Editorial

Corona-Andock-Block

(11.12.2020) Die Firma Formycon verkündete gestern, dass ihr SARS-CoV-2-Blocker den Viruseintritt in die Zelle vollständig verhindert. Wir haben mal geschaut, was der Blocker taugen könnte.
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Gestern schrieben wir an dieser Stelle noch, dass neben Kontaktbeschränkung und Impfstoffen mit der Medikamenten-Entwicklung eine weitere wichtige Säule im Kampf gegen COVID-19 ein wenig aus dem Blick geraten sei. Ein paar Stunden später schob das Martinsrieder Biopharma-Unternehmen Formycon das Thema wieder ins Rampenlicht: Via Pressemitteilung teilte es mit, dass ihr ACE2-Antikörper-Fusionsprotein mit dem Kürzel FYB207 eine SARS-CoV-2-Infektion von Zellen vollständig verhindert.

Schauen wir uns erstmal an, wie FYB207 funktioniert. Entwickelt wurde das Formycon-Konstrukt in Kooperation mit den Gruppen von Ulrike Protzer und Johannes Buchner, die die Lehrstühle für Virologie sowie Biotechnologie an der Technischen Universität München innehaben. Im Abstract des bisher nicht begutachteten bioRxiv-Preprints (DOI: 10.1101/2020.12.06.413443) beschreiben die Autoren zunächst die entscheidende Hürde bei der Entwicklung ihres Wirkstoffes. Zwar sei bekannt, dass SARS-CoV-2 nur in seine Wirtszellen eindringen kann, nachdem es mit seinem Spike-Glykoprotein an das membrangebundene Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) auf deren Oberfläche gebunden hat. Dennoch lassen sich die Viren mit einem Überschuss an löslichen ACE2-Ektodomänen nur begrenzt abfangen und neutralisieren. „Die kurze In-vivo-Halbwertszeit von löslichem ACE2 begrenzt seinen therapeutischen Einsatz“, schreibt das Autorenteam dazu. Und weiter: „Die Fusion des konstanten (Fc) Teils von humanem Immunglobulin G1 (IgG1) mit der extrazellulären Domäne von ACE2 kann die In-vivo-Halbwertszeit zwar verlängern, birgt aber das Risiko einer unerwünschten Fc-Rezeptor-Aktivierung und einer Antikörper-abhängigen Krankheitsverstärkung.“

Editorial

Virus hat ausge-spiked

Mittels computergestütztem Strukturdesign schufen die Autoren nun ein optimiertes ACE2-Fc-Konstrukt mit IgG4-Fc statt dem bislang favorisierten IgG1-Fc als Fusionspartner – womit sie hofften, die unerwünschte Fc-Rezeptorbindung vermeiden zu können. Zusätzlich stabilisierten sie das Fusionskonstrukt durch gezielte Sequenzveränderungen und blockierten durch weitere Punktmutationen die enzymatische Aktivität der ACE2-Domäne. Dass dieses die Bindedomäne des SARS-CoV-2-Spike-Proteins tatsächlich mit hoher Affinität bindet, bestätigten die Münchner zunächst via Oberflächen-Plasmonenresonanz-Spektroskopie (Surface Plasmon Resonance Spectroscopy). Ebenso konnten sie das Spike-Protein in einem ELISA-basierten Essay bereits durch nanomolare Konzentrationen des ACE2-IgG4-Fc-Konstrukts komplett neutralisieren. Und auch die Infektionsexperimente mit besonders empfänglichen Vero-E6-Nierenzellen sahen gut aus: Hier verhinderten ebenfalls bereits nanomolare Konzentrationen von FYB207 den Eintritt verschiedener SARS-CoV-2-Isolate in die kultivierten Zellen. Verschiedene Varianten des ersten SARS-Coronavirus (SARS-CoV), die gleichfalls ACE2 als Eintrittstor in Zellen nutzen, blockierte das Formycon-Konstrukt ebenso effektiv.

Leider keine eigenen Experimente

Ähnliche Ergebnisse hatten andere Gruppen allerdings auch zuvor schon mit ACE2-IgG1-Fc-Konstrukten erhalten. Das Problem bei diesen ist allerdings, dass die angehängten Fc-Teile zwar den innerhalb weniger Stunden vollzogenen Abbau von reinen ACE2-Domänen im Plasma deutlich hinauszögern, diese im gleichen Atemzug jedoch Fc-Rezeptoren binden, die daraufhin unerwünschte und gefährliche Immunantworten auslösen können. Zu beiden Aspekten bietet der Preprint leider keine eigenen Experimente der Münchner mit FYB207. Hinsichtlich der Verlängerung der Lebensdauer verweisen die Autoren lediglich darauf, dass das Anhängen des konstanten FC-Teils menschlicher Immunglobuline generell viele Proteine vor allzu schnellem Abbau im Plasma schützt – und dass dies zudem ja für ACE2-IgG1-Fc-Konstrukte bereits in mehreren Studien gezeigt sei. Und bezüglich der Fc-Rezeptor-Aktivierung verlassen sie sich darauf, dass der Fc-Teil von IgG4 aufgrund struktureller Besonderheiten bekanntlich viel schwächer an die spezifischen Immunzellen-aktivierenden Fc-Rezeptoren bindet als die Fc-Teile von IgG1, 2 und 3. Demnach bliebe im Prinzip nur noch die Bindung an den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn), der indes keinerlei Immunzellen aktiviert, sondern vielmehr IgG-Moleküle sogar vor dem Abbau schützt und deren Plasma-Halbwertszeit verlängert.

Auf zur Notfallzulassung!

Formycon reicht dies aber offenbar, um bereits eine Notfallzulassung für FYB207 anzupeilen. Womöglich haben sie dort ja auch noch bislang unveröffentlichte Daten. Der ARD-Tagesschau erklärte Formycon-Geschäftsführer Carsten Brockmeyer jedenfalls, dass im ersten Quartal 2021 Gespräche mit der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und der US-Zulassungsbehörde FDA stattfinden sollen. Er hoffe, dass die Notfallzulassung nach dem Jahresbeginn 2022 erteilt werde.

Der Bedarf für ein Medikament dieser Art wäre danach sicher noch weiterhin groß. Schließlich, so Brockmeyer, werde es Jahre dauern, bis eine Impfrate von weltweit 50 bis 60 Prozent der Gesamtbevölkerung in den Bereich des Möglichen rücke. „Selbst in zehn Jahren wird es noch eine signifikante Anzahl von Menschen geben, die nicht gegen Covid-19 geimpft sind oder die trotz Impfung schwer an Covid-19 erkranken", betont er. „Für diese Menschen gibt es bislang keine Behandlungsoptionen. Wenn es uns aber gelingt, die Rate der schweren Erkrankungen zu reduzieren, würde das Virus viel von seiner Bedrohlichkeit verlieren.“

Das nächste Coronavirus kommt bestimmt

Und noch einen Punkt führt Brockmeyer ins Feld: „Da SARS-CoV-2 mutiert, kann das Virus möglicherweise gegen Impfstoffe resistent werden. FYB207 zeigt in vitro eine komplette Neutralisation verschiedener SARS-CoV-2- und SARS-CoV-Varianten. Mit FYB207 schaffen wir somit eine Behandlungsoption für COVID-19 Patienten, tragen aber auch zur Vorsorge gegen Ausbrüche neuer Corona-Viren bei.“

Zur Beschleunigung der weiteren Entwicklung inklusive klinischer Studien will die Formycon AG das FYB207-Projekt in eine separate Tochtergesellschaft ausgründen sowie finanzielle und strategische Partner mit ins Boot holen.

Ralf Neumann

Illustr.: Laborjournal

 

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Letzte Änderungen: 11.12.2020