommen in allen Weltmeeren und auch im Süßwasser häufig in großer Menge vor und scheinen von den menschen­gemachten Umwelt­veränderungen sogar zu profitieren. Abgesehen von ihrer Verwendung in der asiatischen Küche hat die Nahrungsmittel­industrie sie jedoch noch nicht wirklich entdeckt. Dabei hat ihre Trockenmasse einen Nährwert, der dem anderer Meeresfrüchte gleicht. „Quallen sind fettarm und bestehen hauptsächlich aus Eiweiß, das teilweise einen relativ hohen Anteil an essentiellen Aminosäuren aufweist. Sie enthalten außerdem viele Mineralstoffe, und trotz des geringen Fettanteils sind sogar mehrfach ungesättigte Fettsäuren vorhanden“, so Kühnhold.

Der Meeresbiologe ist davon überzeugt, dass Quallen eine wertvolle Ergänzung für die Ernährung der Weltbevölkerung darstellen können: „Da Quallen zu über 90 Prozent aus Wasser bestehen, sind sie ein sehr kalorien­armes Lebensmittel.“ Quallen könnten also ein Völlegefühl erzeugen, ohne dass man davon zunimmt – ein Traum der Diätbranche, vor allem wenn dann auch noch der Geschmack stimmt. „Für Europäer könnten die Quallen als kalorien­armes Superfood in Form von Chips oder Proteinpulver, das man anderen Produkten hinzufügt, attraktiv werden“, fasst der Wissenschaftler zusammen.

Anspruchsloser Proteinlieferant

Im Zentrum von Kühnholds Forschung steht die Mangroven­qualle (Cassiopea andromeda), die mithilfe von endosym­biontischen Algen Photosynthese betreibt und deshalb nur wenig Nahrung braucht. „Unsere Qualle liegt auf dem Boden und reckt ihre Tentakeln dem Licht entgegen“, beschreibt der Bremer sein Forschungsobjekt. „Deshalb sind die Ansprüche an die Kultivierung niedriger als bei anderen Quallen, die in Rundbecken immer in Strömung gehalten werden müssen. Die Mangroven­qualle lässt sich relativ leicht züchten, vermehrt sich gut und wächst mit wenig Futter fast von alleine. Eine Kultivierung in Tanks an Land wäre also möglich.“

Zurzeit untersucht Kühnhold mit seinem Team vor allem, welche Nährstoffe die Qualle unter welchen Bedingungen bildet und ob sich eine boden­basierte Kultivierung tatsächlich lohnen würde. Dafür experimentieren die Forscher auch mit neuen Beleuchtungs­systemen, beispielsweise mit UV-LEDs. Sie hoffen, dass sie mit einer solchen optimierten Beleuchtung die Qualle dazu anregen können, vermehrt wertvolle Pigmente z. B. Carotinoide und Antioxidantien zu bilden.

Essbarer Staubsauger

Neben den Quallen stehen aber auch weitere Meeres­bewohner im Fokus des ZMT. Ein Beispiel hierfür sind die Seegurken mit ihren rund 1.700 Arten, die wie Quallen universell in den Meeren verbreitet sind und teilweise bis zu drei Meter lang werden können. Die an Protein und Spuren­elementen reichen Tiere enthalten unter anderem Chondroitin­sulfat, das gegen Arthrose wirken soll. Sie werden in Asien bereits in Suppen und Eintöpfen verarbeitet und gelten im spanischen Katalonien als kostspielige Delikatesse.

Daneben haben Seegurken einen weiteren Vorteil: Weil sie das Sediment durchwühlen und sich von darin enthaltenen organischen Verbindungen ernähren, könnten sie dabei helfen, belastete Gewässer zu klären. Dadurch bieten sie sich gleichzeitig als Bestandteil einer integrierten Aquakultur mit einem natürlichen Stoffkreislauf aus verschiedenen Nahrungs­tieren und -pflanzen an. Futterreste und Ausscheidungen von Fischen und Krebstieren werden dabei von anderen Zucht­organismen wie eben Seegurken oder auch Algen oder Muscheln verwertet.

Algen-Kaviar

Auch Algen werden in der asiatischen Küche sehr viel genutzt, wie Genießer des Sushi bestätigen können: Aus Rotalgen werden die Algenblätter „Nori“ hergestellt, und Seetang liefert einen Salat namens „Wakame“. Am ZMT wird die sogenannte Meerestraube (Caulerpa lentillifera) erforscht, die auch Umibudo oder Grüner Kaviar genannt wird, da ihre an einer Rispe hängenden, salzigen Kugeln wie Fischrogen im Mund zerplatzen.

Grüner Kaviar schmeckt beispielsweise in Salaten oder als Beilage zu Sushi. Wie Quallen ist die Grünalge sehr nahrhaft mit einem hohen Gehalt an Proteinen, Mineralstoffen, Antioxidantien und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. „Meerestrauben haben ein interessantes Nährstoffprofil“, bestätigt Lara Stuthmann, Doktorandin am ZMT. „Wir arbeiten mit Algenfarmen in Vietnam zusammen, in denen die Alge vor allem für den Sushi-Markt kultiviert wird. In Zukunft könnten sie aber auch in Europa ein Hingucker und Geschmacks­erlebnis werden.“ Zum Beispiel in Form eines frittierten Meersalats im Teigmantel (das Rezept gibt’s auf der Food4Future-Webseite).

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/daqisheji


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Letzte Änderungen: 05.07.2021