Editorial

Gifte auf dem Esstisch

(28.06.2021) In welchem Umfang wir Mykotoxine über die Nahrung aufnehmen, ist kaum untersucht. Selbst im Bier und Kaffee hinterlassen Schimmelpilze ihre Spuren.
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Gifte aus Schimmelpilzen kommen auch in Lebensmitteln vor, die wir täglich verzehren. Daran forscht Hans-Ulrich Humpf am Institut für Lebens­mittelchemie der Uni Münster. Humpf ist laut unserer Publikations­analyse aus Heft 4/2021 aktuell einer der dreißig meistzitierten Toxikologen im Laborjournal-Verbrei­tungsgebiet.

Sie waren gerade bei einer Online-Tagung der Gesellschaft für Mykotoxin­forschung. Es ging um die weltweite Qualitäts­sicherung landwirt­schaftlicher Lebensmittel. Was gibt es Neues zu berichten?
Hans-Ulrich Humpf: Der Klimawandel war ein großes Thema, denn der stellt uns auch hier vor Probleme. Dahinter steht die Befürchtung, dass in manchen Gegenden jetzt Pilze wachsen, die dort früher nicht gewachsen sind; und dass der Trockenstress zu einer höheren Belastung von Getreide durch Mykotoxine führt.

Eigentlich schimmelt Getreide aber doch eher, wenn es nass ist.
Humpf: Es ist auf jeden Fall so, dass in einem verregneten Sommer einige klassische Schimmelpilze auf Getreide gut wachsen. Die Pilzgattung Fusarium ist so ein Klassiker in Europa. Andererseits gibt es Pilze, die gerade bei trockenem Wetter besser wachsen und ursprünglich eher in südlichen Ländern vorkommen. Die können sich jetzt auch hier stärker ausbreiten. Hinzu kommt, dass Pilze andere Toxine produzieren können, wenn sie unter Trocken­stress geraten. Das ist bisher noch gar nicht genau untersucht.

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Welche Relevanz haben denn Schimmelpilze und deren Gifte in unserem Alltag, wenn es um die Nahrung geht? Zeigen auch epidemio­logische Studien einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Mykotoxinen und bestimmten Krankheiten?
Humpf: Das ist eine gute, aber auch sehr schwierige Frage. Es gibt Korrelationen in unter­schiedlichen Ländern der Welt, die einen Zusammenhang zwischen der Belastung von Lebensmitteln und bestimmten Krankheiten nahelegen. Aber natürlich ist das immer mit Fehlern behaftet und schwer auszuwerten. Auf dem Balkan zum Beispiel gibt es eine Krankheit namens BEN – die Balkan-endemische Nephropathie. Das ist eine Nieren­krankheit, von der man lange dachte, dass sie vom Mykotoxin Ochratoxin A ausgelöst wird, zumal es auch Studien gab, die darauf hindeuteten. Inzwischen gilt dieser Zusammenhang aber als widerlegt.

Also fehlen echte Beweise, dass Spuren von Pilzgiften in Nahrungsmitteln ein Gesundheitsrisiko darstellen?
Humpf: Bei Mykotoxinen gibt es kaum akute Vergiftungen. Es ist nicht so wie in den alten Miss-Marple-Filmen, dass Sie ein vergiftetes Nahrungsmittel schlucken und dann tot umfallen. Gelegentlich gibt es einzelne Berichte aus Entwick­lungsländern. Zum Beispiel in Kenia kommt es manchmal vor, dass verschimmelte Lebensmittel verzehrt werden, einfach weil die Menschen nichts anderes zu Essen haben. Und da wissen wir von sehr schweren Erkrankungen, gerade an der Leber, bis hin zu Leberkrebs.

Hierzulande nehmen wir diese Giftmengen aber normalerweise nicht auf, oder?
Humpf: In Industrie­nationen hat man eher eine chronische Belastung mit geringen Mengen über einen langen Zeitraum, vor allem durch eine Grundbelastung im Getreide. Was das aber für Folgen hat, das wissen wir noch gar nicht so genau.

Sammeln sich diese Gifte in einzelnen Geweben oder Organen an?
Humpf: Nein, Akkumulation ist nicht das Problem. Es gibt nur vereinzelte Beispiele wie Aflatoxin, das als das stärkste Schimmel­pilzgift gilt. Aflatoxin kann sich im Blutplasma anreichern und dort an bestimmte Eiweiß­strukturen binden. So ist es dann relativ lange im Blut nachweisbar. Andere Mykotoxine werden aber schnell wieder ausgeschieden, zum Beispiel über den Urin.

Welche Nahrungsmittel sind denn besonders problematisch?
Humpf: Vor allem Getreideprodukte. Alles, was ich an Brot oder Brötchen und Frühstücks­zerealien zu mir nehme, kann belastet sein. Ebenso jedes Bier, denn auch Bier ist ja letztlich ein Getreideprodukt. Vor einigen Jahren waren Pistazien aus dem Iran sehr stark belastet. Hätte ich damals jeden Tag eine Tüte Pistazienkerne gegessen, dann wäre ich wohl einer hohen Belastung ausgesetzt gewesen. Gerade bei kanzero­genen Stoffen ist dies bedenklich, da bereits kleinste Menge schaden können. Trotzdem kann man den zulässigen Grenzwert in Lebensmitteln nicht auf null setzen. Gerade beim Aflatoxin besteht immer eine gewisse Hintergrund­belastung.

Ihre Arbeitsgruppe hat sich die Belastung mit Schimmelpilz­toxinen im Blut von Kaffee­trinkern angeschaut (Mol Nutr Food Res, 59(9):1837-43). Mich hat überrascht, dass man über Kaffee relevante Mengen aufnehmen kann: Kaffee wird erst geröstet, dann im Wasser gebrüht – und all das müssen diese Substanzen ja erstmal überstehen!
Humpf: Das war auch ein Schwerpunkt unserer Fragestellung: Was passiert bei den ganzen Verarbeitungs­prozessen? Auch Pizza oder Kuchen werden ja bei 200 Grad im Ofen gebacken, und beim Kaffeerösten sind die Temperaturen natürlich noch höher. Doch diese Verbindungen sind relativ stabil.

Speziell haben Sie im Blut der Studien­teilnehmer nach Belastungen durch Ochratoxin A gesucht. Sehen Sie da einen Unterschied zwischen Kaffeetrinkern und Nicht-Kaffeetrinkern?
Humpf: Letztendlich haben wir da keinen großen Unterschied gesehen, da Ochratoxin A ja auch über Getreide­produkte aufgenommen wird. Da kommt bei einer Korrelations­analyse nichts raus. Was wir aber gefunden haben, ist eine Substanz, die durch das Erhitzen aus dem Ochratoxin A entsteht. Und diese Substanz war spezifisch für Kaffeetrinker! Das ist schon verrückt, dass wir damit einen Biomarker speziell für Kaffee haben. Der geht zwar nur in kleinsten Mengen ins Blut, ist aber nachweisbar.

Für Ihre Analysen greifen Sie auf getrocknete Bluttropfen oder Urinproben der Probanden zurück. Das klingt einfach, trotzdem ist es sicher nicht trivial, darin die Mykotoxine nachzuweisen. Das sind ja keine Proteine, sondern kleine Moleküle.
Humpf: Um die Ergebnisse zu hundert Prozent abzusichern, braucht man tatsächlich ein Massen­spektrometer. Das ist nicht immer notwendig, aber man braucht trotzdem eine recht aufwendige Analytik.

Sie haben die Belastung durch Mykotoxine in verschiedenen Ländern verglichen; und Sie haben in einzelne Subgruppen geschaut, zum Beispiel speziell die Mykotoxin-Aufnahme bei Jugendlichen. Bräuchten wir mehr Daten in dieser Richtung?
Humpf: Ja, das fände ich sinnvoll. Es wäre doch gut zu wissen, ob es Bevölkerungsgruppen gibt, die über den sogenannten „tolerable daily intake“ [TDI] hinauskommen. Wenn man zum Beispiel herausfindet, dass 30 Prozent der Bevölkerung über diesem TDI liegen, müsste der Gesetzgeber den Grenzwert senken. Aber dafür müssten wir auch mehr in Menschen reinschauen. Wir konnten zum Beispiel in einer Studie an schwedischen Kindern zeigen, dass deren Belastung erfreu­licherweise nicht zu hoch war (Mycotoxin Res, 36(2):193-206). Ähnliche Daten gibt es weltweit aber nur wenige.

Zum Beispiel aus Bangladesch, Deutschland, und Haiti: Von dort hatten Sie 2015 zusammen mit Kooperations­partnern vor Ort Urinproben von Probanden auf ausgeschiedene Mykotoxine untersucht (Mycotoxin Res, 31(3): 127-36).
Humpf: Ja, auch das ist sehr spannend. Nehmen wir Bangladesch: Dort wird als Grundnahrungs­mittel sehr viel Reis verzehrt, während bei uns ja eher Getreide das Grundnahrungs­mittel ist. Dadurch ist Deoxy­nivalenol, das hier in Europa in vielen Lebensmitteln vorkommt, in Bangladesch überhaupt kein Problem. Auf der anderen Seite haben wir in Bangladesch aber relativ viel Ochratoxin A gefunden und rätseln jetzt, wo das herkommt. Getreide kommt eher nicht in Frage, und Kaffee würde die hohen Werte auch nicht erklären. Momentan vermuten wir, dass es Gewürze sein könnten. Wir sind gerade dabei, Lebensmittel­proben aus Bangladesch zu untersuchen, die wir über Kooperations­partner bekommen haben.

Suchen Sie auch nach bislang unbekannten Mykotoxinen? Darunter könnten ja auch medizinisch bedeutsame Substanzen sein.
Humpf: Ja, das ist derzeit ein weiterer Schwerpunkt bei uns. Hier hilft uns natürlich die Gentechnik: Wir können nach Genclustern suchen, die mit spannenden Sekundär­metaboliten in Zusammenhang stehen. Also wenn uns die Bioinformatiker sagen, in einem Pilzgenom sind dreißig interessante Gencluster vorhanden, doch nur zu fünf davon sind Naturstoffe bekannt, dann fragen wir natürlich: Was produzieren denn die anderen 25 Gencluster? Momentan arbeiten wir mit dem Mutterkornpilz Claviceps purpurea – einem Schimmelpilz, der auf Roggenfeldern vorkommt. Wir versuchen, bisher unbekannte Gencluster im Labor zu aktivieren und die synthetisierten Substanzen zu isolieren. Natürlich sind da viele toxische Stoffe dabei, aber man findet auch immer mal pharma­kologisch interessante Verbindungen in Pilzen. Denken Sie daran, wie Penicillin die Welt verändert hat! Schimmelpilze sind also keineswegs immer nur schlecht.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: Pixabay/Security


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Letzte Änderungen: 28.06.2021