Editorial

Die Geister des Peer Review

(18.12.2020) Oft unterstützen Mitarbeiter ihre Chefs beim Peer Review von Manuskripten. Dem Journal werden sie als Co-Autoren aber nur selten genannt.
editorial_bild

Hand auf’s Herz, liebe Profs und Gruppenleiter: Wer von euch hat schon mal einen Postdoc oder anderen Mitarbeiter der eigenen Arbeitsgruppe ein Manuskript begutachten lassen, das ihm zum Peer Review geschickt wurde – und das Gutachten am Ende gänzlich unter eigenem Namen an den Journal-Editor zurückgeschickt?

Rein statistisch müsste sich jetzt eigentlich jeder Zweite ertappt fühlen – jedenfalls, wenn man das Ergebnis einer Befragung von Nachwuchsforschern durch US-Forscher mal herumdreht: Knapp die Hälfte von fünfhundert befragten Early Career Researchers gab darin an, bereits als Ghostwriter im Namen des Chefs einen Peer Review verfasst zu haben – ohne dass den Journal-Editoren deren Autorschaft offenbart wurde (eLife 8: e48425). Die große Mehrheit von ihnen kam aus den Life Sciences.

Editorial

Learning by Doing

Interessanterweise verurteilten in der gleichen Umfrage achtzig Prozent der Befragten diese Praxis der verschwiegenen Review-(Co)-Autoren. Warum kommt es dann aber trotzdem zu derart vielen Ghostwriter-Reviews?

Dazu muss man die Zielrichtung dieser Frage vorab genauer erklären. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass viele es ganz und gar nicht für unethisch, sondern sogar für gut und erstrebenswert halten, wenn Nachwuchsforscher sich aktiv als Co-Autoren an Begutachtungen beteiligen – sei es dass sie den Inhalt des Manuskripts mitprüfen, Teile des Texts verfassen oder gar am Ende den ganzen Review selbst schreiben. Wie sonst könnten Nachwuchsforscher das Peer Reviewing auch besser in der Praxis lernen?

Tatsächlich denken viele nicht nur so, sondern praktizieren es auch mit ihren Mitarbeitern. Nur, sollten diese dann nicht auch den verdienten Credit als Review-(Co-)Autoren kriegen – statt als unerwähnte Ghostwriter zu verblassen?

Drei Barrieren für Co-Reviewer

Peer Review ist echte akademische Arbeit, ebenso wie ein Manuskript zu schreiben“, stellt Rebeccah Lijek, Seniorautorin der Studie, klar. „Wir wollen daher erreichen, dass jeder auch die verdiente Autorennennung dafür bekommt.“

Warum passiert das bislang nicht wirklich?

Die Studienteilnehmer nannten vor allem drei Barrieren, die verhinderten, dass Co-Reviewer oder Ghost-Reviewer genannt werden:

- Fehlende Kommunikation zwischen Chef und Nachwuchsforscher.

- Der falsche Glaube, dass Co-Autorschaften lediglich für Manuskripte relevant sind, und nicht für Reviews.

- Die restriktive Politik vieler Zeitschriften, die wider die tatsächliche Praxis und Meinung der Forschergemeinde das Hinzuziehen von Mitarbeitern zum Peer Review strikt verbieten.

Längst gängige Praxis

Vor allem den letzten dieser drei Punkte haben die Autoren der Studie als Hauptgrund dafür ausgemacht, dass viele Mit-Reviewer bislang „Geister“ geblieben sind. Schließlich gestattet es die Editorial Policy vieler Journale nicht einmal, dass der beauftragte Gutachter das Manuskript irgendjemandem anderem überhaupt auch nur zeigt – ganz abgesehen davon, dass es gar jemand mitbegutachtet. Und so dürfte es kaum verwundern, schließen die Autoren, dass viele Chefs lieber ihre Junior-Co-Reviewer verschweigen statt offen gegen die Regeln des Journals zu verstoßen – obwohl sie prinzipiell kein Problem damit hätten, sie ebenfalls mitzunennen.

Der Appell, den Autoren am Ende ihrer Studie an die Journals richten, ist somit klar: Passt eure Politik endlich den wahren Gegebenheiten an – nämlich, dass das Miteinbeziehen von Co-Reviewern längst gängige Praxis ist und überdies als wertvolles Training für Nachwuchsforscher angesehen wird! Das würde letztlich so manchen Gutachter aus seinem Dilemma befreien – und gleichsam die Wahrscheinlichkeit stark erhöhen, dass viele Co-Reviewer tatsächlich mit Namen genannt würden.

Post-Publication-Peer-Review als Lösung

Am schlankesten könnte dieses Dilemma natürlich durch die großflächige Einführung von offenem und namentlich gekennzeichnetem Post-Publication-Peer-Review gelöst werden. Denn hierbei würde niemand mehr wie bisher von einem Editor vorab mit einem Gutachten beauftragt, sondern ein jeder, der eine Veröffentlichung kommentieren möchte, kann dies nachfolgend tun – egal, ob allein oder im Team mit Co-Autoren. Und selbst im Fall der Fälle: Welcher Seniorforscher würde unter solchen Bedingungen riskieren, einzig unter seinem Namen einen Review zu veröffentlichen, an dem tatsächlich einer seiner Studenten mitgeschrieben hat?

Ralf Neumann

Foto: Laborjournal

 

Weitere Artikel zum Thema:

Verdient, aber verschwiegen

Auf jedem fünften Life-Science-Paper fehlt mindestens ein Nachwuchsforscher, der die Co-Autorschaft eigentlich verdient gehabt hätte....

Die netten Gutachter von nebenan

Soll man für die Begutachtung seines Manuskripts oder Forschungsantrags geeignete Gutachter selber vorschlagen dürfen oder nicht?...

Wann ist ein Autor ein Autor?

Wie viel Input muss ein Forscher in eine Publikation geben, um sich Autor derselben nennen zu dürfen?...

 

 



Letzte Änderungen: 09.12.2020