Mund auf für die Impfung
(10.05.2021) Geringe Produktionskapazitäten bremsen den Impffortschritt. Würzburger Mikrobiologen setzen deshalb auf ein Schluck-Vakzin auf „Bakterienbasis“.
Längst ist klar, dass Kontaktbeschränkungen in all ihren Varianten alleine nicht ausreichen, um der SARS-CoV-2-Pandemie Herr zu werden. Die Hoffnung liegt daher auf der Durchimmunisierung der Bevölkerung durch gezieltes Impfen. Doch obwohl mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen, sind die Impfkampagnen nur sehr langsam angelaufen. Zum einen ist das Impfen ganzer Bevölkerungsgruppen in Impfzentren oder privaten Arztpraxen natürlich eine große organisatorische Herausforderung. Zum anderen sind aber auch noch immer viel zu wenige Impfdosen verfügbar.
Ein neuer Impfstoff, der relativ einfach und preiswert herzustellen und außerdem leicht zu verabreichen ist, klingt deshalb ziemlich verheißungsvoll. Tatsächlich befindet er sich bereits in der Entwicklung. Im Vordergrund stehen dabei keine Virologen, sondern Mikrobiologen um Thomas Rudel vom Biozentrum der Universität Würzburg und seine Mitarbeiterin Birgit Bergmann, die auf die Entwicklung von bakteriellen Impfstämmen spezialisiert ist.
Auf Bewährtes vertrauen
Die Idee für den neuen Impfstoff hatten die Mikrobiologen schon vor gut einem Jahr, als Deutschland das erste Mal in den Lockdown ging. „Wir hatten bereits Erfahrung mit Salmonella-Lebendimpfstoffen aus anderen Projekten und kannten die theoretischen Vorteile dieser Impfverfahren“, erklärt Rudel, der an der Uni Würzburg den Lehrstuhl für Mikrobiologie innehat.
Als Vorbild diente eine Schluckimpfung gegen Typhus – eine Infektionskrankheit, die vor allem durch verschmutztes Trinkwasser übertragen wird. Die Impfung basiert auf einem genetisch veränderten Erregerstamm, der in Form einer Kapsel verabreicht wird. „Der von uns verwendete Salmonella typhi Ty21a ist ein attenuierter, das heißt in seiner Virulenz abgeschwächter, Lebendimpfstamm, der als Typhusvakzine in vielen Ländern zugelassen und sehr sicher in der Anwendung ist“, so Rudel. Die Typhusbakterien wurden von den Mikrobiologen außerdem so verändert, dass sie zwei Proteine des SARS-CoV-2-Virus produzieren. Die Verwendung von zwei Antigenen ist laut Rudel eine Art „Sicherheitsanker“. Wenn sich ein Antigen durch eine Mutation so verändert, dass es von Immunzellen nur noch schlecht erkannt wird, ist immer noch eine Immunreaktion gegen das andere Antigen möglich.
Früher Widerstand für Viren
Geschützt durch die Kapsel sollen die modifizierten Bakterien sicher durch den Magen gelangen. In der Darmschleimhaut kommen sie in Kontakt mit speziellen Immunzellen. „Von S. typhi Ty21a weiß man, dass er über die Epithelbarriere im Darm in den subepithelialen Bereich gelangt und dort von Antigen-präsentierenden Zellen aufgenommen wird. Diese Immunzellen wandern in die Peyer Plaques, Ansammlungen von Lymphfollikeln, und aktivieren dort eine lokale und systemische Immunantwort.“ Hier sehen die Mikrobiologen auch einen entscheidenden Vorteil ihres Ansatzes gegenüber anderen Impfverfahren: Dadurch, dass der Schutz direkt an den Schleimhäuten erzeugt wird, sollten sich Erreger gar nicht erst im Körper ausbreiten können.
Ein weiterer Vorteil ist, dass eine Schluckimpfung nicht unbedingt von einem Arzt verabreicht werden muss. Der Verzicht auf eine Spritze prädestiniert den Impfstoff außerdem für den Einsatz in Ländern mit schlechten hygienischen Bedingungen und einer fehlenden medizinischen Infrastruktur. Hinzu kommt, dass ein oraler Lebendimpfstoff vergleichsweise stabil und nicht auf eine geschlossene Kühlkette angewiesen ist.
Partner gefunden
Um die Entwicklung der „Bakterien-Impfung“ voranzutreiben, haben sich die Würzburger Mikrobiologen mit der Frankfurter Aeterna Zentaris GmbH zusammengetan. Für die Wahl des Kooperationspartners gab es gute Gründe wie Rudel darlegt: „Zum einen hat Aeterna Zentaris Erfahrung mit dem S.-typhi-Ty21a-Stamm und der präklinischen Entwicklung eines ähnlichen Impfstoffs.“ Bei der Herstellung des Impfstoffs käme dem Projekt die Erfahrung der Frankfurter mit dem GMP-konformen Manufacturing zugute. „In dieser Kooperation profitieren beide Partner auf ideale Weise von der komplementären Expertise des jeweils anderen Partners“, ist Rudel überzeugt.
Die Mikrobiologen stellen nun mit finanzieller Unterstützung von Aeterna Zentaris die Impfstämme her und führen erste präklinische Tests durch. Die Frankfurter übernehmen dann die aufwendigen und teuren klinischen Studien. „Wir rechnen damit, dass wir in Abstimmung mit dem Paul-Ehrlich-Institut [Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel] in den nächsten Wochen mit der Entwicklung des GMP-Herstellungsprozesses und den formalen präklinischen Studien beginnen können. Sobald genug Material und die präklinischen Daten vorliegen, wollen wir mit der klinischen Entwicklung beginnen.“ Weil der Impfstamm für die Typhusimpfung bereits zugelassen ist und ein hohes Sicherheitsprofil aufweist, hoffen die Kooperationspartner auf ein schnelles Zulassungsverfahren.
Wirksamkeitsnachweis bei Milzbrand
Zweifel am Nutzen oraler Impfungen gegen COVID-19 nährt allerdings eine soeben in Frontiers in Immunology veröffentlichte Studie des Universitätsklinikums in Erlangen. Die Autoren um Sebastian Zundler beschreiben darin, dass eine Immunantwort gegen SARS-CoV-2 nur schwach ausfällt, wenn die Infektion über den Darm erfolgt (DOI: 10.3389/fimmu.2021.639329). Rudel hält diese Beobachtung zwar für interessant in Bezug auf die Immunreaktion nach einer natürlichen Infektion. Daraus abzuleiten, dass orale Vakzinierungsstrategien nicht funktionieren können, sei aber unzutreffend. „Die Ansätze oraler Vakzinierungen beruhen ja nicht auf einer Immunisierung mit attenuierten SARS-Viren, sondern unter anderem mit intestinalen Impfstämmen, die natürlicherweise eine starke intestinale Immunantwort auslösen.“
Einen Beweis, dass eine durch S. typhi Ty21a im Darm ausgelöste Immunantwort ausreichend sein kann, um andere Organe zu schützen, lieferte unter anderem eine amerikanische Arbeitsgruppe. So schützt ein Salmonellen-basierter Impfstoff sehr effektiv vor einer über die Atemwege übertragenen Milzbrand-Erkrankung (NPJ Vaccines, 2:17).
Larissa Tetsch
Bild: Pixabay/andreas75
Weitere Artikel zu SARS-CoV-2 und Impfstoffen
- Durchs Nadelöhr
Noch sind mRNA-Impfstoffe ein knappes Gut. Das liegt auch an den benötigten Lipidnanopartikeln, die nur wenige Firmen herstellen können.
- Corona und die Gene
Auch in unserem Erbgut verstecken sich Eigenschaften, die einen COVID-19-Verlauf beeinflussen. Leider eher subtil als offensichtlich.
- Wir gegen das Virus!
SARS-CoV-2 kann nur mit vereinten Kräften besiegt werden. Das Open-Source-Projekt LabHive sucht Mitstreiter für ein starkes Diagnostik-Netzwerk.