Editorial

Die Schlossblocker

(18.03.2021) Die Martinsrieder Eisbach Bio GmbH stellt Tumore mit Helikase-Inhibitoren kalt und entwickelt nebenbei ein Mittel gegen das Coronavirus.
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Hätte man Andreas Ladurner vor fünf Jahren gefragt, ob er sich die Gründung eines Biotech-Unternehmens vorstellen könne, man hätte wohl nur verständ­nislose Blicke geerntet. Heute ist der Biochemiker, der den Lehrstuhl für Physio­logische Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München bekleidet, zusammen mit Adrian Schomburg Gründer und Chief Scientific Officer des LMU-Spin-offs Eisbach Bio GmbH mit Sitz in Martinsried. Das Unternehmen, das nach dem künstlich angelegten Eisbach im Englischen Garten Münchens benannt ist, beschäftigt sich mit der Behandlung solider Tumore und geht dabei neue Wege, wie Ladurner erläutert: „Tumorzellen verlieren durch Mutationen einige Regulations­mechanismen. Dadurch werden andere Kontroll­prozesse plötzlich essenziell. Der Tumor bekommt eine Achilles­sehne“. Das gezielte Ausschalten solcher Achilles­sehnen bezeichnet man auch als synthetische Letalität.

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Ein neuer Ansatz

Eine solche Schwachstelle bilden zum Beispiel Helikase-Enzyme, die fast in einem Drittel der Tumore ein essenzielles Target darstellen. Das Enzym lagert die Chromatin­struktur des Genoms rapide um, sorgt also dafür, das DNA-Abschnitte für Polymerasen und andere Enzyme erreichbar sind und andere nicht. Dabei verfolgen die Martinsrieder einen anderen Ansatz als gewöhnliche Chemo­therapeutika. „Man kann sich solche Enzyme wie eine molekulare Maschine vorstellen. Maschinen benötigen Treibstoff und bisher haben sich Pharma­firmen darauf konzentriert, den Treibstoff solcher Maschinen unbrauchbar zu machen“, sagt Ladurner.

So gebe es derzeit Pharmazeutika, die die ATPase-Motoren hemmen und so verhindern, dass den Enzymen Energie zur Verfügung steht. „Wir haben jedoch entdeckt, dass die meisten dieser Targets auch einen ganz bestimmten Schlüssel benötigen, damit der Motor erst anspringt. Wir wollen also nicht den Treibstoff vergällen, sondern verhindern, dass der Zünd­schlüssel passt“, erklärt der Krebs­forscher. Diese „Schlüssel“ seien dabei einzigartig, der allosterische Inhibitor dazu also hochselektiv.

Die Nadel im Heuhaufen

Nun wollen also die richtigen Moleküle gefunden werden, die das Schlüsselloch blockieren. Dafür testeten die Martinsrieder über 200.000 nieder­molekulare Substanzen im Labor und mehrere Millionen am Computer auf ihre Wirksamkeit und konnten einige vielver­sprechende Kandidaten identifizieren. Dabei lässt sich die Behandlung potenziell auf viele Tumore anwenden. Darunter finden sich insbesondere solche Krebsarten, für die es bis dato entweder keine Therapie oder nur die folgen­schweren Behandlungs­möglichkeiten Bestrahlung oder Chemotherapie gibt. „Ein weiterer Vorteil ist, dass wir den Tumor anhand seiner genetischen Vulnera­bilität behandeln und nicht auf Basis der Lokalisation“, fügt Ladurner an. So konnte das Eisbach-Team bereits Inhibitoren für eine Helikase identi­fizieren, die beim BRCA1- und BRCA2-mutierten Brustkrebs wichtig ist.

Dieser Idee folgend, interessierten sich die Unter­nehmer auch zeitnah für die sich entwickelnde Corona-Epidemie. „Sobald die Genomsequenz von SARS-CoV-2 im Januar 2020 veröffentlicht war, hat mein Mitgründer Adrian Schomburg dort nach Helikasen gesucht“, erinnert sich Ladurner. Eine für die Virus­replikation essenzielle Helikase war schnell identifiziert und so screenten die Martinsrieder ihre Wirkstoff­bibliothek auf passende Kandidaten. Mit Erfolg: „Wir konnten fast sofort Substanzen identi­fizieren, die wir für unsere onkologische Forschung schon beiseite­gelegt hatten“.

Noch ne Schippe extra

Eisbach Bio erhielt dafür bereits im Mai 2020 eine Förderung des Bundes­ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) über 1,2 Mio. Euro. Dabei war das Start-up das einzige privat­wirtschaftliche Biotech-Unternehmen, das diese Förderung bekam. Für den derzeitigen Wirkstoff-Kandidaten seien die meisten präklinischen Tests abgeschlossen, so Ladurner. Was noch fehle, sei eine entsprechende Finanzierung für die klinischen Phasen.

Neben der BMBF-Förderung für das Corona-Projekt finanziert sich Eisbach Bio hauptsächlich über private Investoren. Größere Wagnis­kapitalgesell­schaften seien jedoch bereits interessiert. Auf die Frage, wie er seine Aufgaben als CSO und Professor an der LMU unter einen Hut bringt, schmunzelt Ladurner und entgegnet: „Es gibt ja Leute, die laden sich extra noch was auf, wenn sie denken, sie schaffen es nicht mehr. So jemand bin ich auch. Und nachdem wir in unserer Grundlagen­forschung den Schlüssel zu weit besseren Krebs­therapien gefunden haben, so sehe ich mich auch verpflichtet, diese Schippe draufzulegen“.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/findingforward

 

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Letzte Änderungen: 18.03.2021