Anziehende Eigenschaften
(22.03.2021) Auch Prokaryoten besitzen Organellen. Die eisenhaltigen Magnetosomen der Magnetbakterien könnten sogar in der Biomedizin zum Einsatz kommen.
Sie leben im Sediment von Süßgewässern rund um die Welt – Bakterien, die sich mit Hilfe von eisenhaltigen Vesikeln – den Magnetosomen – am Erdmagnetfeld orientieren können. In Kombination mit einer Messung des Sauerstoffgradienten hilft der Magnetsinn den „Magnetbakterien“ dabei, im Sediment die bevorzugte oxisch-anoxische Grenzschicht aufzufinden. Die rund 40 Nanometer großen Magentosomen sind in der Zelle kettenförmig aufgereiht und bilden dadurch eine Art Kompassnadel. Umschlossen sind sie von einer Phospholipidmembran, in der verschiedene Proteine eingelagert sind. Dadurch erfüllen sie die Kriterien für ein Zellorganell, das als abgeschlossenes Kompartiment mit einer eigenen Funktion definiert wird.
Während das Vorkommen von Organellen früher als Unterscheidungsmerkmal zwischen Pro- und Eukaryoten galt, weiß man inzwischen, dass Organellen auch bei Prokaryoten keine Seltenheit sind. Ein Modellorganismus für die Erforschung der Magnetbakterien ist Magnetospirillum gryphiswaldense – ein Gram-negatives Alphaproteobakterium, das im Jahr 1990 von Dirk Schüler aus dem Schlamm des Flüsschens Ryck bei Greifswald isoliert wurde. Nach verschiedenen Stationen im In- und Ausland – zuletzt als W2-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität – ist Schüler inzwischen Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie an der Universität Bayreuth. Doch noch immer ist M. gryphiswaldense sein wichtigstes Forschungsobjekt, an dem die Aufklärung der Funktionsweise des bakteriellen Magnetsinns und der Biosynthese der Magnetosomen gelungen ist.
Wertvolle Mikrobe mit Auszeichnung
Im Jahr 2019 erhielt das Greifswalder Magnetbakterium auch über die Mikrobiologie-Community hinaus Aufmerksamkeit, als es von der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) als „Mikrobe des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Diese Auszeichnung geht an wissenschaftlich besonders interessante Mikroorganismen, die außerdem einen Wert für die Gesellschaft aufweisen wie etwa Milchsäurebakterien, denen wir Käse und Joghurt verdanken, oder Rhizobien, die durch die Fixierung von Luftstickstoff das Wachstum von Pflanzen verbessern.
Tatsächlich könnte sich auch M. gryphiswaldense in Zukunft nützlich machen: So weisen die Magnetosomen gleich mehrere Eigenschaften auf, die sie für einen Einsatz als natürliche Magnetnanopartikel in der Biomedizin prädestinieren. Zum einen sind sie in ihrer Form und Größe sehr homogen und bilden perfekte Kristalle aus Magnetit. Mit Hilfe eines magnetischen Felds lassen sie sich außerdem leicht manipulieren. Denkbare Anwendungen sind bildgebende Diagnostikverfahren wie die Magnetresonanztomografie oder die Magnetfeldhyperthermie, mit der Krebszellen durch gezielte Wärmeerzeugung im Gewebe zum Absterben gebracht werden sollen.
Einzigartige Heizleistung
Bei beiden Methoden kommen heute synthetische magnetisierbare Partikel aus Eisenoxid zum Einsatz. „Magnetosomen weisen aber bessere magnetische Eigenschaften auf, so dass für den Einsatz potenziell geringere Dosen erforderlich sind“, erklärt Schüler. „Heizleistung der Magnetosomen bei der Hyperthermie und Kontrast bei bildgebender Diagnostik sind bisher unerreicht.“
Ein weiterer Vorteil sei, dass sich Magnetosomen vermutlich besser mit Liganden bestücken lassen, wie René Uebe, der am Lehrstuhl von Schüler eine eigene Arbeitsgruppe leitet, hinzufügt: „Liganden sind für die magnetischen Effekte zwar nicht essentiell, könnten aber zusätzliche Funktionen wie gezieltes Binden an gewebespezifische Rezeptoren, Detektion mit Hilfe von Fluoreszenz und Kopplung an Wirkstoffe ermöglichen.“
Dabei kann man die Magnetosomen aus den Bakterien isolieren und anschließend chemisch mit Liganden koppeln. Eleganter ist es aber, die Bakterien genetisch so zu verändern, dass sie direkt Vesikel mit den gewünschten Eigenschaften produzieren. „Als molekulare Mikrobiologen haben wir bisher vor allem die genetische Funktionalisierung der Magnetosomen untersucht“, bestätigt Uebe. „Spezifität und Steuerbarkeit lassen sich so besser erreichen als chemisch. Bisher sind wir bei unserem Vorgehen natürlich auf Peptid-/Proteinen-Liganden beschränkt, die nicht toxisch für die Bakterien sein dürfen. Dennoch können wir bereits funktionelle Kupplungsgruppen oder sogar Antikörperfragmente auf der Magnetosomen-Oberfläche koppeln, die anschließend eine flexible Kopplung mit ganz verschiedenen Biomolekülen erlauben.“ Das Ganze könne man sich als eine Art genetischen Nano-Baukasten für neue Biomaterialien vorstellen, so die Mikrobiologen.
Sauber isoliert …
Damit ein Einsatz der bakteriellen Organellen am Menschen möglich wird, müssen diese jedoch in großer Menge hergestellt und möglichst rein gewonnen werden. Um diesem Ziel näherzukommen, haben sich die Bayreuther Mikrobiologen mit Arbeitsgruppen aus der Physikalischen Chemie, der Bioprozesstechnik sowie des Nordbayerischen NMR-Zentrums zusammengetan.
Zwar lassen sich Magnetosomen im Prinzip recht einfach mit Hilfe eines Stabmagneten anreichern, doch ist das Verfahren nicht ausreichend selektiv, sodass noch Verunreinigungen in der Probe bleiben, und zudem schlecht hochskalierbar. Auch können beim Zellaufschluss eingesetzte denaturierende Agenzien, Proteasen oder Ultraschall die Magnetosomen-Hülle beschädigen. „Stattdessen verwendeten wir ein mehrstufiges und schonendes Verfahren“, erklärt Frank Mickoleit, Postdoktorand am Lehrstuhl für Mikrobiologie und einer der Erstautoren der Publikation, die das Verfahren beschreibt und die Uebe als einer der Letztautoren verantwortet. Dabei wurden im ersten Schritt die Bakterienzellen durch hohen Druck aufgeschlossen. Eine anschließende Analyse über dynamische Lichtstreuung zeigte, dass die Magnetosomen die Prozedur gut überstanden hatten. Um die Vesikel von den Zelltrümmern zu trennen, kam statt eines Stabmagneten eine magnetisierbare Matrix zum Einsatz. Zum Abschluss wurden die Magnetosomen noch durch ein Saccharose-Kissen ultrazentrifugiert.
… und gut verträglich
Jetzt war natürlich noch die Frage zu klären, ob die Partikel von Säugetierzellen auch vertragen werden. Dies testeten die Forscher in Kooperation mit der Uniklinik Jena an zwei verschiedenen Krebszelllinien und an primären Zellen aus menschlichem Plazentagewebe. Selbst bei der höchsten getesteten Magnetosomen-Konzentration von 100 µg/cm2 überlebten immer noch mehr als Zweidrittel der Zellen, womit die Biokompatibilität in etwa bei der von synthetisch hergestellten Eisenoxid-Partikeln lag.
Jetzt bleibt nur noch auszuschließen, dass die Magnetosomen – sei es durch ihre Proteine oder durch verbliebene Verunreinigungen – eine ungewollte Immunantwort auslösen. Ein weiteres Problem könnte sein, dass M. gryphiswaldense als Gram-negatives Bakterien eine äußere Membran aus Lipopolysacchariden (LPS) besitzt. Deren Bestandteile können als Endotoxin Fieber und einen septischen Schock hervorrufen. Das Risiko dafür ließe sich möglicherweise durch die Verwendung von Produktionsstämmen verringern, bei denen bestimmte Gene für die LPS-Biosynthese ausgeschaltet sind. Bei anderen Gram-negativen Bakterien war diese Strategie schon erfolgreich, und auch die Bayreuther Mikrobiologen halten sie für vielversprechend: „Tatsächlich haben wir hierzu schon erste Versuche gemacht.“
Larissa Tetsch
Rosenfeldt S. et al. (2021): Towards standardized purification of bacterial magnetic nanoparticles for future in vivo application. Acta Biomaterialia, 120:293-303
Bild: Pixabay/matthewsjackie
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