Allianz für reproduzierbare Wissenschaft
(15.02.2021) Acht Organisationen haben sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um die Wissenschaft aus der Reproduzierbarkeitskrise zu führen.
Je nach Quelle ist ein mehr oder weniger großer Anteil der veröffentlichten Ergebnisse biomedizinischer Studien nicht reproduzierbar. Dabei gehört es zum Anspruch, den gute Wissenschaft an sich selbst stellt, Experimente so zu planen, durchzuführen und zu dokumentieren, dass sie überall auf der Welt – die technischen und personellen Ressourcen vorausgesetzt – die gleichen Ergebnisse liefern. Über die Reproduzierbarkeitskrise, ihre Gründe und vor allem darüber, wie sie überwunden werden kann, wird viel diskutiert. Immer wieder genannt: das Stichwort „Open Science“. So müssen, damit Experimente überhaupt reproduziert werden können, zuerst einmal die Protokolle und die Ergebnisse einschließlich Rohdaten und dazugehörigen Metadaten für die Forschergemeinde zugänglich gemacht werden.
Offenheit und Transparenz in der Forschung – das klingt einfach, ist es aber in der konkreten Umsetzung nicht unbedingt. Zudem bringt es nicht viel, wenn nur einzelne Wissenschaftler sich den Prinzipien von Open Science verpflichtet fühlen. Um Letztere bekannt zu machen und Wissenschaftler bei ihrer Umsetzung konkret zu unterstützen, haben sich nun acht Akteure, die sich Open Science verpflichtet fühlen, zum German Reproducibility Network (GRN) zusammengeschlossen. Das dezentral organisierte, fächerübergreifende Konsortium agiert deutschlandweit und ist darüber hinaus in ein internationales Netzwerk ähnlicher Initiativen in Großbritannien, der Schweiz, Australien und der Slowakei eingebunden.
Bottom up schafft top down!
Zu den Gründungsmitgliedern des GRN gehört auch das QUEST Center des Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité, das 2013 von Ulrich Dirnagl ins Leben gerufen wurde – in erster Linie, um den Nutzen der biomedizinischen Forschung am BIH durch die Verbesserung von Qualität, Reproduzierbarkeit, Verallgemeinerbarkeit und Validität zu erhöhen. Darüber hinaus fungiert Dirnagl aber auch generell als Aufklärer in Sachen Open Science unter anderem in seiner Rolle als Wissenschaftsnarr im Laborjournal.
Vorbild für die Gründung des GRN sei die britische Initiative UK RN gewesen, so Dirnagl: „Das UK RN ist der Prototyp, Vorreiter und Vorbild aller Reproducibility Networks. In dessen internationalem wissenschaftlichen Beirat konnte ich miterleben, welche Dynamik entsteht, wenn eine ‚bottom up‘-Initiative ‚gleichgesinnte‘ Forscher mit den wichtigen Stakeholdern im System zusammenbringt, also den Fördergebern, den Journalen usw. und sich Universitäten über die institutionelle Mitgliedschaft zu den Zielen einer reproduzierbaren und transparenten Wissenschaft mit einer dedizierten, von ihr teilfinanzierten Person bekennen. Mittlerweile haben mehr als 40 britische Unis solche Stellen eingerichtet und sind Mitglieder im RN. Genau sowas brauchen wir auch in Deutschland! Mit der Berlin University Alliance aus TU, FU, HU und Charité haben wir ja auch gleich vier wichtige Player gefunden, die mit großem Interesse mitmachen und auch in das Thema investieren.“
Den Austausch fördern …
Neben dem QUEST und der Berlin University Alliance sind weitere Gründungsmitglieder des GRN die Deutsche Gesellschaft für Psychologie, das Helmholtz Open Science Office, die Helmholtz Artificial Intelligence Cooperation Unit, das LMU Open Science Center, das ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und das Netzwerk der Open Science Initiativen (NOSI). Letzteres ist ein formloser Zusammenschluss von Open-Science-Initiativen an deutschen Universitäten und Forschungsinstitutionen vor allem aus der Psychologie, einer Disziplin, die sich gemeinsam mit den Lebenswissenschaften besonders dem Thema der Reproduzierbarkeit verschrieben hat.
Was sich das NOSI vom GRN erhofft, erklärt Susann Fiedler, Inhaberin des Lehrstuhls für Psychologie und Business der Wirtschaftsuniversität Wien: „Das NOSI bietet vor allem eine Gelegenheit, sich unter Kollegen auszutauschen und Materialien zu teilen. Das GRN hingegen versucht, verschiedene Entscheider und Interessengruppen zusammenzubringen, um das Thema Reproduzierbarkeit in der deutschen Forschungslandschaft in allen Forschungsbereichen zu thematisieren und den Wissenschaftsstandort Deutschland dadurch zu stärken.“
Unterstützen und verknüpfen
Das GRN sieht seine Aufgaben also vor allem darin, einzelne Forscher aber auch Institutionen bei der Etablierung von Open-Science-Praktiken zu unterstützen. Außerdem möchte es einzelne Initiativen zu einem nationalen Netzwerk verknüpfen und die Open Science Community gegenüber den Entscheidungsträgern in der Wissenschaftslandschaft vertreten.
„Das LMU Open Science Center sieht vor allem drei Ziele der Vernetzung im GRN“, fasst Felix Schönbrodt, Psychologieprofessor an der LMU und deren Vertreter im GRN zusammen. „Erstens einen Austausch von Kompetenz, Materialien und Erfahrungen, auch mit dem Ziel, neuen Initiativen Starthilfe zu geben. Zweitens wollen wir offene Fragen zum Thema Reproduzierbarkeit wissenschaftlich untersuchen. Und drittens gehen wir davon aus, dass sich durch den interdisziplinären Zusammenschluss von vielen Akteuren die Sichtbarkeit und auch das politische Gewicht erhöhen. Von der erhöhten Sensibilisierung von Geldgebern und Infrastrukturanbietern für die Stärken reproduzierbarer Wissenschaft können zusätzliche Anreize für eine qualitativ hochwertige Forschung ausgehen."
… um das Wissenschaftssystem zu ändern
Dass Psychologie und Biowissenschaften hier Hand in Hand gehen, unterstreicht der Experimentelle Neurologe Dirnagl: „Obzwar es in allen Forschungsfeldern spezifische Hindernisse gibt, sind das grundsätzliche Anliegen und die grundsätzlichen Probleme doch immer wieder die gleichen. Meiner Meinung nach sind die Reproducibility Networks wichtig, weil sie Wissenschaftler zusammenbringen, die unterschiedlichen Stakeholder an einen Tisch bringen und Aufmerksamkeit nicht nur für Probleme, sondern auch für Lösungsansätze schaffen können. Zusätzlich können sie Wissenschaftlern Tools und Formate zur Verfügung stellen, beispielsweise in Form von Trainings und Kursen und Organisationen wie der EU direkten Zugang zu den Wissenschaftlern (und umgekehrt) bieten, um gemeinsam Praxisrelevantes zu schaffen.“
Abschließend macht Dirnagl noch einmal deutlich, dass sich das Wissenschaftssystem grundsätzlich ändern muss, wenn die Reproduzierbarkeitskrise überwunden werden soll: „Das größte Hindernis bleibt meines Erachtens das Karriere- und Belohnungssystem in Akademia, das falsche Anreize setzt. Auch hier können RNs helfen, denn es besteht ja direkter Zugang zu den Unis, und gemeinsam lässt sich einfacher und wirksamer Lobbyarbeit für einen Systemwechsel machen.“ Um diese Ziele zu erreichen, braucht das GRN viele Mitstreiter. Neue Mitglieder sind deshalb beim GRN jederzeit willkommen.
Larissa Tetsch
Bild: Pixabay/PublicDomainPictures
Weitere Artikel zum Thema:
- Die Reproduzierbarkeitskrise und das Missverständnis von der Labormaus als Messinstrument (Essay von Hanno Würbel)
Oftmals ist es eine Art seltsamer Konsens, der Forschenden den Blick auf Risiken und Nebenwirkungen ungeeigneter Forschungpraktiken verschleiert. Besonders ausgeprägt ist dieses Phänomen beim Umgang mit Labortieren, …
- Spielwiese Fachartikel
Paper sind noch immer eine recht statische Angelegenheit. Das Journal eLife testet gerade den „Reproduzierbaren Artikel“ mit ganz neuen Interaktionsmöglichkeiten ...