Editorial

Und plötzlich ward Exzellenz...

(05.01.2021) Kann man mit Wettbewerben wirklich exzellente Wissenschaft ernten?
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Man kann hinschauen, wo man will – in der deutschen Wissenschaftslandschaft ist „Exzellenz“ nirgendwo weit. Entsprechende Wettbewerbe sowie Fördermaßnahmen, die ausschließlich „wissenschaftliche Exzellenz“ fördern, haben dafür gesorgt, dass sich mittlerweile eine ordentliche Masse an Projekten, Programmen, Clustern, Netzwerken und sogar ganze Einrichtungen „exzellent“ nennen darf. So groß ist diese Masse, dass man sich unweigerlich fragen muss, ob es neben so viel Exzellenz überhaupt noch „normale“ Forschung gibt. Und der immer kleiner werdende nicht-exzellente Rest? Wird der immer mittelmäßiger?

An dieser Stelle dürfte einem langsam dämmern: „Exzellenz“ ist relativ! Ein Begriff, der je nach Bewertungskriterium nur dieses oder auch noch jenes umfasst.

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Spitze in der Breite?

Sehr schön illustrierte das etwa der Kommentar der damaligen Bremer Wissenschaftssenatorin und stellvertretenden Vorsitzenden der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) Eva Quante-Brandt zum Ergebnis der letzten Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder: „Die Spitze liegt in der Breite“. Aha…!? Und Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek ergänzte dazu: „Wir haben Exzellenz an vielen deutschen Hochschulen. Das ist die Stärke und die internationale Attraktivität unseres Systems.“

Klingt verdächtig, oder? Sollte „Exzellenz“ nicht per definitionem immer und ausschließlich die absolute Spitze einer Pyramide darstellen? Und wird daher „Exzellenz“ nicht abgewertet, wenn sie immer mehr in die Breite geht? Wird so nicht heute exzellent, was es gestern noch nicht war – nur weil gewisse Evaluationskriterien weiter nach unten geschoben wurden?

Dabei ist es umgekehrt noch gar nicht lange her, dass das gesamte wissenschaftliche Tun per se als exzellent galt. Etwa, wenn man es mit Fabrik- oder Verwaltungsarbeit verglich. Bezugsgruppen-abhängig ist Exzellenz also auch noch.

Erbarmen mit dem Mittelmaß

Für den Fall jedoch, dass die Wissenschaft als Bezugsgröße nur bei sich selbst bleibt, konstatierte der Konstanzer Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß einmal:

„Damit Exzellenz wirklich werden kann, muss viel Qualität gegeben sein; und damit Qualität wirklich werden kann, muss viel Mittelmaß gegeben sein. Allein Exzellenz, nichts anderes zu wollen, wäre nicht nur wirklichkeitsfremd, sondern für die Entstehungsbedingungen von Exzellenz vermutlich fatal – sie verlöre die wissenschaftliche Artenvielfalt, aus der sie wächst. Und darum eben auch: Nicht nur Erbarmen mit Durchschnittlichkeit und Mittelmaß, sondern zufriedene Unzufriedenheit mit diesen. Es ist das breite Mittelmaß, das auch in der Wissenschaft das Gewohnte ist, und es ist die breite Qualität, die aus dem Mittelmaß wächst, die uns in der Wissenschaft am Ende auch die Exzellenz beschert – mit oder ohne angestrengte Evaluierung.“

Woraus unter anderem folgt, dass man Exzellenz nicht durch Wettbewerbe „erzwingen“ kann. Wohl aber herbeidefinieren.

Ralf Neumann

 

(Dieser Kolumnentext erschien in leicht kürzerer Version unter "Inkubiert" im aktuellen Laborjournal 12/2020.)

 

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Letzte Änderungen: 05.01.2021