Forschung auf Sparflamme
(16.11.2020) Nach hartem Kampf konnten EU-Parlamentarier gerade mal 4 Milliarden Euro mehr für Horizon Europe herausschlagen. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ohne die Wissenschaft wären wir ausgeliefert. Und zwar momentan dem SARS-Coronavirus-2. Würden nicht tagtäglich tausende Forscher unermüdlich daran arbeiten, den Pandemie-Erreger besser zu verstehen, seine Ausbreitung zu modellieren und Therapien zu entwickeln, wüssten wir gerade absolut nichts über das Virus und müssten dem viralen Treiben tatenlos zusehen.
Doch dank intensiver Forschungsarbeit haben wir möglicherweise nach nur einem Jahr wirksame Impfstoffe und Medikamente zur Hand. Ein Hoch auf die Wissenschaft? Na klar! Dass man für diesen Erfolg aber erstmal etwas investieren muss, scheint beim Europäischen Rat, also den Oberhäuptern der EU-Länder, noch nicht wirklich angekommen zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass eben dieser Rat im Sommer das bereits drastisch zusammengestrichene Budget für das im kommenden Jahr beginnende Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe noch weiter einschrumpfte. Von ehemals veranschlagten 120 Milliarden Euro waren somit letztlich nur noch 80 Milliarden übriggeblieben. Vielleicht sollte die Differenz mit Applaus abgegolten werden, ähnlich wie bei Pflegern und Ärzten in überfüllten Krankenhäusern?
Sinnlose Sparpolitik
Dass die EU-Ministerpräsidenten ziemlich allein dastehen mit ihrer Rotstift-Politik zeigt unter anderem ein im Oktober in der FAZ veröffentlichtes Statement der österreichischen Universitätskonferenz (UNIKO), der niederländischen Association of Universities (VSNU) und der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Darin heißt es: „(…) wir lehnen die Entscheidung unserer Regierungen kategorisch ab, die Mittel für die europäische Zusammenarbeit in Bildung, Forschung und Innovation zurückzufahren.“ Die drei Hochschulvertretungen rechnen vor, dass jeder Euro, der in die europäische Forschung investiert wird, ein wirtschaftliches Überschusswachstum von 13 Euro generiert. „Wer würde eine solche Investition ablehnen und dann behaupten, das Geld ‚gespart‘ zu haben?“, fragen sie zu Recht. Die Antwort ist einfach: die EU-Länderchefs.
Zum Glück hängt die Budget-Entscheidung nicht allein von ihnen ab. Auch das Europaparlament hat noch das ein oder andere Wörtchen mitzureden, und davon machte es auch in mehreren, heftig ausgefochtenen Diskussionsrunden mit Rat und Kommission in den letzten Monaten Gebrauch. Letzten Dienstag ging es in die entscheidende Phase.
Appell an Ursula
Ansporn für den harten Kampf ums Budget kam unter anderem auch von der Initiative #RescueHorizonEurope, die die zwei Nachwuchsforscherinnen Antonia Weberling (Doktorandin an der Uni Cambridge) und Nathalie Conrad (Postdoc an der KU Leuven) ins Leben gerufen haben. Weberling hatte bereits zuvor mehrere Briefe an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschrieben, um auf ihre Situation als Doktorandin während der Pandemie aufmerksam zu machen.
Schnell fand die neuerliche Initiative, auch über Twitter, in den Nobelpreisträgern Erwin Neher, Paul Nurse sowie Edvard und May-Britt Moser recht namhafte Unterstützer. Insgesamt unterzeichneten mehr als 1.200 Wissenschaftler das Schreiben – bis jetzt. „All of us have united here today to ask you to stand up to the ambitions you have set out in your Agenda for Europe – the promise you have made to the people of Europe. It is time to keep it. Strive for more. Listen. Act.“, fordern sie von der Chefin der EU.
Dem Schreiben beigelegt sind auch mehrere persönliche Briefe. So schreibt unter anderem May-Britt Moser: „The current pandemic has shown the world how dependent our society is on science: Without fundamental knowledge about our immune system and the operation of viruses, we would have no way to combat the disease.“ Ein Doktorand aus Deutschland hebt hervor: „In a world of increasing science scepticism, we simply cannot afford to cut research budgets.“ Warnende Wort hat auch Physik-Nobelpreisträger Serge Haroche: „Losing ground in research is a process very difficult to reverse.“ Und Erwin Neher gibt zu bedenken: „European collaboration and support is a must if we want to compete scientifically and technologically with the US and other parts of the world“. Unverständlich, warum genau diese Wettbewerbsfähigkeit, die ja eigentlich zum Lieblingsvokabular eines jeden Politikers gehört, hier mutwillig aufs Spiel gesetzt wird.
Amazon zahlt für Forschung
Die Überzeugungsarbeit der Parlamentarier und Nobelpreisträger wirkte, zumindest ein ganz kleines bisschen. Vier Milliarden Euro mehr konnten sie der EU für Horizon Europe abtrotzen, abgezwackt unter anderem von Strafzahlungen aufgrund wettbewerbsrechtlicher Verstöße (beispielsweise von Amazon). Dabei gäbe es z. B. mit einer schon länger diskutierten Finanztransaktionssteuer eine reichlich, wenn nicht sogar übersprudelnde Quelle. Alles in allem ist der Zuschuss, wenn überhaupt, nur ein bescheidenes Zubrot.
Die Wissenschaftswelt ist dementsprechend auch nur mäßig begeistert. „Well, it’s a bit more, but of course it doesn’t come close to the €100 billion the European Commission originally proposed and the €120 billion the European Parliament had asked for. So yes, I am disappointed, very disappointed,“ kommentiert, laut ScienceBusiness, der frühere Generaldirektor für Forschung und Innovation der Europäischen Kommission Robert-Jan Smits.
Totengräber der Forschungspolitik
Auf Twitter machte Kurt Deketelaere, Generalsekretär der League of European Research Universities (LERU), seinem Ärger Luft: „On World Science Day, the EU concludes a bad budget deal for research, innovation and education for the next seven years. Cynical.” In einem mit „They couldnt care less!“ überschriebenen Statement schiebt er nach: „Nobel Laureate in Chemistry (1999) Ahmed Zewail once said: ‚Investing in science, education and curiosity-driven research is investing in the future‘. Over the past year, the Member States have proven once again that they still don’t grasp this and that they remain the gravediggers of EU research & innovation policy. Meanwhile, the US and China are stepping up, again, their investments in research and innovation, leaving the EU further behind. Clearly, we don’t have the politicians we deserve.“
Auch Antonia Weberling ist enttäuscht. „It will not be sufficient to prevent the exsanguination of scientific excellence in Europe“, twittert sie und ermuntert Wissenschaftler weiterhin, ihre Initiative zu unterstützen. Denn das finale Wort ist noch immer nicht gesprochen.
Sollte es bei dem Budget bleiben, wird es für die europäische Forschung allerdings schwierig, „to strive for more“ – wie es von der Leyen als ihr Motto vorgegeben hat. Es wird wahrscheinlich sogar unmöglich.
Kathleen Gransalke
Bild: Pixabay/StockSnap