Beweise fehlen
(11.03.2021) Eine Klinikergruppe wirbt vehement für Ivermectin bei COVID-19. Ihr Review-Paper wird jedoch nicht veröffentlicht – wegen fehlender Objektivität.
Im aktuellen Heft haben wir Ivermectin zum „Wirkstoff des Monats“ erkoren. Aus gutem Grund, denn das Medikament gehört als Anti-Infektivum zu den „unentbehrlichen Arzneimitteln der WHO“. Es eliminiert bei Mensch und Tier lästige Parasiten. Zum Beispiel im tropischen Afrika und Amerika Fadenwürmer, die die sogenannte Flussblindheit auslösen, in den USA Kopfläuse und in Deutschland Krätzemilben.
Man sagt dem Präparat aber auch eine Wirkung gegen verschiedene Viren nach, unter anderem gegen SARS-CoV-2. Allerdings, so schreibt Karin Hollricher in ihrem „Wirkstoff“-Artikel, gibt es dazu widersprüchliche Daten: „Ein möglicher Grund [...] mag in der Dosierung und Pharmakokinetik des Wirkstoffs liegen. In einer In-vitro-Studie wurde das Virus beispielsweise vollständig blockiert, wenn die Zellen mit 5 μmol/L Wirkstoff behandelt worden waren (Biotechnol. Biotechnol. 34: 469-74). In der Praxis wird das Medikament allerdings in etwa 10- bis 50-fach geringeren Dosierungen angewendet.“ Eine erhöhte Dosis kann zum Teil heftige Nebenwirkungen wie asthmatische Anfälle, Fieber und Erbrechen auslösen.
Hartnäckiger Kampf
Eine Gruppe namens Front Line COVID-19 Critical Care Alliance (FLCCC) kämpft trotz dieser eher bescheidenen Ausgangssituation hartnäckig dafür, dass Ivermectin sofort als Therapieoption bei COVID-19 zugelassen wird. Vor dem US-Senat sprach deren Präsident, Intensivmediziner Pierry Kory, im Dezember gar von einem „Wundermittel“, das die Pandemie ein für allemal beenden könne. Theatralisch fragte er die Senatoren: „How many more trials have to be done when our manuscript details results from over 20 studies – with over ten of them randomized controlled trials? We are in a pandemic, we are at war, stop pretending this is peacetime where we are conducting business as usual. The NIH must rapidly review the data and make a recommendation.”
Weder NIH, noch FDA oder deutsche Behörden konnte die Allianz bislang jedoch überzeugen. Das Robert-Koch-Institut vermerkt zu Ivermectin: „niedriger Evidenzgrad wegen zahlreicher methodischer Limitationen der bisherigen Studien; Einsatz zur Therapie oder Prophylaxe nur im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien.“
Zur etwas obskuren FLCCC-Allianz, oder wie sich selbst im oben erwähnten Manuskript nennt „group of expert critical care physicians and thought leaders“, gehört als ‚global partner‘ übrigens auch die Abteilung Anästhesiologie und Intensivmedizin des Barmherzige Brüder Krankenhauses in München. Am Manuskript, das die Allianz bei Frontiers of Pharmacology einreichte, waren die Münchner allerdings nicht beteiligt.
Argumente akzeptiert
Ganze elf Argumente listen die Allianz-Autoren in ihrem Review-Paper auf, die in ihren Augen für Ivermectin als Behandlungsoption bei COVID-19 sprechen – darunter die profane Tatsache, dass das Präparat seit Langem von der WHO als „essential medicine“ geführt wird. Schlussendlich heißt es: „The FLCCC expert panel has now reached a consensus in recommending that ivermectin for both prophylaxis and treatment of COVID-19 should be systematically and globally adopted.“
Zunächst war die Argumentationskette und Schlussfolgerung wohl auch für Frontiers of Pharmacology nachvollziehbar, sie akzeptierten das Manuskript für die Veröffentlichung. Anfang März machte das Journal jedoch einen Rückzieher und entfernte es wieder von seiner Webseite. „Upon further scrutiny by our Research Integrity team about the objectivity of this paper during the provisional acceptance phase, it was revealed that the article made a series of strong, unsupported claims based on studies with insufficient statistical significance, and at times, without the use of control groups. Further, the authors promoted their own specific ivermectin-based treatment which is inappropriate for a review article and against our editorial policies“, schreibt Frontiers' Chief Executive Editor Frederick Fenter in einem Statement. Allianz-Chef Pierry Kory war darüber natürlich nicht sehr erfreut und sprach in einem Interview mit The Scientist gar von Zensur.
Keine Aktivität
Selbst Herstellerfirma Merck & Co., die ja an einem globalen Einsatz des Präparats durchaus Interesse hätte, ist wenig überzeugt von den bisher vorliegenden Daten. Anfang Februar schreibt Merck in einem Statement, dass sich hauseigene Wissenschaftler alle Ivermectin-Studien sehr genau anschauen (aktuell sind 60 klinische Studien bei clinicaltrials.gov gelistet), bis jetzt hätten sie aber weder eine wissenschaftliche Grundlage für einen potentiellen therapeutischen Effekt in präklinischen Studien noch aussagekräftige Beweise für die klinische Aktivität oder Wirksamkeit bei COVID-19-Patienten gesehen. „We do not believe that the data available support the safety and efficacy of ivermectin beyond the doses and populations indicated in the regulatory agency-approved prescribing information.“
Unterdessen machen einige Länder, wohl auch in Ermangelung besserer, verfügbarer Alternativen, Nägel mit Köpfen. Seit Ende Januar ist Ivermectin zunächst für sechs Monate zur Prophylaxe und Behandlung von COVID-19-Patienten in der Slowakei offiziell zugelassen. Erhältlich auch auf Rezept in Apotheken. Und auch tschechische Krankenhäuser, die derzeit erneut vor dem Kollaps stehen, haben schon tausende Dosen geordert.
Kathleen Gransalke
Bild: PBSAnimalHealth
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